| # taz.de -- Angst vor israelisch-libanesischem Krieg: Zwischen Panik und Sarkas… | |
| > Im Libanon bereiten sich die Menschen auf die Ausweitung des Krieges | |
| > zwischen der Hisbollah und Israel vor. Und sie fragen sich: Gehen oder | |
| > bleiben? | |
| Bild: Einfach nur raus: Die Angst vor einer Eskalation zwischen Israel und der … | |
| Beirut taz | „Wir wollen keinen Krieg, aber was sollen wir tun?“, fragt der | |
| 70-jährige Rentner Francois Chahwan, während er auf den Beiruter Hafen | |
| blickt. Er lebt in der libanesischen Hauptstadt, in der Nähe des Hafens, in | |
| dem vor vier Jahren Hunderttausende Tonnen Ammoniumnitrat explodierten, | |
| über 200 Menschen starben, Hunderte wurden verletzt. „Damals dachte ich: | |
| Was soll jetzt noch kommen?“ | |
| Chahwan hat den Krieg 1975 bis 1990 im Land durchlebt, sein Erspartes durch | |
| die Wirtschaftskrise 2019 verloren und [1][im August 2020 eine der größten | |
| nichtnuklearen Explosionen der Geschichte] durchgestanden. „Es ist nur noch | |
| ein Überleben. Ich sitze hier fest und möchte – nein, ich muss – | |
| weitermachen.“ Er habe keine Energie, sein Zuhause zu verlassen und von | |
| vorne anzufangen. | |
| Gerade schauen die Menschen in der Region auf den Iran und dessen | |
| verbündete schiitische Miliz Hisbollah im Libanon: Nach dem | |
| [2][israelischen Anschlag auf den hohen Hisbollah-Kommandeur Fuad Schukri] | |
| in Südbeirut und der mutmaßlich israelischen gezielten Tötung von Hamas | |
| Politbüro-Chef Ismail Hanijeh wartet die Region darauf, wie Teheran | |
| reagiert. | |
| ## „Der Libanon will keinen Krieg“ | |
| Die Diplomatie läuft im Hintergrund auf Hochtouren. Die USA drängen den | |
| Iran und Israel, einen umfangreicheren Krieg zu verhindern. Frankreichs | |
| Präsident Emmanuel Macron telefonierte mit Irans neuem Präsidenten Massud | |
| Peseschkian, [3][Jordaniens Außenminister Ayman Safadi flog extra nach | |
| Teheran], um für Deeskalation zu werben. | |
| „Der Libanon will keinen Krieg“, betonte der libanesische | |
| Interims-Außenminister Abdallah Bou Habib am Mittwoch bei einem Treffen mit | |
| dem australischen Botschafter. Seine Regierung setze sich für die Umsetzung | |
| der UN-Resolution 1701 ein, die besagt, dass Hisbollah-Kämpfer sich bis 30 | |
| Kilometer hinter der Grenze im Süden zurückziehen sollen – „aber die | |
| internationale Gemeinschaft muss Israel zwingen, seine Aggression gegen den | |
| Libanon und den Gazastreifen einzustellen“. | |
| In einem Interview im Februar hatte der Außenminister zugegeben, dass die | |
| libanesische Armee die Sicherheit im Südlibanon nicht gewährleisten kann. | |
| Die Regierung halte die Hisbollah an, so zu reagieren, dass der Krieg nicht | |
| ausarte, sagte Bou Habib Anfang August. „Aber jetzt ist es nicht mehr in | |
| unserer Hand.“ | |
| Wie ängstlich die libanesische Regierung ist, zeigte sich am 30. Juli. Am | |
| Abend griff Israel ein Wohnhaus an, tötete dabei den hohen | |
| Hisbollah-Kommandeur Foad Schukr und vier Zivilist*innen, darunter zwei | |
| Kinder. | |
| Am frühen Morgen kam die Nachricht aus Teheran, Hamas Politbüro-Chef Hanije | |
| wurde getötet – mutmaßlich von Israel. „Ich bin ins Bett gegangen und | |
| dachte: Okay, das können wir managen“, sagt Bou Habib. „Aber als ich am | |
| Morgen aufgewacht bin, dachte ich: Oje, es ist vorbei.“ | |
| ## Der Staat ist seit Jahren pleite | |
| Der Staat plant für den Ernstfall, so gut es mit den dürftigen | |
| Finanzmitteln geht. Der Libanon ist seit 2019 in einer tiefen | |
| Wirtschaftskrise, der Staat pleite und auf Spenden angewiesen. | |
| Die Weltgesundheitsorganisation hatte dem Libanon vergangene Woche rund 100 | |
| Paletten medizinischer Produkte geliefert, darunter mehr als 1.000 | |
| Notfallkoffer zur Behandlung von Kriegsverletzten. Vor allem Personal in | |
| Krankenhäusern in Südbeirut wurde die vergangenen Tage geschult und auf | |
| Notfälle mit Kriegsverletzten vorbereitet. | |
| Die Krankenhäuser hätten einen Vorrat für vier Monate, sagt das | |
| libanesische Gesundheitsministerium. Doch kämen zu viele Menschen, könnten | |
| die Vorräte bereits nach wenigen Tagen zur Neige gehen. Sollten die Häfen | |
| oder der Flughafen von Beirut angegriffen werden, würden die Vorräte des | |
| größten öffentlichen Krankenhauses für maximal zehn Tage reichen, sagte | |
| Ministeriumsdirektor Dschihad Saadeh. | |
| ## Vorbereitung auf den Ernstfall | |
| Im Libanon sind die Menschen damit beschäftigt, sich auf den Ernstfall | |
| vorzubereiten und mögliche Szenarien im Kopf durchzuspielen. Er habe einen | |
| Vorrat an Reis, Konserven mit Linsen und Bohnen sowie Medikamenten | |
| angelegt, erklärte ein Bewohner Südbeiruts der libanesischen Zeitung | |
| L’Orient Today. | |
| In den Dahie genannten Vierteln von Südbeirut hat die Hisbollah politisch | |
| die Macht. Dort hatte Israel neben Shukr [4][bereits im Januar den | |
| Hamas-Kommandanten Saleh al-Aruri getötet]. | |
| „Ich habe den Horror des israelischen Psychoterrors miterlebt, seit ich | |
| sechs Jahre alt bin, und es hat mir immer Angst gemacht“ sagt die | |
| 30-jährige Yara Hijazi der taz. Der einmonatige Krieg 2006 sei sehr | |
| traumatisierend gewesen. „Ich stamme aus dem Süden des Libanon, und meine | |
| Eltern leben dort. Die Familie meiner Mutter kommt aus Sour, das ständig | |
| willkürlich angegriffen wird.“ | |
| ## Traumata vergangener Kriege | |
| Viele Libanes*innen denken an vergangene Kriege zurück und die | |
| Traumata, die diese in ihren Knochen und Seelen hinterlassen haben. 2006 | |
| hatte Israel den Flughafen von Beirut angegriffen, raus ging es dann nur | |
| noch auf dem Landweg. Damals waren auch viele Deutsche über Syrien | |
| ausgereist. Doch heute ist dieser Weg versperrt. | |
| Europäische Fluglinien wie Lufthansa oder Air France haben ihre Flüge | |
| eingestellt. Arabische Fluggesellschaften wie die libanesische MEA fliegen | |
| meist weiter – doch es gibt nicht genügend Flüge für die hohe Nachfrage, | |
| Tickets sind oft ausverkauft. Und die Preise für die kommenden Tage sind | |
| mehr als doppelt so teuer wie sonst in der Hauptsaison. | |
| Am Flughafen drängeln sich die Menschen, viele Fluggäste warten. Rund 40 | |
| Prozent der Flüge sind verspätet, 10 Prozent fallen kurzfristig aus. An den | |
| Check-in-Schaltern bilden sich lange Schlangen. Die Verspätungen hätten zu | |
| Panik geführt, hieß es aus Kreisen des Flughafens gegenüber der deutschen | |
| Presseagentur dpa. Viele Passagiere seien frustriert, weil sie | |
| Anschlussflüge verpasst hätten. | |
| ## Gehen oder bleiben? | |
| Die Reaktionen der Libanes*innen reichen von entspannt bis panisch. Die | |
| einen haben ihre Sachen gepackt, sind, so schnell es geht, an den Flughafen | |
| gefahren, um den nächstmöglichen Flug zu nehmen – einfach nur raus. Die | |
| anderen sind entspannt und teilen Fotos vom Sommer am Strand. In eine | |
| Chat-Gruppe schickt eine Frau ein Foto vom Pool und schreibt dazu: „Ich | |
| warte hier, bis ich evakuiert werde.“ | |
| Sarkasmus sei eine Bewältigungsstrategie, sagt Yara Hijazi. Seit sechs | |
| Jahren lebt sie in Deutschland. Als die Menschen im Südlibanon im Oktober | |
| ihre Häuser evakuieren müssen, nimmt sie das mit, erzählt sie. „Ich wollte | |
| nur noch ins Flugzeug springen und bei meiner Familie sein. Das war wohl | |
| meine posttraumatische Belastungsstörung, aber, aber ich wollte bei ihnen | |
| sein.“ | |
| Sie bat ihren Chef, sechs Wochen in den Libanon reisen zu dürfen, drei | |
| Wochen lang von dort zu arbeiten. Normalerweise nutze sie drei Wochen | |
| Sommerurlaub im Libanon, um an den Strand zu gehen, zu entspannen. | |
| „Wir sind hier zusammen, egal was passiert. Das ist besser, als weit weg zu | |
| sein und sich immer Sorgen zu machen, wie es der Familie geht.“ Solange | |
| noch zivile Flüge gehen, bleibt sie im Land. Nach Beirut käme sie selten, | |
| nur zu einer Augenlaser-Operation, der sie sich unterziehen muss. Die | |
| Klinik liegt direkt neben dem Ort des Anschlags. Zum Glück lief alles gut. | |
| „Für uns ist diese Unsicherheit leider normal. Wir leben weiter.“ | |
| 8 Aug 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julia Neumann | |
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