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# taz.de -- Medikamentenmangel bei STIs: Sommer, Sonne, Syphilis
> Sexuell übertragbare Krankheiten sind in Berlin verbreitet, doch es fehlt
> an Medikamenten. Die Linke fordert vom Senat mehr Engagement.
Bild: Im Grad kann es auch schnell Kribbeln
Berlin taz | Aperol Spritz, Cornern, vielleicht eine kleine Romanze –
Sommer ist die beste Zeit in Berlin. Doch die Schmetterlinge im Bauch
führen bei einigen zu Juckreiz. Laut aktuellen Zahlen hat Berlin die
höchste Inzidenz von Syphilis-Infektionen, 40 pro 100.000
Einwohner*innen, und die zweithöchste Inzidenz bei [1][HIV], direkt
hinter Hamburg. Viele sexuell übertragbare Infektionen werden gar nicht
erst systematisch erfasst, Tripper aufgrund des starken Anstiegs,
bundesweit erst seit 2022.
Währenddessen stehen Patient*innen und Apotheken vor einem Problem:
Nachdem der Lieferengpass für HIV-Medikamente sich gerade erst entspannt
hat, herrscht zurzeit ein Mangel an Wirkstoffen zur Behandlung von
Chlamydien, Gonorrhoe (Tripper) und Syphilis.
Besonders fehlen die Antibiotika [2][Doxycyclin] und Azithromycin, die auf
der WHO-Liste für unentbehrliche Arzneimittel stehen. Doxycyclin kann nach
einem Risikokontakt, zumeist ungeschütztem Sex, eingesetzt werden und
bestenfalls eine Infektion mit Syphilis und Chlamydien verhindern. Wer aber
nicht behandelt werden kann, ist auch bei Infektionen, die von selbst
ausheilen, länger ansteckend. Wer länger ansteckend ist, steckt potenziell
auch öfter andere an.
Doch die Breitbandantibiotika werden nicht nur bei sexuell übertragbaren
Krankheiten (STIs), sondern auch bei Infektionen des Magen-Darm-Traktes und
der Atemwege eingesetzt. Zudem ist der Engpass bei „Doxy“ für
Patient*innen mit Penicillin-Allergie gefährlich: Für manche ist der
Wirkstoff die einzige Alternative.
## Senat hofft auf den Markt
In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken nennt der Senat
unzureichende Produktionskapazitäten für Doxycyclin und einen Mangel wegen
erhöhter Nachfrage bei Azithromycin. Man gehe aber davon aus, dass sich die
angespannte Versorgungslage „kurzfristig stabilisieren“ werde. Dennoch
heißt es, dass bereits kleinere Störungen in der Lieferkette zu
schwerwiegenden Engpässen führen.
Am Markt gebe es eine Konzentration auf nur wenige Anbieter, die fast alle
außerhalb Europas produzieren. Tatsächlich hätte sich der
Versorgungsengpass von Doxycyclin laut Herstellermeldungen bereits Ende
Juli entspannen sollen. Dies wurde nun korrigiert, mit einer Normalisierung
der Lieferkapazitäten wird jetzt erst ab Ende September gerechnet.
Carsten Schatz, gesundheitspolitischer Sprecher der Linken, fordert, dass
sich der Senat in die Debatte über die sich bundesweit häufenden Engpässe
mehr einbringt. „Berlin braucht für seine Einwohner*innen ein
Sicherheitsnetz, gerade wenn es um die Versorgung mit wichtigen
Medikamenten geht. Derzeit sind 50 Prozent des Bedarfs an Doxy nicht
gedeckt.“
## Versorgung nur durch Tricks
Einer, der sich darum bemüht, ein Sicherheitsnetz für die
Berliner*innen zu schaffen, ist Tobias Hermann. Der Apotheker hat
„kinkgesund“ gegründet, eine Initiative der Bezirksapotheken. Sie berät
rund um die Themen sexuelle Gesundheit, Medikation und risikoarmen
Drogenkonsum. Hermann arbeitet in der Bezirksapotheke Friedrichshain mit
dem Schwerpunkt HIV und sexuell übertragbare Krankheiten.
„Unser Ziel ist es, einen Raum zu schaffen, in dem alle Fragen offen
gestellt werden können – ohne Scham oder Vorurteile“, sagt Hermann der taz.
Gerade in einer Zeit, in der Themen wie HIV, Tripper und Syphilis oft
missverstanden oder tabuisiert würden, sei es wichtig, den Menschen
fundierte Informationen und Unterstützung zu bieten.
Während viele Apotheken Kund*innen wegschicken oder vertrösten müssen,
konnte die Bezirksapotheke Friedrichshain die Versorgung bisher
aufrechterhalten. „Bei Azithromycin haben wir Abhilfe geschaffen, indem wir
Tabletten mit geringerer Wirkstoffmenge bestellt haben“, erklärt Hermann.
„Die Umstellung bedeutet aber auch, dass Patient*innen mehr Tabletten
einnehmen müssen, das kann das Risiko von Einnahmefehlern erhöhen.“
Der Linke-Politiker Carsten Schatz vermutet, dass die Lieferengpässe ein
Druckmittel der Pharmahersteller gegen die Preispolitik sind. Deutschland
zahlt den Herstellern vergleichsweise wenig für Wirkstoffe. Sobald ein
Mangel entsteht, werden andere Länder bevorzugt beliefert. Die USA etwa
zahlen teilweise das Dreifache.
## Kein funktionierendes System
Gleichzeitig offenbart sich hier ein europäisches Problem: Die Systeme zur
Meldung von Engpässen erfolgen erst, wenn sie bereits bestehen.
Vorwarnungen gibt es nicht. Engpässe bei Wirkstoffen, die nur als
„versorgungsrelevant“, nicht aber als „versorgungskritisch“ eingeordnet
werden, werden sogar nur auf freiwilliger Basis durch die Hersteller
gemeldet. Das betrifft auch Doxycyclin.
Bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) wird der Engpass von
Azithromycin und Doxycyclin nicht einmal angezeigt. Alle europäischen
Länder haben unterschiedliche Listen von versorgungskritischen
Arzneistoffen. Ein europaweites Überwachungssystem ist zurzeit noch in
Arbeit.
Apotheker versuchen, sich angesichts des ineffizienten Systems selbst zu
helfen. „Einer unserer Kollegen ist Spanier und checkt für uns die
Meldungen zur Lieferbarkeit auch im System der spanischen
Arzneimittelbehörde, dadurch konnten wir teilweise Medikamente schneller
bestellen als andere“, so Hermann.
Ein großes Risiko seien zudem die Produktionsketten: „Asien hat ein Monopol
bei der Medikamenten- und Wirkstoffherstellung. Es muss dringend wieder in
der EU und auch in Deutschland produziert werden, damit wir uns aus dieser
Abhängigkeit befreien können.“ 63 Prozent der Wirkstoffherstellung für den
europäischen Markt erfolgt in Asien, lediglich 5 Prozent werden in
Deutschland produziert.
Der Senat hält derweil eine „gesonderte Aktivität des Landes Berlin weder
für angezeigt noch für sinnvoll“. Auch plane man nicht die Bevölkerung üb…
die Medikamentenengpässe zu informieren. Befürchtet wird eine
„Verunsicherung des gesamten Betroffenenkreises“. Das sei „hinsichtlich
einer Verbesserung der Versorgungslage“ nicht hilfreich.
Carsten Schatz fordert, dass der Senat gegenüber der Bundesregierung und
der EU aktiv wird. „Medikamentenversorgung gehört zur Daseinsvorsorge, das
kann man nicht dem Markt überlassen.“ Freiheit und Diversität der
Hauptstadt zu preisen sei eine Sache, sich darum zu kümmern, dass dafür
auch der Rahmen stimmt, eine andere. „Hier versagt der Senat.“
20 Aug 2024
## LINKS
[1] /Welt-Aids-Konferenz/!6022524
[2] /Schutz-vor-Geschlechtskrankheiten/!6020640
## AUTOREN
Luisa Ederle
## TAGS
Medikamente
Sex
Mpox
Schwerpunkt LGBTQIA
Sex
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