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# taz.de -- Olympische Ausschlüsse: Die Obsession mit „richtigen“ Frauen
> Ein neues Sachbuch erzählt, wie erst Olympia 1936 die Ausschlüsse
> „unfemininer“ Frauen festschrieb. Und, wie dieses Nazi-Erbe bis heute
> fortwirkt.
Bild: Bis heute werden „unfeminine“ Frauen beargwöhnt und ausgeschlossen, …
Berlin 1936. Unbeeindruckt von der steten Machtzunahme der Nazis plant die
Führung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) [1][die Austragung
der Olympischen Spiele in Deutschland]. Erst kurz zuvor, 1935, hatte der
tschechische Sprintstar Zdeněk Koubek, der bei den Women’s World Games 1930
einen Weltrekord im 800-Meter-Lauf aufgestellt hatte, verkündet, von nun an
als Mann zu leben. Die öffentliche Rezeption ist positiv: Zeitungen
berichten wohlwollend über die Transition des Athleten – „marvellous“ �…
Mediziner*innen besprechen Koubeks vermutete Intersexualität als
Beispiel für die Fluidität von Geschlecht.
Wie kommt es, dass das positive öffentliche Interesse an Koubeks
Geschlechtsidentität und sportlichen Erfolgen heute undenkbar ist? In
seinem Buch „The Other Olympians: Fascism, Queerness and the Making of
Modern Sports“, findet Autor Michael Waters Antworten und zeigt:
Historischer Fortschritt ist nicht linear. Der Sportarzt Heinrich Knoll,
NSDAP-Mitglied und bekennender Anhänger eugenischer Lehre, nimmt die Spiele
1936 sowie Koubeks Öffentlichkeit zum Anlass, um parallel zur
[2][Entfernung „unpassender Elemente“ aus dem Sport], also jüdischer und
nicht-weißer Personen, für die Einführung von Geschlechtskontrollen bei
Athletinnen zu werben.
Im späteren IOC-Vorsitzenden Avery Brundage sowie Hitlers Sportfunktionär
Karl Ritter von Halt findet Knoll Verbündete. Es ist, so Waters, „eine
seltsame Wendung der Geschichte“: Eine Reihe nazifreundlicher
Sportvorstände beschließt aufgrund ihrer Ablehnung gegenüber
(„unfemininen“) Frauen im Sport die Notwendigkeit klarer Kriterien für
Weiblichkeit und macht sich die institutionelle Überwachung von Geschlecht
zur Aufgabe – und das, bevor die heute normalisierte staatliche
Reglementierung und Katalogisierung von Geschlecht existiert.
Schon bei den ersten einzelnen Geschlechtstests 1936 ist allerdings unklar,
welche Sportlerinnen des „Geschlechterbetrugs“ verdächtigt werden: Frauen,
die sich rasieren, muskulös sind oder tiefe Stimmen haben? Frauen, die
Weltrekorde brechen? Frauen aus kommunistischen Ländern?
## Details bis heute geheim
Aus gutem Grund halten Sportverbände noch heute die Details ihrer
Geschlechtstests geheim. Wurden dafür anfangs invasive
Genitaluntersuchungen vorgenommen und später Chromosomenpaare und/oder
Testosteronspiegel getestet, so eint all diese Vorgehen: Sie sind
willkürlich, denn ein biologisch isolierbarer Faktor, der männlich von
weiblich unterscheidet, existiert ebenso wenig wie ein Garant für
sportlichen Vorteil.
Trotzdem ordnet der einflussreiche Leichtathletikverband IAAF (heute World
Athletics) 1948 die ersten flächendeckend verpflichtenden Geschlechtstests
an. Dass damit die Disziplin mit dem damals größten Anteil von
Athlet*innen aus rassifizierten Minderheiten und niedrigen sozialen
Schichten als erste betroffen ist, ist kein Zufall. Auch die heutige
Obsession mit „richtiger“ Weiblichkeit im Sport inklusive der jüngsten
Hasskampagne [3][gegen die bei Olympia 2024 für Algerien angetretene
Boxerin Imane Khelif] ist nicht nur als transphob, sondern immer im Kontext
eines historisch gewachsenen rassistischen Weiblichkeitsbegriffs zu
verstehen.
Berührend und fesselnder geschrieben als ein Roman legt Waters in „The
Other Olympians“ anhand einzigartiger Archivfunde die Verstrickung der
Schicksale nonkonformer Sportler*innen wie Koubek in die Entstehung des
olympischen Geschlechterregimes offen. Er zeigt dabei eindrücklich: Die
scheinbar unumgängliche geschlechtliche Zweiteilung im Sport [4][ist längst
nicht so natürlich, wie sie scheint].
26 Aug 2024
## LINKS
[1] /Geschichte-der-Neuzeit-Spiele/!5831607
[2] /Olympische-Spiele-1936/!6022713
[3] /Olympische-Genderdebatte/!6024185
[4] /Inklusiver-Sport-fuer-alle-Geschlechter/!5847052
## AUTOREN
Agnes Laffert
## TAGS
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Olympia 1936
Sexuelle Vielfalt
Diversität
Social-Auswahl
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Imane Khelif
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