# taz.de -- Männer-Bundesliga: Bayer oder Bayern? | |
> Leverkusen will mit der Titelverteidigung in der Männer-Bundesliga | |
> Geschichte schreiben. Die Konkurrenten stehen eigentlich schon fest. | |
Bild: Leverkusen wieder vor den Bayern? Münchens Jamal Musiala (links) und Lev… | |
An diesem Wochenende geht die Bundesliga in ihre 62. Saison. Das letzte | |
Mal, dass es einem anderen Verein als dem FC Bayern gelang, die Liga | |
zweimal in Folge zu gewinnen, war in den Spielzeiten 2010/11 und 2011/12 | |
gewesen, als Jürgen Klopps Borussia Dortmund den Rekordmeister auf Platz | |
zwei verwies. 1995–97 war dies dem [1][BVB] ebenfalls gelungen, 1981–83 dem | |
Hamburger SV. | |
Die letzten beiden Spielzeiten riefen Erinnerungen an die Jahre 2010–12 | |
wach. Denn eigentlich hätten die Bayern schon 2022/23 nicht Meister werden | |
dürfen. Schon damals schwächelte der Rekord- und Abonnementmeister mächtig. | |
Aber der BVB vergab am letzten Spieltag kläglich den Matchball. Bayerns 33. | |
Meistertitel fühlte sich nicht wirklich echt an. | |
2023/24 waren sie nun fällig. Fast in Stein gemeißelt gilt: Die Bayern | |
werden immer Meister – es sei denn, der Klub begeht zu viele Fehler und | |
befindet sich gerade in einer Krise. Und ein anderer Klub ist stark genug, | |
diese für sich zu nutzen. | |
Exakt dies war der Fall: Thomas Tuchel, für den der für eine hohe Ablöse | |
geholte [2][Julian Nagelsmann] gehen musste, war nicht der erhoffte | |
Heilsbringer. | |
## Titelverteidigung Bayer Leverkusen | |
Diejenigen, die die Operation Tuchel zu verantworten hatten, waren nicht | |
mehr an Bord. Die Kaderplanung war nicht gut, der Trainer befand sich auf | |
Abruf, die Suche nach seinem Nachfolger laut, peinlich und erfolglos. | |
[3][Bayer Leverkusen] war in so ziemlich jedem Bereich besser aufgestellt. | |
Gelingt es Bayer in der neuen Saison als drittem Verein nach dem HSV und | |
dem BVB den Titel wenigstens einmal zu verteidigen? Oder geht die Schale | |
zurück nach München? | |
Durchaus möglich, dass Alonso und Co. das Meisterstück wiederholen. Denn | |
gut erholt und richtig sortiert wirken die Bayern immer noch nicht. | |
Funktioniert Vincent Kompany, nicht Bayerns erste Wahl bei der | |
Trainersuche, ähnlich gut wie Xabi Alonso nach seiner Verpflichtung durch | |
Bayer? | |
Aber auch der BVB, der mit Nuri Şahin als Trainer ins Rennen geht, | |
ebenfalls ein Liganovize, könnte den Bayern wieder gefährlich werden. | |
Anders als Kompany war Şahin beim BVB tatsächlich dessen erste Wahl und von | |
langer Hand vorbereitet. | |
Es ist viel von einer Zementierung der Machtverhältnisse in der Liga die | |
Rede. Dazu zählt nicht nur, dass die Bayern in der Regel Meister werden. | |
Total ist diese Zementierung aber nicht. | |
## Die Top-Sechs der Buli | |
In der Saison 2023/24 besetzten die sechs Vereine mit dem höchsten | |
Kaderwert auch in der Liga die Plätze eins bis sechs. Allerdings nicht in | |
der Reihenfolge ihrer Kaderwerte. Diesen folgend hätte der Zieleinlauf | |
Bayern vor Bayer, RB Leipzig, Dortmund, Stuttgart und Frankfurt lauten | |
müssen. | |
Meister wurde aber Bayer und dies mit einem Vorsprung von 17 Punkten. Dabei | |
lag Bayers Kaderwert um gut 300 Millionen Euro unter dem der Bayern. | |
Gemeinsam mit dem Aufsteiger 1. FC Heidenheim verbuchten die Bayern die | |
größte Diskrepanz zwischen Kaderwert und sportlichem Ertrag. | |
Am unteren Ende der Tabelle hätten Kaderwerten folgend die direkten | |
Absteiger Darmstadt 98 und VfL Bochum heißen müssen. Der Relegationsplatz | |
wäre an Aufsteiger 1. FC Heidenheim gegangen, der 1. FC Köln hätte den | |
Abstieg vermieden. In der Realität stiegen Köln und Darmstadt ab. | |
Wobei die Differenz zwischen den Kaderwerten von Köln und Heidenheim zu | |
vernachlässigen ist. Der VfL Bochum überstand die Relegation nur dank eines | |
kleinen Fußballwunders. Und Heidenheim? Landete in der Ligatabelle auf | |
Platz acht. Der Aufsteiger war der Überperformer schlechthin. | |
## Königsklasse | |
Eine Etablierung in der Bundesliga unter den Top 4 hat zur Voraussetzung | |
einen kontinuierlichen Aufenthalt in der [4][Champions League]. Denn es | |
sind Gelder aus diesem Wettbewerb, die den Unterschied ausmachen. | |
Eine einmalige Teilnahme reicht nicht. Im Gegenteil, sie kann im Absturz | |
ins Mittelfeld der Liga münden. Oder, wie das Beispiel Union zeigt, noch | |
tiefer. Ein Klub qualifiziert sich überraschend für die Champions League | |
und gestaltet nun seinen Kader für die zusätzliche Belastung neu. | |
Die Neugestaltung erfordert erhebliche Investitionen, aber der erhoffte | |
sportliche Erfolg bleibt aus. In der Champions League ist nach der | |
Gruppenphase Schluss, und in der Bundesliga gelingt der Mannschaft nicht | |
die erneute Qualifikation für die „Königsklasse“. Auch für die Uefa Euro… | |
League reicht es nicht. Nun muss sich der Klub mit einem teuren, aber | |
dysfunktionalen Kader herumschlagen. Zwischen Kaderwert und Tabellenplatz | |
klafft eine Lücke. Ein klassischer Fall von Überinvestition. | |
Das Problem der Liga ist ganz einfach: Jeder Platz in der Tabelle wird nur | |
einmal vergeben. Bei vielen Vereinen überwiegt deshalb am Ende der Saison | |
die Enttäuschung. | |
## Die Aufsteiger | |
In der neuen Saison ist Holstein Kiel der Verein mit dem kleinsten Etat und | |
geringsten Kaderwert. Holstein gehört in die Kategorie der Vereine, die auf | |
ein organisches Wachstum setzen. Was einfacher ist, wenn niemand von der | |
Mannschaft einen Kampf um die Plätze an den europäischen Fleischtöpfen | |
erwartet. Oder gar die Meisterschaft. | |
Interessant ist Holsteins Trainerhistorie: Markus Anfang, Tim Walter, Ole | |
Werner, seit Oktober Marcel Rapp. Zwischen Walter und Werner mit André | |
Schubert ein kurzer Fehlgriff. Anfang, Walter und Werner profilierten sich | |
in Kiel und wechselten zu größeren und/oder höherklassigen Klubs. | |
2020/21 verfehlte der Klub den Aufstieg vielleicht nur auf Grund von Corona | |
und eines höchst unglücklichen Spielplans. Binnen viereinhalb Wochen waren | |
acht Punktspiele sowie das Pokalhalbfinale gegen den BVB zu bestreiten. | |
Diesen neun Spielen folgten dann noch die beiden Relegationsspiele gegen | |
den 1. FC Köln. | |
Holstein ließ sich dadurch aber nicht zurückwerfen. Als der Klub Marcel | |
Rapp als Trainer verpflichtete, war dieser weithin unbekannt. Rapp kam aus | |
dem Nachwuchsbereich von 1899 Hoffenheim. Tim Walter und Ole Werner hatten | |
eine ähnliche Biografie. Holstein legt offensichtlich Wert auf harte | |
Arbeiter, Ausbilder und Bessermacher. Holstein ist ein Klub mit einer | |
klaren Philosophie und entwickelt sich innerhalb von Leitplanken, die bei | |
einigen anderen (und größeren) Traditionsvereinen fehlen. Oder gleich beim | |
ersten Rückschlag wieder demontiert werden. | |
Was organisches Wachstum bedeutet, hat kein Verein besser vorgemacht als | |
der SC Freiburg. Auch die Personalpolitik betreffend. Bevor Christian | |
Streich im Januar 2012 die Profis übernahm, trainierte er die U19 des | |
Klubs. Außerdem war er Co-Trainer bei den Profis. | |
Sein Nachfolger ist nun Julian Schuster, zuvor Verbindungstrainer zwischen | |
der U19, der U23 und Bundesligaprofis, aber auch Co-Trainer bei Letzteren. | |
Freiburgs Wachstums erfolgte sukzessive und fast im Stillen. 2024/25 belegt | |
man beim Kaderwert Platz 8. Der Sportclub ist heute ein Verein, den man in | |
die obere Hälfte der Tabelle einordnet. | |
Für den Mittelstand in der Liga gilt: Stimmen Philosophie, Ausbildung, | |
Scouting und Kaderpolitik, dann kann man schon mal überperformen und die | |
Tabelle aufmischen. Für einen Platz in der Gruppe der Top 6 wird es | |
allerdings nur reichen, wenn mindestens einer der Etablierten stark unter | |
den Erwartungen bleibt. | |
## Der internationale Vergleich | |
Nach dem Scheitern des schlecht kommunizierten und wenig attraktiven | |
Investorendeals werden Bayern, der BVB und Co. auch in der kommenden Saison | |
beklagen, dass die Bundesliga gegenüber der Premier League chancenlos sei. | |
Für eine angeblich hoffnungslos abgehängte Liga schnitt die Bundesliga in | |
den europäischen Wettbewerben ziemlich gut ab. In der Champions League und | |
der Europa League stellte sie jeweils einen Finalisten. | |
Und die Zuschauerzahlen zeigen: Die meisten Fans scheinen ohnehin nicht die | |
Sorgen ihrer Klubbosse zu teilen. Mit der Premier League wird man | |
finanziell nie auf Augenhöhe gelangen. In Sachen internationaler | |
Vermarktung hat die englische Liga, bedingt durch die Geschichte des | |
Empires und die Sprache, einen Vorsprung, den man bestenfalls verringern | |
kann. | |
Umso sinnvoller wäre es, verschärft darüber nachzudenken, wodurch sich die | |
Bundesliga von den Eliteklassen der anderen Länder abheben könnte. | |
Beispielsweise durch eine andere Verteilung ihrer Einnahmen, Fannähe und | |
Nachhaltigkeit. | |
Die Attraktivität der Bundesliga ist ungebrochen. In der letzten Saison | |
kamen im Schnitt 39.500 Zuschauer pro Spiel. Das war Platz eins in Europa – | |
trotz Leverkusen, Hoffenheim, Heidenheim, Augsburg, Wolfsburg, Bochum, | |
Berlin und Darmstadt, wo das Fassungsvermögen der Stadien lediglich 30.000 | |
und weniger betrug. | |
Und nicht alle der genannten Adressen gelten als attraktiv. Einige der | |
größten Klubs mit großen Stadien und großem Zuspruch bereichern die 2. | |
Liga. Bei der EM stellten die Zweitligisten vier der acht Stadien – mit dem | |
Absteiger Köln waren es sogar fünf. In der Zuschauertabelle befinden sich | |
unter den Top 20 neun Zweitligisten. Unter den Top 10 sind es immerhin noch | |
drei. | |
Die Vermarkter dürfte es nicht freuen, dass statt Hamburg, Schalke, Hertha | |
oder Köln und Kiel und Heidenheim im Oberhaus spielen. Aber das ist Sport. | |
Genauer: Es ist das, was uns vom Sport noch geblieben ist. | |
23 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Dietrich Schulze-Marmeling | |
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