# taz.de -- Herzinfarkt-Therapie: Gelobte Therapie vor dem Aus | |
> Die körpereigene Abwehr beseitigt bei einem Herzinfarkt noch lebendige | |
> Herzzellen, weil sie diese für tot hält. Eine neue Therapie könnte | |
> helfen. | |
Bild: Das verletzte Herz | |
Jedes Jahr erleiden etwa 200.000 Menschen einen Herzinfarkt. Etwa 45.000 | |
verlieren durch die akute Verengung der Koronararterie ihr Leben. Gelingt | |
es allerdings, binnen zwei Stunden die verstopfte Stelle durch einen | |
Ballonkatheter zu weiten, wird das Herz wieder mit Blut und damit auch mit | |
Sauerstoff versorgt. In diesen Fällen nimmt das Herzmuskelgewebe in der | |
Regel keinen großen Schaden und die Aussichten auf Genesung sind gut. | |
Anders sieht es aus, wenn die Akutversorgung erst später einsetzt. Dann | |
beginnt die Leber, zu viele CRP-Moleküle zu produzieren. Dieses Protein ist | |
an sich sehr nützlich und hat schon zu Zeiten der Dinosaurier geholfen, auf | |
Entzündungsbakterien zu reagieren und abgestorbene Zellen zu entsorgen. | |
Doch nach einem Herzinfarkt kann CRP fatale Wirkungen entfalten. | |
Noch lebendige Herzzellen werden dann fälschlich als sterbend | |
identifiziert, weil sie aufgrund des Sauerstoffmangels viele Funktionen | |
vorübergehend einstellen. Quasi bei lebendigem Leib werden sie abgeräumt – | |
und erst dadurch entsteht ein dauerhafter Herzschaden. Die übriggebliebenen | |
Zellen müssen jetzt härter arbeiten, sind überfordert, und damit beginnt | |
der unaufhaltsame Teufelskreis einer Herzinsuffizienz, bei der die | |
Leistungsfähigkeit des Organs immer weiter abnimmt. | |
„Bis vor Kurzem gab es in der Humanmedizin keine Möglichkeit, etwas gegen | |
die hohen CRP-Werte zu unternehmen“, sagt Jan Torzewski, Kardiologe und | |
Chefarzt am Klinikum Kempten. Seit 25 Jahren beschäftigen ihn diese Fragen. | |
Viele große Pharmafirmen hätten vergeblich versucht, ein Medikament zu | |
entwickeln, mit dem sich das CRP blockieren lässt, berichtet der | |
55-Jährige. Den Durchbruch habe dann das Medizinprodukt der kleinen Firma | |
Pentracor aus dem brandenburgischen Hennigsdorf gebracht. „Derzeit gibt es | |
kein anderes Verfahren in der Medizin, um diese Zellen zu retten“, so | |
Torzewski. | |
Dabei wird das Blut der Patient:innen durch einen Schlauch zu einem | |
durchsichtigen Plastikgefäß geführt, das etwa so groß ist wie eine | |
Mandarine. Der darin enthaltene weiße Stoff ist in der Lage, das CRP zu | |
binden. Anschließend fließt das gereinigte Blut zurück in den Körper. 70 | |
Herzinfarkt-Patient:innen hat Torzewski auf diese Weise bereits behandelt. | |
„Die Erfahrungen mit der CRP-Apherese sind gut, es gab praktisch keine | |
Nebenwirkungen“, bilanziert der Kardiologe. Auch andere | |
Mediziner:innen berichten von positiven Erfahrungen, und | |
[1][wissenschaftliche Studien belegen die Ergebnisse]. | |
## Es wird geprüft | |
Ahmed Sheriff, Geschäftsführer von Pentracor und Erfinder der Therapie, ist | |
Immunologe und Biochemiker. „Als ich anfing, habe ich nie geglaubt, dass | |
der Schaden nach einem Herzinfarkt auf null reduzierbar sei“, berichtet der | |
59-Jährige. Bevor er zum Unternehmer wurde, hat er an der Charité und im | |
Universitätsklinikum Erlangen geforscht und die Geschäftsstelle der | |
deutschen und europäischen Immunologiegesellschaften aufgebaut. Nach und | |
nach verstand er die Zusammenhänge zwischen CRP, der Reaktion der | |
Herzzellen auf den Sauerstoffmangel und ihrer Entsorgung. Seit 2014 ist | |
sein Produkt in der EU zugelassen, seit 2019 war es auf dem Markt | |
verfügbar. | |
Der Gemeinsame Bundesausschuss, das höchste Gremium der Selbstverwaltung im | |
deutschen Gesundheitswesen, beschloss, dass das neue Produkt auf breiterer | |
Ebene erprobt werden soll. Die Krankenhäuser konnten die Therapie bis zum | |
Oktober 2023 mit den Krankenkassen abrechnen. Dann aber entwickelte das | |
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im vergangenen | |
Oktober einen neuen Code für die CRP-Apherese und beseitigte dadurch die | |
Kostenerstattung. Das hat auch die Anwendung der Therapie vorerst beendet. | |
Anfang des Jahres schrieb Ellis Huber, langjähriger Präsident der Berliner | |
Ärztekammer, zusammen mit zehn Professoren, Oberärzten und | |
Uniklinikdirektoren einen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl | |
Lauterbach, dem das BfArM unterstellt ist. Die Mediziner äußern den | |
Verdacht, dass das Institut „Opfer lobbyistischer Interessen“ geworden ist, | |
und liefern auch konkrete Hinweise. | |
Lauterbach solle die Sache prüfen und „im Rahmen der Dienstaufsicht eine | |
andere Entscheidung durchsetzen“, so ihre Forderung. Derweil sitzt Ahmed | |
Sheriff in den verwaisten Räumen seines Labors und ist arbeitslos gemeldet. | |
Nachdem der Investor wegen der Aktion des BfArM abgesprungen ist, musste | |
seine Firma Insolvenz anmelden. Erfreulicherweise gibt es Interessenten, | |
die sich beim Insolvenzverwalter um eine Fortführung bewerben. | |
„Das Verfahren wird sich durchsetzen, es ist eine bedeutende Erfindung“, | |
ist Torzewski überzeugt. Das Interesse in den USA sei groß, weiß er aus | |
seinen Fachkreisen. Der Kardiologe geht sogar davon aus, dass die | |
CRP-Apherese auch noch bei anderen Krankheiten hilfreich sein wird. | |
30 schwerkranke Covid-Patient:innen mit Lungenfibrose wurden in seiner | |
Klinik damit behandelt, auch an anderen Krankenhäusern gab es erfolgreiche | |
Therapieverläufe, [2][wie Studien belegen]. Bei der Darmerkrankung Morbus | |
Crohn und bei einer Sepsis spielen erhöhte CRP-Werte [3][ebenfalls eine | |
zentrale Rolle]. | |
„Wir wollen ja keine Wunderheiler sein“, betont Torzewski. In allen Fällen | |
brauche es das bewährte vierstufige Verfahren, um die Wirksamkeit einer | |
medizinischen Innovation abzusichern. „Ich fände es aber sehr bedauerlich, | |
wenn sich Deutschland diese Chance entgehen ließe“, fügt er hinzu. | |
Über ein halbes Jahr lang warteten er und seine Kollegen vergeblich auf | |
Post von Karl Lauterbach – jetzt kam doch noch ein Brief. Es gäbe „keinen | |
Anlass zur Beanstandung“ des BfArM-Vorgehens, steht dort. Zugleich wird | |
aber auch mitgeteilt, dass eine befristete Kostenerstattung wegen des | |
vehementen Nachfragens der Kardiologen nun wieder möglich sei. | |
26 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.mdpi.com/2077-0383/11/21/6446 | |
[2] https://link.springer.com/article/10.1007/s00063-022-00911-x | |
[3] https://link.springer.com/article/10.1007/s40664-023-00523-y | |
## AUTOREN | |
Annette Jensen | |
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