# taz.de -- Kreativhaus in Berlin-Lichtenberg: Zum Kämpfen ist es schon zu sp�… | |
> Vor 20 Jahren wurde ein Kitagebäude in Lichtenberg zum Kreativhaus. Auf | |
> Dauer, dachten viele Nutzer*innen – bis die Kündigung ins Haus | |
> flatterte. | |
Bild: Müssen raus: Ulla Scharfenberg, Jana Kreisl und Julia Kotowski (v. l. n.… | |
Berlin taz | Die Idylle liegt etwas versteckt im Ortsteil Friedrichsfelde, | |
Bezirk Lichtenberg, umringt von hohen Plattenbauten. Die Sewanstraße zieht | |
sich und macht am Ende einen verwinkelten Schlenker, sodass man sich trotz | |
digitaler Hilfe zur Hausnummer 122 durchfragen muss. Sewanstraße 122? „Ach | |
so, da wo die Künstler arbeiten? Gleich da hinten“, sagt der junge Mann | |
fingerweisend. | |
„Gleich da hinten“ liegt ein großer Betonklotz aus DDR-Tagen mitsamt einem | |
riesigen, jetzt schön verwilderten Garten. Die Arbeit lohnt nicht mehr: | |
Ende Juli ist hier Schluss. Das Kreativhaus mit dem schönen Namen | |
„Heikonaut“ wird abgerissen. Die Eigentümer haben das Gebäude verkauft. U… | |
allen Mieter:innen gekündigt. | |
Gerade eben fand ein Plenum statt. Unter anderem wurde das Abschiedsfest | |
besprochen, sagt Jana Kreisl, die die taz zum Gespräch eingeladen hat. Die | |
Illustratorin und Comicautorin hat im Heikonaut ihr Atelier. Aber eben nur | |
noch für ein paar Tage. „Die Kündigung hat uns den Boden unter den Füßen | |
weggerissen. Wir haben Corona überlebt und nun das. Wir sind machtlos“, | |
sagt Kreisl, „das frustriert.“ | |
Das zweistöckige Gebäude gehörte ursprünglich dem Land Berlin, das die | |
Immobilie aber zu Geld machte. Studierende der Universität der Künste (UdK) | |
hatten im Jahr 2005 das leer stehende Haus entdeckt. Einige Leute riefen | |
eine GbR ins Leben, um den Heikonauten, also Gebäude und Grundstück, „für | |
wirklich wenig Geld“ zu kaufen, sagt Jana Kreisl. Anliegen war seinerzeit, | |
einen Kreativstandort zu entwickeln und dauerhaft zu erhalten. Bis zuletzt | |
hätten die Eigentümer auch noch Arbeitsräume im Haus gehabt. Doch nun hat | |
die GbR den Heikonauten verkauft. Dabei war damals der Deal mit der Stadt, | |
so erinnern es Jana Kreisl und die anderen ganz klar: „Ihr bekommt das | |
günstig, dafür bleibt es als Kreativstandort erhalten.“ | |
## Besenreine Übergabe | |
Doch nun soll der Heikonaut am 31. Juli besenrein übergeben und wenig | |
später abgerissen werden. Die „Heikonaut GbR Sewanstraße 122“ hat auf die | |
Bitte der taz um Stellungnahme bislang nicht reagiert. | |
Dieser Verkauf stellt eine Zäsur dar. „Für uns ist das eine große | |
menschliche Enttäuschung“, sagt [1][Jana Kreisl]. Sie und ihre | |
Mitstreiter:innen hatten all die Jahre geglaubt, das im Heikonaut mehr | |
als ein reines Mieter-Vermieter-Verhältnis bestand. „Wir haben viele Jahre | |
mit den Eigentümern koexistiert, zusammengearbeitet, Partys gefeiert, den | |
Garten bewirtschaftet und in großer Runde Mittag gegessen.“ Die | |
Enttäuschung ist mit Händen greifbar. | |
Der [2][Heikonaut] ist – besser gesagt: war – kein klassisches Atelierhaus, | |
weil dort neben Künstler:innen auch Handwerker:innen und andere | |
kreative Freiberufler:innen aus den Bereichen Mode, Foto, Grafik, | |
Schreinerei oder Kommunikationsdesign arbeiten, oft auch in gemeinsamen | |
Projekten. Deshalb hat das Haus nie eine Senatsförderung wie andere | |
Atelierhäuser erhalten, in denen ausschließlich Künstler:innen arbeiten. | |
Fördergelder gab es zehn Jahre lang vom Bezirk Lichtenberg und auch aus | |
EU-Töpfen. | |
„Ein Teil von uns ist längst ausgezogen“, sagt Kreisl, „gerade sind noch… | |
Leute da – wir waren mal 25. Und wir werden alle ausziehen.“ Sie sagt auch, | |
dass es keinen Kampf gegen die Verdrängung geben wird. | |
## „Aufarbeiten, was passiert ist“ | |
Kein Aufbegehren? „Wir haben viel zu spät von den Abrissplänen erfahren, um | |
uns effektiv dagegen wehren zu können“, sagt Kreisl. „Aber wir wollen | |
aufarbeiten, was passiert ist, auch für ähnliche Projekte wie das unsrige.“ | |
Sie und zwei ihrer Kolleginnen wollen ihre Geschichte erzählen. „Wir haben | |
gelernt, dass es wichtig ist, sich die Machtstrukturen anzuschauen und | |
nicht blind zu vertrauen.“ | |
„Natürlich“, sagt Ulla Scharfenberg, „war die Kündigung, die am 8. März | |
kam, ein Schock für uns alle.“ Scharfenberg arbeitet mit Jugendlichen und | |
Erwachsenen und entwickelt dabei kreative Methoden der politischen Bildung. | |
„Ich habe das persönlich genommen!“ Nicht nur, weil das Kündigungsschreib… | |
ausgerechnet am feministischen Kampftag zugestellt wurde, sondern auch, | |
weil das Vorkaufsrecht nicht in Betracht gezogen wurde. Die Kündigung und | |
der geplante Abriss des Gebäudes reihten sich ein in den Berliner | |
Privatisierungs- und Renditewahn. | |
[3][Julia Kotowski], Illustratorin und Musikerin, verweist an dieser Stelle | |
auf das Schicksal der ebenfalls in Lichtenberg gelegenen | |
[4][B.L.O.-Ateliers]. Dort verlieren Künstler:innen und | |
Handwerker:innen nach 20 Jahren ihre Ateliers und Werkstätten, weil die | |
Bahn als Eigentümerin das Gelände nun selbst nutzen will. „Mehr Glück hatte | |
das Tuntenhaus“, sagt Kotowski, „dort konnte der Bezirk Pankow das | |
Vorkaufsrecht ziehen, das Haus wurde an die Stiftung Edith Maryon verkauft. | |
Für den Heikonauten war es viel zu spät.“ | |
Der Bezirk habe in der Angelegenheit eine positive Rolle gespielt, betont | |
Julia Kotowski. Bezirksvertreter:innen versuchten zu helfen und | |
„haben uns sehr tatkräftig mit Besuchen und Vermittlungsversuchen | |
unterstützt“. Zwei Mitarbeiter:innen der Lichtenberger | |
Wirtschaftsförderung aber auch Philipp Ahrens, der für die Grünen in der | |
BVV sitzt, hätten „sich reingehängt und wollten von sich aus mit einbezogen | |
werden“. | |
## Ein Haus mit Patina | |
Ohne die Leute auf Bezirksebene „wären wir völlig aufgeschmissen gewesen“, | |
resümiert Kotowski. Aber es sei ja nun mal so, dass es in diesem Fall auf | |
Bezirksebene keine Handlungsspielräume gebe, weil die Immobilienverwaltung | |
Landessache ist. „Selbst mit dem Bezirk auf unserer Seite war das ein Kampf | |
gegen Windmühlen. Die Lage zwischen Bezirk und Land ist vertrackt, in ihren | |
Anliegen widersprüchlich und in der internen Kommunikation intransparent.“ | |
Der graue, zweistöckige und unterkellerte Flachbau entstand zu DDR-Zeiten. | |
Man sieht ihm die Vergangenheit als Kindergarten an, das hat seinen eigenen | |
Charme. Ein Haus mit Patina. Die Treppengeländer tragen das typische Design | |
der 1970er Jahre. Die Einrichtung war zu sozialistischen Zeiten nach Juri | |
Gagarin, dem ersten Menschen im All, benannt. „Deshalb gibt es den Namen | |
Heikonaut“, sagt Jana Kreisl. In den Sanitärräumen klebt dann auch ein | |
kleiner Comic-Kosmonaut auf den Fliesen. | |
„Mir war der Austausch wichtig“, sagt Jana Kreisl, „anstatt alleine zu | |
Hause vor sich hin zu arbeiten. Für mich als Künstlerin ist das | |
überlebenswichtig. Ich habe hier mehr Zeit als daheim verbracht.“ Deshalb | |
falle ihr der bevorstehende Abschied schwer. Aber auch, weil sie, wie alle | |
anderen auch, notgedrungen neue Räume suchen muss. „Co-Working-Spaces | |
machen für uns keinen Sinn.“ | |
Julia Kotowski findet es höchst bedauerlich, „dass die über viele Jahre | |
gewachsene Gemeinschaft flöten geht“. Die Mischung im Haus sei einmalig | |
gewesen. Das lässt sich bei einem Rundgang durch die beiden Etagen mit den | |
Ateliers, der Küche und einem kleinen Konferenzraum und den Keller | |
erkennen. „Künstler:innen und Dienstleister und produzierende Gewerke unter | |
einem Dach – das kann keine Büroetage bieten.“ | |
## Noch eine letzte Party | |
Im Keller finden sich zum Beispiel eine Dunkelkammer und eine | |
Siebdruckanlage, die nicht nur Platz und ein Auswaschbecken braucht, | |
sondern auch allerhand Lärm verursacht. Auch einen Partyraum gibt es. Der | |
wird nun Ende Juli das letzte Mal genutzt. | |
Die Suche nach einer neuen Bleibe hat natürlich längst begonnen. Und die | |
Miete für einen neuen Standort wolle ja auch erst mal erarbeitet sein, sagt | |
Ulla Scharfenberg. Wobei sie für ihren Job lediglich einen Schreibtisch und | |
einen Internetanschluss braucht, wie sie sagt. Ihre Künstler- und | |
Handwerker:innen-Kollegen haben es da weitaus schwerer. | |
Ein neues Atelier, eine neue Werkstatt seien eine Budgetfrage, sagt | |
Scharfenberg und hat darüber hinaus auch andere im Blick. „Viele hier in | |
Lichtenberg sind weit weniger privilegiert als wir. Nehmen wir nur mal die | |
Jugendklubs.“ Und überhaupt: „So viele Bürobauten stehen leer in der Stad… | |
Warum muss man den Heikonauten abreißen und ein neues Gebäude bauen? | |
Nachhaltig ist das nicht“, findet sie. | |
Es geht wohl um Rendite. „Klar ist das rechtens“, räumt Julia Kotowski ein. | |
„Aber ist es auch gerecht?“ In der Gegend gebe es ohnehin viele Wohnungen | |
in Plattenbauten, sagt Jana Kreisl. In der Sewanstraße – das sieht man auf | |
dem Weg zum Heikonauten –, wird derzeit wie wild gebaut. Letzte Brachen | |
verschwinden, immer mehr Boden wird versiegelt. „Es fehlt hier in der | |
Gegend aber an Infrastruktur“, so Kreisl. | |
Einige hätten versucht, „gemeinsam eine neue Bleibe in Lichtenberg zu | |
finden“, erzählt Julia Kotowski, „einige hat es versprengt, andere wissen | |
nicht, was werden soll. Das ist ein großer Einschnitt für alle“, fasst sie | |
die Stimmung zusammen. „Wir müssen uns nun etwas Neues aufbauen, zu einem | |
höheren Mietpreis.“ Zukunftsangst zu haben und dennoch weiterarbeiten zu | |
müssen – das mache müde. | |
„Das hier ist auch eine kleine Perle der Stadtnatur“, sagt Julia Kotowski | |
am Ende. „Hier leben Igel, Fuchs und Hase, aber leider keine schützenswerte | |
Art“ – die einen Abriss vielleicht noch verhindern könnte. | |
23 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.janakreisl.de/ | |
[2] https://studiodito.de/heikonaut/ | |
[3] https://juliakotowski.de/ | |
[4] /BLO-Ateliers-in-Lichtenberg-vor-dem-Aus/!6006042 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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