| # taz.de -- Kriegsveteranen bei den Paralympics: Von der Front auf das Spielfeld | |
| > Die Paralympics sind eng mit Krieg verbunden. Die Konfliktgeschichte | |
| > vieler Länder lässt sich in paralympischen Disziplinen ablesen. Auch in | |
| > Paris. | |
| Bild: Auch Dmytro Melnyk, Drohnen-Pilot des ukrainischen Militärs, nimmt an de… | |
| Paris taz | Fast ein Jahr war Dmytro Melnyk für das ukrainische Militär an | |
| der Front. In der Nähe der östlichen Stadt Wowtschansk saß er in einem | |
| Lagerhaus und steuerte bewaffnete Drohnen auf russische Truppen. Manche | |
| seiner Schichten dauerten 18 Stunden. Doch nun darf Dmytro Melnyk den Krieg | |
| für ein paar Tage hinter sicher lassen. Mit den ukrainischen | |
| [1][Sitzvolleyballern] nimmt er an den Paralympics in Paris teil. | |
| Dmytro Melnyk, 44, hat seine Behinderung seit seinem 18. Lebensjahr. Er war | |
| von einem Balkon gestürzt, brach sich Becken und Hüfte, sein linkes Bein | |
| ist zehn Zentimeter kürzer als sein rechtes. Nach der langen Rehabilitation | |
| begann Melnyk mit Sitzvolleyball. Er nahm mit der Ukraine 2016 an den | |
| Paralympics in Rio teil. Der Sport war sein Lebensmittelpunkt. Bis zum | |
| Kriegsbeginn 2022. | |
| Seither wollte sich Dmytro Melnyk mehrfach der ukrainischen Armee | |
| anschließen, aber wegen seiner Behinderung wurde er immer wieder abgelehnt. | |
| Er ließ sich auf eigene Kosten zum zivilen Drohnenführer ausbilden und | |
| wurde im März 2023 schließlich doch angenommen. Zuletzt an der Front | |
| trainierte er Aufschläge und Schmetterbälle an der Ziegelwand eines alten | |
| Bauernhauses. | |
| Es sind rund 4.400 Sportlerinnen und Sportler aus 167 Ländern, die seit | |
| Mittwoch an den 17. Sommer-Paralympics teilnehmen. Viele von ihnen leben | |
| seit der Geburt mit einer Behinderung. Andere erkrankten im Laufe ihres | |
| Lebens oder mussten sich nach Unfällen amputieren lassen. In etliche | |
| Biografien haben sich auch Konflikte eingeschrieben: Zahlreiche Athleten | |
| wurden einst als Soldaten verwundet, andere betrachten ihren Sport noch | |
| immer als patriotische Pflicht. Die Weltspiele des Behindertensports sind | |
| so sehr mit Krieg verbunden wie kaum eine andere Sportbewegung. | |
| ## Neutrale Athleten aus Russland vermutlich nicht so neutral | |
| Besonders sichtbar ist das in der Ukraine. Laut Valeriy Sushkevych, dem | |
| Präsidenten des Nationalen Paralympischen Komitees, sollen die Wohnungen | |
| und Häuser von 100 ukrainischen Paralympiern zerstört worden sein. Ihr | |
| Hauptquartier und ihr Trainingszentrum auf der Krim werden seit der | |
| Besatzung auch von russischen Soldaten für Sport genutzt. Für Sushkevych | |
| ist es unerträglich, dass in Paris 98 „neutrale Athleten“ aus Russland und | |
| Belarus teilnehmen. Offiziell haben diese keine Verbindung zu Putins | |
| Sicherheitsapparat. | |
| Doch die ukrainischen Paralympier recherchieren seit mehr als zwei Jahren, | |
| um das Gegenteil zu beweisen. Laut Sushkevych ist der Behindertensport in | |
| Russland eine wichtige Säule in der Rehabilitation verwundeter Soldaten. | |
| Dafür wurde in der besetzten Region Donezk offenbar eine neue | |
| Sportorganisation gegründet. In Belarus soll ein paralympischer Schwimmer | |
| sogar an der Entführung ukrainischer Kinder beteiligt gewesen sein. | |
| Die Konfliktgeschichten einiger Länder lassen sich in paralympischen | |
| Disziplinen ablesen. In Ruanda müssen nach dem Genozid 1994 viele verletzte | |
| Tutsi mit Amputationen leben. Einige von ihnen begründeten eine Tradition | |
| im Sitzvolleyball. Das ruandische Frauenteam hat sich nun für Paris | |
| qualifiziert. Bei den Männern ist Bosnien und Herzegowina vertreten. Nach | |
| dem Krieg in den Neunzigern wurde Sitzvolleyball auch dort zu einer | |
| geachteten Sportart. | |
| Doch niemand fördert seine Kriegsverletzten so sehr wie die USA. Soldaten, | |
| die im Irak oder in Afghanistan verwundet wurden, sind oft gegenüber | |
| denjenigen im Vorteil, die nach einem Unfall oder einer Erkrankung auf das | |
| reformbedürftige Gesundheitssystem angewiesen sind. Das Verteidigungs- und | |
| das Kriegsveteranenministerium und Dutzende private Organisationen stellen | |
| Förderungen in Millionenhöhe bereit. An diesem System orientieren sich | |
| Athleten in Großbritannien und Kanada. Regelmäßig messen sie sich bei | |
| eigenen Wettbewerben wie den „Warrior Games“ und den [2][„Invictus Games�… | |
| ## Das Fundament der Paralympics | |
| Damit kehren die Paralympics zu ihren Wurzeln zurück. Es war der Neurologe | |
| Ludwig Guttmann, der während des Zweiten Weltkrieges in der englischen | |
| Kleinstadt Aylesbury die Behandlung von Querschnittsgelähmten | |
| revolutionierte. Er animierte sie zu mehr Bewegung und organisierte im Juli | |
| 1948, am Eröffnungstag der Olympischen Spiele von London, im Park seines | |
| Krankenhauses einen Wettbewerb im Bogenschießen für 16 Kriegsversehrte. Es | |
| war das Fundament der Paralympics, die seit 1960 alle vier Jahre | |
| stattfinden. | |
| An das Vermächtnis des jüdischen Mediziners Guttmann, der vor den Nazis | |
| geflohen war, wird in diesen Tagen vor allem in Israel erinnert. Im | |
| historischen Medaillenspiegel der Sommer-Paralympics belegt das kleine Land | |
| Rang 15. Die beste Platzierung gelang 1976 in Toronto: Rang drei mit 69 | |
| Medaillen. Damals nahmen für Israel etliche Sportler teil, die als Soldaten | |
| im Sechstagekrieg und im Jom-Kippur-Krieg verwundet worden waren. Unter | |
| ihnen Moshe Matalon, der heute dem Nationalen Paralympischen Komitee | |
| Israels vorsteht. | |
| Er möchte, dass die etwa 10.000 Soldaten, die seit dem 7. Oktober | |
| medizinisch behandelt werden, durch Sport wieder in den Alltag | |
| zurückfinden. Und vielleicht nehmen sie dann an den Paralympics 2028 teil. | |
| Der inoffizielle Titel seines Projekts: „Von Gaza nach Los Angeles“. | |
| 29 Aug 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ronny Blaschke | |
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