| # taz.de -- Sächsische Schweiz: Links die Bäume, rechts das Volk? | |
| > Malerische Berge oder doch eine braune Idylle? Eine Reise durch die | |
| > Sächsische Schweiz, um das rechte Image der Region auf die Probe zu | |
| > stellen. | |
| Bild: Grüne Idylle der Sächsischen Schweiz? Hier bei Bad Schandau, 2021 | |
| Sächsische Schweiz taz | Wenn der rechtsextreme Aktivist Martin Sellner und | |
| die Identitäre Bewegungen mit überdimensionalen Deutschlandflaggen auf der | |
| weltbekannten Basteibrücke posieren, wenn Kinder in einem Grundschulhort in | |
| Pirna, dem Verwaltungssitz des Landkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge | |
| (SOE), Hakenkreuze aus Bausteinen legen und zu einer, zu trauriger | |
| Bekanntheit gekommen Melodie rassistische Parolen singen, dann ist es nicht | |
| weit zum Klischee des rechten beziehungsweise rechtsextremen Ostens | |
| Deutschlands. Wer das bestätigt haben will, muss nicht lange suchen, | |
| allerdings: Die Realität stellt sich wie so oft komplexer dar. | |
| Die S-Bahn braucht zwanzig Minuten von Dresden nach Pirna, hier in der | |
| Fußgängerpassage fällt zunächst auf, wie wenig auffällt: Zu Besuch in einer | |
| deutschen Kleinstadt, in ihrer Durchschnittlichkeit kaum zu überbieten. In | |
| der durchrenovierten Altstadt kleine Boutiquen, Restaurants und Cafés für | |
| die Tourist*innen in Funktionskleidung. In der Mitte des Marktplatzes | |
| das Rathaus, vor dem auf Wunsch des AfD-Oberbürgermeisters in diesem Jahr | |
| keine Regenbogenflagge wehte, weswegen das dann kurzerhand die Stadtkirche | |
| St. Marien gleich nebenan übernommen hat. | |
| Über all dem thront die heutige Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, in der die | |
| Nationalsozialisten tausende Menschen mit psychischen Krankheiten oder | |
| geistigen Behinderungen ermordeten. In der Sächsischen Schweiz liegt, nicht | |
| nur geografisch betrachtet, alles nahe beieinander. | |
| Toni Richter, Geschäftsführer des Tourismusverbands, schwärmt | |
| erwartungsgemäß von der einzigartigen Natur, aber auch kulturellen | |
| Angeboten in und um den Nationalpark. Es herrscht Zukunftsoptimismus, die | |
| Besucher*innenzahlen haben sich seit der Wende kontinuierlich | |
| entwickelt, Nachhaltigkeit wird großgeschrieben, Tourist*innen und | |
| Arbeitskräfte aus dem Ausland sollen in die Region geholt werden. Die | |
| letzten Wahlergebnisse im Landkreis SOE sind dahingehend ernüchternd, die | |
| AfD bekam bei der EU-Wahl fast 40 Prozent, die rechtsextremen Freien | |
| Sachsen bei der Kreistagswahl fast 4 Prozent. | |
| ## Bestimmte Orte lieber meiden | |
| Wieder in der S-Bahn auf dem Weg tiefer hinein in das Elbsandsteingebirge, | |
| den Windungen des Elbtals folgend. Das rötliche Abendlicht lässt einen an | |
| die transzendente Stimmung von Caspar David Friedrichs „Der Wanderer über | |
| dem Nebelmeer“ denken. In Dissonanz dazu, die Berichte der beiden | |
| Jugendlichen Max und Lukas der Gruppe SOE gegen Rechts. Ihre echten Namen | |
| wurden in diesem Text geändert. Sie erzählen von ihrem Aktivismus in Pirna | |
| und vom „Haus Montag“, einem Treffpunkt der lokalen Neonaziszene, dass eben | |
| erst im Rahmen des Compact-Vereinsverbots durchsucht worden ist, von | |
| stadtbekannten Restaurants und Orten von denen sich „linksgelesene“ | |
| Personen lieber fernhalten, von Beleidigungen, Angriffen und Angstmache | |
| innerhalb und außerhalb der Schule. | |
| Unter dem dichten Nadel- und Blätterdach der Fichten, Buchen und Birken ist | |
| davon erstmal wenig zu sehen. Hier herrscht eine friedliche, fast | |
| urzeitliche Stimmung. Umgefallene Baumstämme, hohe Gräser und Farne bilden | |
| ein undurchdringliches Dickicht. Ist der Aufstieg geschafft, bleibt der | |
| Blick über die hügelige Landschaft hängen an von Borkenkäfern zerfressenen | |
| Bäumen, Kletterern auf einem Gipfel, einem süßen Örtchen auf der Anhöhe | |
| gegenüber. Vielleicht lieber nicht die Wahlergebnisse googeln? | |
| Zu spät: Das süße Örtchen heißt Reinhardtsdorf-Schöna und die Heimat, | |
| früher mal NPD, bekam bei der Gemeinderatswahl im Juni 22,9 Prozent. Ohne | |
| die Natur-Politik-Analogien überzustrapazieren, aber mit den Bäumen scheint | |
| hier die Demokratie unauffällig wegzusterben. | |
| Der Abstieg ist steil, entgegenkommende Personen grüßen freundlich, es wird | |
| viel gescherzt. Die gute Laune spiegelt sich auch in Gesprächen mit | |
| Tourist*innen wider. Die meisten kennen den Ruf der Region als | |
| rechtsextreme Hochburg, meinen davon, während ihres Aufenthalts, aber wenig | |
| zu merken. Zur Politik melden sich verschiedene Stimme zu Wort. Ein | |
| Wanderer meint, jeder solle wählen können, was er will, es wäre keine | |
| Tragödie, wenn die AfD regiere, dann werde sie halt wieder abgewählt, | |
| Hauptsache, das Grundgesetz gilt überall. | |
| ## Normalisierung rechtsextremer Ideologie | |
| Zwei junge Frauen, die für die Nationalparkverwaltung in der Umweltbildung | |
| arbeiten, erzählen von zerstörten Plakate demokratischer Parteien, dem | |
| Briefing ihres Arbeitgebers für den Umgang mit rechtsextremen Aussagen von | |
| Kindern und Jugendlichen sowie von der Präsenz rechtsextremer Codes und | |
| Symbole. Die beiden attestieren sich eine „Demokratiedepression“. | |
| Am Abend in der „Boofe“, einer der vielen Freiübernachtungsstellen für | |
| Bergsteiger*innen. Die Luft riecht und schmeckt erdig-frisch, Insekten | |
| schwirren umher, abgesehen von dem Gekreische irgendwelcher Tiere tief im | |
| Wald, ist es komplett still. Berlin kommt einem hier verdammt weit weg vor | |
| und man ist gar nicht traurig darüber. Auch, weil man heute in einem | |
| Veranstaltungsraum des Alternativen Kultur- und Bildungszentrum (AKuBIZ) in | |
| Pirna saß. | |
| Nervös lächelnde, aber sichtbar stolze Teilnehmer*innen mit und ohne | |
| Migrations- und Fluchtgeschichte trugen ihre Texte aus der Broschüre | |
| „Widerständige Wege“ vor. Zuschauer*innen nehmen Fotos und Videos auf | |
| und die emotionale Stimmung wird immer wieder von herzlichem Lachen | |
| unterbrochen. Man ärgert sich über den eigenen Pessimismus, hängen bleibt | |
| die optimistische Aussage eines Teilnehmers „dass die Welt veränderbar ist | |
| – im Guten wie leider auch im Schlechten“. | |
| Alina vom AKuBiZ sagt, mit den Wahlergebnissen, über die man sich anderorts | |
| aufregt, ist man hier auf persönlicher Ebene konfrontiert. Auch sie | |
| beobachtet eine Normalisierung rechtsextremer Ideologie, die sich immer | |
| öfter auch in Gewalt äußert. Sie verweist auf Kontinuitäten seit den 1990er | |
| und 2000er Jahren, aber auch auf über diese Zeit gewachsene Verbindungen, | |
| eine aktive Zivilgesellschaft. Da, wo die Brandmauer bröckelt, wird fleißig | |
| verputzt. | |
| ## Friedliche Koexistenz trotz anderer Gesinnung | |
| Unterwegs in Schmilka, ein weiteres süßes Örtchen. Eine Person, die anonym | |
| bleiben will, beschwert sich über die (vermutlich Journalist*innen), die | |
| immer schreiben, dass hier alle rechtsextrem sein, die einen belehren | |
| wollen, obwohl sie aus einer ganz anderen Lebensrealität kommen. Die | |
| Menschen auf den Dörfern hätten „zu kämpfen“, müssten weit zu ihren Jobs | |
| fahren und hätten „den Hals voll“. | |
| Das Vertrauen in die Parteien sei verloren, sie verspürten wenig | |
| Selbstwirksamkeit, wünschten sich Veränderung. Verständnisvoll ließe sich | |
| einwenden: Die Menschen im Landkreis SOE sind nicht die einzigen, die sich | |
| Veränderung wünschen. Allerdings besteht zwischen diesem Wunsch und der | |
| Wahl der in Sachsen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften AfD | |
| kein Automatismus. | |
| Der Betreiber des Kiosks „Zur alten Schule“, ein Zugezogener aus Berlin, | |
| bezeichnet sich selbst als „links“ und sei schonmal in eine | |
| Auseinandersetzung mit einem mittlerweile untergetauchten Rechtsextremisten | |
| geraten, weil dieser sich rassistisch gegenüber zwei Tourist*innen | |
| äußerte. Trotzdem, meint der Betreiber, begegnen ihm offen | |
| menschenfeindliche Aussagen hier selten. Er meint, im Ort stehe die | |
| friedliche Koexistenz über der politischen Gesinnung. Vor seinem Laden | |
| sitzen Linke und Rechte bei Bockwurst und Bier zusammen, es läuft Musik und | |
| man kommt miteinander ins Gespräch. Was nach einem Juli Zeh Roman klingt, | |
| erscheint glaubhaft, auf eine Art naiv, macht hier aber trotzdem Hoffnung. | |
| ## Überregionale Unterstützung ist besonders wichtig | |
| Auf dem Weg zur Fähre, von Postelwitz am Elbufer entlang in Richtung Bad | |
| Schandau. Wie überall verkünden hier Schilder: „Zimmer zu vermieten“, | |
| „Selbstgemachte Marmelade“ oder „Biergarten“. Wer am Verkaufsstand nach… | |
| Rechtsextremismus in der Region fragt, kann als Antwort hasserfüllte Blicke | |
| bekommen. Doch der Tourismus boomt, die Menschen profitieren. Eine | |
| Rezeptionistin wehrt sich deswegen auch gegen die Bezeichnung „abgehängt“. | |
| Wie sie gibt es viele, die positiv auf die Region blicken, sie | |
| mitgestalten. | |
| Trotzdem ist, wie Max und Lukas von SOE gegen Rechts betonen, Zusammenhalt | |
| und überregionale Unterstützung hier besonders wichtig. Sonst kann es | |
| passieren, wie in Berggießhübel im letzten Jahr, dass eine Demonstration | |
| der Freien Sachsen mit tausenden Teilnehmer*innen gegen eine geplante | |
| Unterkunft für Geflüchtete ungestört stattfinden kann. Die Gefahr rechter | |
| Hegemonie ist real. Geflüchtete werden in Berggießhübel nun übrigens nicht | |
| untergebracht. | |
| Die Sonne scheint, die Tourist*innenströme bewegen sich mit der Fähre | |
| über das kühlende Wasser der Elbe in Richtung der S-Bahn. Zurück in der | |
| Großstadt. In den Nachrichten und auf Social Media kursieren die ersten | |
| Videos des Aufmarschs von Rechtsextremist*innen beim Christopher | |
| Street Day in Bautzen. In der Sächsischen Schweiz ist das von den | |
| Gesprächspartner*innen bereits antizipiert worden, es überrascht | |
| nicht. | |
| Jeremias Tacke, 23, geboren und aufgewachsen in Dresden, studiert | |
| mittlerweile in Leipzig Politikwissenschaft und Anglistik. Schreibt und | |
| veröffentlicht literarische und journalistische Texte. | |
| FOTO: Tim Gassauer, 27, aufgewachsen in Thüringen, lebt und arbeitet als | |
| Fotograf zwischen Berlin und Chemnitz. | |
| 1 Sep 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Jeremias Tacke | |
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