# taz.de -- Die Wahrheit: Weiße Wurst im schwarzen Loch | |
> Navi macht blöd: Dumm nur, wenn es das eigene Gerät im Wagen ist und es | |
> einen während der Fahrt gehirngrillt. Mit Unterstützung eines zweiten | |
> Geräts! | |
Bild: Sich auf ein Navigationsgerät zu verlassen, kann schon mal abgrundtief s… | |
Von A nach B zu fahren, sollte eigentlich nicht so schwer sein. Immerhin | |
klingt es so, als läge das direkt nebeneinander. Außerdem benutze ich zwei | |
Navis auf einmal: Google Maps auf dem Smartphone und dazu noch das | |
autoeigene Navigationsgerät mit seinen veralteten Datensätzen. | |
Ich befinde mich nämlich im tiefsten Bayern. Das bedeutet, dass die App | |
wiederholt kein Netz findet. „Bing!“, tönt sie immer, wenn der Empfang | |
abbricht, und für mich fühlt es sich dann jedes Mal so an, als würde mitten | |
in der Wüste der Kompass spinnen, weil Wasser ins Gehäuse eingedrungen ist. | |
Ich bin völlig lost. Doch nun kommt das Bord-Navi ins Spiel, und eine | |
schneidende Frauenstimme herrscht mich an: „Wenden! Sofort wenden!“ Oder: | |
„An der nächsten Straße rechts und dann sofort wieder rechts!“ Man soll | |
also dahin fahren, wo man herkommt. Was für ein teuflisches Spiel spielt | |
sie da? Wieso will sie verhindern, dass ich nach B fahre? Warum hasst sie | |
mich so? | |
Nicht umsonst unterscheidet sich „Navi“ und „Nazi“ nur durch einen einz… | |
Buchstaben. Ihre Lieblingsworte sind „Sofort“, „Auf der Stelle“, „Wen… | |
und „Umdrehen“. Sie liegt grundsätzlich daneben. Ihre eingespeisten | |
Informationen stammen wahrscheinlich noch aus einer Zeit, in der die Erde | |
als Scheibe galt. Das hat selbstverständlich Einfluss auf die | |
Streckenführung. | |
## Goodwill und Miteinander | |
Die Google-Frau wirkt nicht nur weitaus kompetenter, ihre Stimme ist auch | |
viel sympathischer, sanfter und irgendwie menschlicher. Sie macht eher | |
kameradschaftliche Angebote, setzt auf Goodwill und Miteinander, wo die | |
andere bloß Befehle erteilt. Alles kann, nichts muss. Wir zwei sind ein | |
Team, vermittelt mir die Google-Stimme, gleichberechtigte Gefährten in der | |
Wildnis. Wir schaffen das. | |
„Fahr, du Fahrschwein!“, ätzt hingegen die Böse sinngemäß. Die Expertin… | |
widersprechen einander auf Schritt und Tritt. Die eine ruhig, die andere | |
zeternd. Ich frage mich mehrmals, warum sich die beiden nicht einfach mal | |
so richtig boxen. Aber das wäre wohl kaum der Stil meiner Favoritin, die | |
würde das nicht machen. Gelassen und geduldig würde sie die Probleme | |
ansprechen und versuchen, das unfähige Schwurbel-Navi mit Fakten zu | |
überzeugen. | |
Ihr vertraue ich also. Nur eben leider schmiert die App – „bing!“ – auf | |
freier Strecke ständig ab. Denn egal, ob Kartenzahlung, Sendemasten oder | |
Windräder – die ortsübliche Gemengelage aus gutsituierten Esoterikerinnen | |
und konservativer Landbevölkerung bremst den Fortschritt. 67 Prozent haben | |
hier bei der letzten Landtagswahl verschiedenste Schattierungen von schwarz | |
und braun gewählt; das ist, kaum zufällig, ein deutlich höherer Prozentsatz | |
als die Corona-Impfquote. | |
Um dennoch einen angeblichen Einklang von Tradition und Technik zu | |
beschwören, hat man den Slogan „Laptop und Lederhose“ (Roman Herzog) | |
kreiert. Und tatsächlich sind Laptop und Lederhose beliebig austauschbar, | |
da gleichermaßen offline. Laphose und Ledertop, Laptop und Leberkäse, | |
Leberkäse und Lederhose, Lapkäse und Leberhose, Lebertop und Lederkäse, | |
Laberkopp, Leberzirrhose, Lebenszeit, Mahlzeit. | |
Die sich aus unangebrachter Hybris speisende Dysfunktionalität macht auch | |
nicht vor der Landeshauptstadt München halt. Im Gegenteil. Vorstädter ohne | |
eigenen BMW haben abends ab 22 Uhr de facto Ausgangssperre, denn die dann | |
ohnehin nur noch alle vierzig Minuten verkehrende S-Bahn fällt oft einfach | |
kommentarlos aus. Banditen, Erdrutsch, Radbruch? Man weiß es nicht und wird | |
es auch nie erfahren. | |
Das Komplettversagen enttarnt die in der Süddeutschen Zeitung, diesem | |
Bayernkurier für Alphabeten, seit Jahren weidlich zelebrierte quasi | |
blatteigene Textgattung des Berlin-Bashings als exotisierende | |
Märchengeschichten aus tausendundeiner Geistesumnacht; Dystopien aus einer | |
Hölle, in der man sich doch nur selbst befindet. Gerade das damalige | |
Münchener Hohngebelfer im Angesicht winterlicher Berliner S-Bahn-Probleme | |
entpuppt sich im Nachhinein als lautes Singen im Wald. | |
Vergleichsweise am besten funktionieren noch Abschiebungen, aber nicht von | |
Selbstmordattentätern, die nach dem Zwölfuhrläuten das Weißwurstwasser | |
aufsetzen, sondern lieber von Leuten, die schon einen Job haben, weil sie | |
anderen Menschen, die es nicht gibt, Arbeitsplätze wegnehmen, die keiner | |
will. | |
## Gelaber und Verwirrung | |
Wenn das Funksignal endlich zurück ist, zeigt sich allerdings auch die | |
Google-Frau verwirrt: Selbst wo der Kontakt nur für wenige Sekunden | |
abgerissen ist, ordnet sie so pauschal wie sinnfrei an: „Auf der | |
Magellanstraße wenden und nach Süden starten.“ Denn leider eint beide Damen | |
obendrein ihr nerdiges Pfadfinderinnengelaber: „Starten sie auf der | |
Sesamstraße in östliche Richtung.“ Ja, woher soll ich denn wissen, wo Osten | |
ist: Bin ich Alexander von Humboldt? | |
Ich lasse mir also in einem ultramodernen Hochleistungs-vehikel die | |
gewünschte Route mithilfe mobiler Daten per Satellitenortung auf eine | |
Smartphone-App beamen und muss trotzdem vor Fahrtbeginn aussteigen, um | |
draußen erst mal die Baumstämme dahingehend abzutasten, auf welcher Seite | |
das Moos wächst, damit ich weiß, in welche Richtung ich überhaupt losfahren | |
soll? Im 21. Jahrhundert! Das ist doch vollkommen irre. | |
Die kakophonische Dissonanz der Navigatorinnen belastet mich zunehmend. | |
Meine Nerven! Ich kann das bald nicht mehr. Vielleicht wäre es sogar | |
besser, sie würden beide destruktiv herumgiften. | |
Mittlerweile empfinde ich die unerschütterliche Dienstbarkeit der | |
Google-Tante als durch und durch falsche, passiv-aggressive Marotte. Im | |
Grunde ist die andere viel ehrlicher: Sie hat einen schlecht bezahlten | |
Scheißjob, auf den sie hörbar keinen Bock hat, und sie lässt das eben raus, | |
indem sie ihn so schlecht wie möglich macht. Wer könnte das nicht | |
verstehen? Dagegen ist mir so eine beflissene Backstabberin doch viel | |
unheimlicher. Erst immer schön freundlich, und dann auf einmal – Zack! | |
Bing! – Ende der Ausbaustrecke. | |
22 Jul 2024 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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