# taz.de -- Blindentennis-Spielerin Kirstin Linck: Wenn der Tennisball rasselt | |
> Klingende Metallstäbchen im Ball leiten Kirstin Linck durch das | |
> Tennisspiel. Gerade wurde die Lüneburgerin Blindentennis-Europameisterin. | |
> Jetzt ist WM. | |
Bild: Als WM-Vorbereitung: Kirstin Linck trainiert den genauen Treffpunkt des B… | |
Lüneburg taz | „Eins, zwei, drei, Vorhand“, sagt Kirstin Linck und zeigt | |
auf den Tennisball, der dreimal rasselnd vor ihr aufspringt. [1][Die | |
schwarze Dunkelmaske auf den Augen] nimmt ihr noch das letzte Bisschen | |
Orientierung in der Halle in Lüneburg. So verlässt sie sich ganz auf ihre | |
Ohren. Am Netz steht ihre Trainerin und wirft ihr die Bälle zu, sie | |
analysiert und kommentiert ihre Schlagentscheidung. Solche | |
Koordinationsübungen bereiten Kirstin Linck auf die Weltmeisterschaft im | |
Blindentennis vor, die IBTA World Championships. | |
Derzeit läuft das siebentägige Turnier im norditalienischen Lignano | |
Sabbiadoro. Mehr als 150 Spieler*innen aus 25 Ländern werden erwartet. | |
Teilnahmebedingungen gibt es dafür nicht – „daher hat Blindentennis noch | |
nicht viel mit Leistungssport zu tun, es spielen eher ambitionierte | |
Privatleute“, sagt Niklas Höfken. Er berät den Deutschen Tennisbund | |
ehrenamtlich zu Inklusion. Trotzdem seien solche Turniere ein notwendiger | |
Schritt zur Anerkennung des Sports. | |
Entwickelt hat sich die Sportart ab 1984 in Japan. [2][Miyoshi Takei | |
träumte davon, zusammen mit nicht behinderten Menschen Tennis zu spielen]. | |
Er entwickelte dafür den Rasselball in vielen Anläufen. Die Regeln sind dem | |
Tennis für Sehende sehr ähnlich. Das bestätigt Kirstin Linck: | |
„Blindentennis kann jeder spielen, der sich auf den Ball einlässt.“ | |
2016 gab es den ersten Blindentennis-Workshop in Deutschland. Zwei Jahre | |
später hatte Kirstin Linck eine Werbemail in ihrem Postfach: ein weiterer | |
Workshop für Blindentennis in Köln. „So ein Blödsinn, das kann ja gar | |
nicht funktionieren“, dachte Linck. „Ich hab die Mail direkt gelöscht.“ | |
Wenig später fragte sie zufällig jemand, wie Blindentennis funktioniere. | |
Diese Wissenslücke machte sie neugierig genug, um sich doch anzumelden. | |
## Eine von etwa 80 aktiven Blindentennis-Spieler*innen | |
Nach dem Workshop packte sie einen der rasselnden Schaumstoffbälle ein und | |
nahm Blindentennis so buchstäblich mit nach Lüneburg. Bis heute macht das | |
sechs Jahre aktives Training. Sie gehört zu den etwa 80 aktiven | |
Blindentennis-Spieler*innen in Deutschland, schätzt Niklas Höfken. | |
Nach einer Trinkpause geht es wieder auf den Platz. Mit dem Schläger | |
erfühlt Kirstin Linck die Linien, die auf dem Boden kletten. Sie begrenzen | |
den Platz, der etwas kleiner ist als ein regulärer Tenniscourt. Eine | |
Klettlinie kreuzt die Grundlinie und zeigt so deren Mitte an, um sich für | |
den Aufschlag positionieren zu können. Zehn kleine oder sechs große | |
Schritte sind es vom Netz zur Grundlinie, weiß Kirstin Linck. | |
Die 54-jährige arbeitet als Verwaltungsbeamtin bei der Polizei in Lüneburg. | |
Im Alter von drei Jahren wurde bei ihr Retinitis pigmentosa diagnostiziert, | |
die für eine Einschränkung des Gesichtsfelds sorgt. Wenn ihre Oma ihr einen | |
Ball zuwarf, nahm sie nicht wahr, dass er an ihr vorbeiflog. Heute liegt | |
ihre Sehkraft bei weniger als einem Prozent, hell und dunkel kann sie noch | |
unterscheiden. „Mit der Krankheit muss ich flexibel bleiben und mich mit | |
immer weniger arrangieren“, sagt sie. | |
[3][Auf den benachbarten Tennisplätzen plonken die Tennisbälle von einem | |
Schläger zum anderen], dazu Ächzen oder Jubel. Für Kirstin Linck kein | |
Problem: „Das blende ich aus. Schwieriger wird es, wenn bei der WM auf | |
mehreren Plätzen gleichzeitig ‚Ready – yes – play‘ gerufen wird.“ Du… | |
diese Rufabfolge verständigen sich die Spieler*innen darauf, wann es | |
losgeht. | |
Kirstin Linck trippelt auf der Stelle. Trainerin Janine Duve spielt Bälle | |
auf sie zu, die Linck über das Netz schlagen muss. „Nicht reinfallen, mach | |
kleine Schritte und steh beim Schlagen fest“, mahnt sie. An dieser | |
„Baustelle“ muss Linck noch üben, ist sie sich mit der Trainerin einig. | |
## Zulassung als paralympische Sportart anvisiert | |
Ebenfalls mehr Training braucht ihre Vorhand. Bei den diesjährigen Blind | |
Tennis Open in Madrid im April war Kirstin Linck im Hotelzimmer gestürzt | |
und konnte nicht mehr um den ersten Platz spielen. „Ich war in | |
Hochstimmung, mindestens den zweiten Platz zu machen und dann, zack, bin | |
ich weggerutscht. Der Schmerz überlagerte alles.“ Deshalb konnte sie ihren | |
Titel nicht verteidigen, denn 2023 war sie Erste geworden. Ihr bis dahin | |
größter Erfolg. | |
Die Zeit danach war mühselig, denn das rechte Handgelenk wurde nur langsam | |
beweglicher. Noch jetzt, fünf Monate später, geht Kirstin Linck regelmäßig | |
zur Physiotherapie. Mittlerweile ist die Hand aber wieder für die | |
benötigten Bewegungen beim Tennis einsetzbar – gerade rechtzeitig. Die | |
Behandlungen kann sie mit dem Training im Fitnessstudio kombinieren, das | |
sie für die WM aufgenommen hat. | |
Über das Spielen hinaus setzt sich Kirstin Linck für mehr Sichtbarkeit des | |
Sports ein, organisiert zum Beispiel Turniere. „Es ist wichtig, das Ganze | |
bekannt zu machen“, sagt sie. Sie wünscht sich noch mehr Spieler*innen | |
in Lüneburg. Derzeit spielt dort nur eine weitere Person aktiv, aber ohne | |
Turnierambitionen. | |
Für mehr Aktive setzt sich laut Niklas Höfken auch der Deutsche Tennisbund | |
derzeit ein. [4][Wie im Rollstuhltennis] soll es bald Turnierreihen und | |
Fortbildungsangebote geben. Und irgendwann die Zulassung als paralympische | |
Sportart, dann gäbe es auch mehr Fördermittel. | |
Mit einem „Tsch“ schlägt Trainerin Janine Duve den Ball auf. Kirstin Linck | |
schätzt Schnelligkeit und Richtung am Geräusch ab. Eins, zwei, drei | |
Aufpraller – und Schlag. Beim Blindentennis in der Kategorie der | |
Vollblinden B1 eher selten: Es kommt zu einem längeren Ballwechsel zwischen | |
den beiden. [5][In den Kategorien B2 bis B4 wird mit dem Sehrest der | |
Spieler*innen gespielt], also ohne Maske. Der Platz ist größer, das Netz | |
höher, der Ball darf weniger häufig aufkommen. | |
## Die Weltrangliste im Blick | |
Dann geht der Ball ins Aus. „Nach links weg“, meldet Janine Duve kurz | |
zurück, damit Linck über die Richtung ihres Schlags Bescheid weiß. Sie | |
verlässt das Training zufrieden. Ein letzter Tipp der Trainerin: „Das Spiel | |
beginnt immer im Kopf, es geht um den Willen, den Ehrgeiz. Theoretisch | |
kannst du das alles.“ | |
Kurz darauf geht es für Kirstin Linck zu den IBTA European Open | |
Championships in Polen, einer offenen „EM“. Die IBTA selbst nennt es das | |
„Warm-up Event“ für die WM in Italien. Sie setzt sich gegen vier | |
Gegnerinnen durch, aus Deutschland, Polen und Japan, und holt die | |
Goldmedaille. „Ich konnte mich richtig gut konzentrieren“, sagt sie stolz. | |
Als nächstes geht es nach Italien zur Weltmeisterschaft. „Blackboxen“ nennt | |
sie ihre Gegnerinnen. Einige kennt sie nicht, die Spielerinnen aus | |
Großbritannien hätten mehr Turniererfahrung. Trotzdem steckt sie sich ein | |
Ziel: ihren Weltranglistenplatz von sechs nach vorn verbessern. | |
25 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Blindenfussball-bei-den-Paralympics/!5084666 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=nbiypVhv1D0 | |
[3] /Sportereignisse-blind-erleben/!5359655 | |
[4] /Der-Hausbesuch/!5818343 | |
[5] https://www.tennis.de/dtb/angebote/zielgruppenspezifische-angebote/Inklusio… | |
## AUTOREN | |
Luisa Gohlke | |
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