Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Werbekampagnen vor Olympia: Kurdistan auf Mute
> In einer Nike-Kampagne erwähnte ein Rapper Kurdistan. Jetzt ist der Song
> entfernt. Kein Wunder! Mit Rückgrat kennen sich Konzerne einfach nicht
> aus.
Bild: Robin Nazari (links) und Conducta (rechts) auf dem Cover von „Gold“
Sie wollen als Verfechter der Zukunft gesehen werden, als mutige Kämpfer
für marginalisierte Gruppen: Unternehmen und ihre Werbeagenturen. Doch auch
wenn dabei progressive Werbespots entstehen, steht vor allem der Profit im
Vordergrund. Dafür kann man schon mal eine politische Meinung darstellen –
oder sich bei Gegenwind wieder wegducken. So wie Nike.
[1][Nike und Adidas] prägen seit Jahrzehnten mit ihren Trainingsjacken,
Schuhen und Trikots Schulhöfe und Sportplätze. Für viele Jugendliche sind
sie eine einigende Eintrittskarte zu Pop- oder Subkulturen. Die
Werbekampagnen zeigen völkerverständigend Sportler*innen
unterschiedlicher Kulturen, darunter läuft empowernde Musik.
Kurz vor den Sommerspielen in Paris wollten die Marken wieder so einen
Moment der Freude schaffen. Und sie schafften es: Anfang Juli teilten
Instagram-Accounts von kurdischen Aktivist:innen, Musiker:innen und
sogar kurdischen Gemeinden einen dreißigsekündigen Werbespot des
[2][US-amerikanischen Sportherstellers Nike].
In schnellen Schnitten bewerben darin prominente Athlet:innen einen
Sportschuh. Entscheidend ist jedoch die Musik: Zu einem Breakbeat des
Bristoler UK-Garage-Produzenten mit nigerianischen Wurzeln Conducta rappt
Robin Nazari, Teil des kurdischen Künstlerprojekts der Stunde Biji: „I like
to wear my Gold like a kurdish mum. London to Kurdistan“ (Ich mag es, Gold
zu tragen wie eine kurdische Mum. Von London nach Kurdistan).
## Kurzer Moment der Freude
Die Erwähnung von „Kurden“ und [3][„Kurdistan“] lässt vor allem die H…
derer höher schlagen, die kurdische Wurzeln haben und jeden Funken von
Anerkennung ihrer Identität suchen. Diese Freude über eine Werbung, so
verzweifelt das auch klingen mag, ist nachvollziehbar.
Denn selten ist etwas über Kurdistan in den Medien zu hören, ohne dass es
mit Trauer verbunden ist. Etwa mit einem weiteren Militärangriff der
Türkei, unkontrollierten Waldbränden in der Region oder der willkürlichen
Verhängung extremer Haftstrafen an prokurdische Politiker.
Doch der Moment der Freude währte nur kurz und schlug schnell wieder in
Enttäuschung um, als Nike das Video zwei Tage später ohne Erklärung von
seinen Social-Media-Plattformen entfernte und den Spot nun ohne Musik
ausstrahlt. Warum Nike die Musik entfernt hat, ist bis Redaktionsschluss
unklar.
Die nächstliegende Erklärung ist, dass Nike aufgrund der Reaktion – nämlich
Hass –, die das Wort „Kurdistan“ bei manchen Menschen auslöst, eingeknic…
ist. In der Tat wimmelte es nach der ersten Veröffentlichung in den
sozialen Medien von Hass-Kommentaren, insbesondere von türkischen
Nationalist:innen.
Mehrere türkische Medien kritisierten die Werbung als „Terrorpropaganda“.
Wieder reproduzieren sie das Stereotyp, ein staatenloses Millionenvolk
bestehe nur aus Terroristen. So bekommen Menschen, die ihre Kultur,
Identität oder Sprache künstlerisch auszudrücken versuchen, dieses Label
aufgedrückt.
## Kurdische Stimmen, erneut an den Rand gedrängt
„Diese Maßnahme schafft einen gefährlichen Präzedenzfall, der suggeriert,
dass bestimmte Kulturen keine internationale Plattform verdienen“,
erklärten die Künstler Conducta und Biji diese Woche auf Instagram. „Es ist
wichtig, dass multinationale Unternehmen wie Nike für ihre Handlungen zur
Rechenschaft gezogen werden.“
Sie haben damit absolut recht. Die ungerechtfertigte Stummschaltung des
Liedes durch Nike hat kurdische Stimmen erneut an den Rand gedrängt und
setzt das jahrzehntelange Ausblenden der vielfältigen kurdischen Kultur
fort. Sollten kurdische Künstler:innen in Zukunft nur große
internationale Bühnen betreten können, wenn sie ihre Wurzeln verschweigen?
Diese erzwungene Selbstzensur wäre ein besorgniserregendes Zeichen.
Zunächst hatte die Sportmarke das palästinensisch-niederländische [4][Model
Bella Hadid als Testimonial] für eine Schuhkampagne in Anlehnung an die
Olympischen Spiele 1972 in München gewonnen. Eben jene Spiele, bei denen
palästinensische Terroristen 11 israelische Teammitglieder und
Athlet*innen ermordeten. Nach Kritik an der Zusammenarbeit mit Hadid
löschte Adidas die Kampagne.
Ein kurzer Blick auf ihr Instagram-Profil mit 61,3 Millionen Followern und
ihrer pro-palästinensischen Haltung zum Nahostkonflikt hätte für Adidas
genügt, um sich vorher zu fragen, ob es ausgerechnet zu diesem Anlass
passend ist, mit ihr zu werben. Ob sich Adidas über ihre politische
Einstellung bewusst war, ist unklar. Die Kampagne wurde jedenfalls gelöscht
und Adidas von Hadid verklagt.
## Undurchdachte Inszenierung
Milliardenschwere Konzerne wie Nike und Adidas wollen und werden sich immer
wieder mit verschiedenen Werten brüsten wollen und Sportereignisse wie die
Sommerspiele in Paris dafür nutzen. Dabei inszenieren sie sich mit Hilfe
von Musik über Kurdistan oder mit einer palästinensischen Sportlerin als
divers, ohne die Sache jedoch zu durchdenken. Gerade im Fall von Conducta
und Robin Nazari hätte Nike angesichts der Kritik aus nationalistischen
Lagern Rückgrat beweisen können.
Letztendlich bleiben sie dabei aber weiterhin rein auf den Profit
konzentriert und werden keine Moral behalten, die ihnen finanziell schaden
könnte. Sonst müsste sich Nike fragen, ob das Unternehmen [5][nach dem
rechtsextremistischen Wolfsgruß des türkischen Nationalspielers Merih
Demiral] wirklich weiterhin die türkische Fußballnationalmannschaft
ausstatten sollte.
27 Jul 2024
## LINKS
[1] /DFB-Wechsel-von-Adidas-zu-Nike/!5999783
[2] /Sexismus-und-die-US-Leichtathletik/!6003238
[3] /Kurdistan/!t5011513
[4] /Schweigen-und-Hetzen-zum-7-Oktober/!6022243
[5] /Umgang-der-Uefa-mit-dem-Wolfsgruss/!6019229
## AUTOREN
Jean Dumler
## TAGS
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Nike
Adidas
Werbung
Kurdistan
Social-Auswahl
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Nike
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
## ARTIKEL ZUM THEMA
Olympia-Eröffnung: Merci für die tolle Party
Die Eröffnungsfeier der Sommerspiele in Paris zeigt: Es ist ein Glück für
Frankreich, dass der identitäre Nationalismus die Wahl verloren hat.
Umgang der Uefa mit dem Wolfsgruß: Wolfsfreie EM-Übertragung
Die Grauen Wölfe haben die EM in Geiselhaft genommen. Im TV war davon aber
nichts zu sehen. Sind die Bilder der Uefa wichtiger als ihr
Rassismuskonzept?
Sexismus und die US-Leichtathletik: Das bisschen Höschen
Nike und das Team USA haben die Olympia-Dresses vorgestellt. Und fangen
sich Vorwürfe für diesen „halben Tanga“ ein.
DFB-Wechsel von Adidas zu Nike: Habeck, der Standortpopulist
Der Wirtschaftsminister hat den Ausrüsterwechsel kritisiert, er wünscht
„mehr Standortpatriotismus“. Doch Habeck ist beim Joggen selbst kein
Patriot.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.