# taz.de -- Ende im Siemens-Schmiergeldskandal: Straflosigkeit, die zum Himmel … | |
> Die Athener Justiz setzt nach Jahren den Schlusspunkt unter den | |
> Siemens-Schmiergeldskandal. Kritiker sprechen von einem skandalösen | |
> Urteil. | |
Bild: Die Siemens-Zentrale in Athen | |
Athen taz | Im Siemens-Schmiergeldskandal in Griechenland, der hellenische | |
Teil des wohl größten Korruptionsskandals der deutschen | |
Nachkriegsgeschichte, ist nun der endgültige Schlusspunkt gesetzt. Am | |
Dienstag beschloss das Athener Berufungsgericht, den deutschen und | |
griechischen Ex-Angeklagten im Siemens-Strafprozess alle eingefrorenen | |
Vermögenswerte zurückzuerstatten. | |
Elf Jahre nach Bekanntwerden des Siemens-Schmiergeldskandals hatte in Athen | |
im Jahr 2017 ein Strafprozess mit insgesamt 64 griechischen und deutschen | |
Angeklagten begonnen. Darunter waren ehemalige Führungskräfte der | |
Siemens-Muttergesellschaft in München, Führungskräfte von Siemens Hellas | |
und der damals halbstaatlichen griechischen Fernmeldeanstalt OTE. Fünf | |
weitere Jahre später stand in zweiter Instanz fest: ausnahmslos alle der | |
letztlich 22 Angeklagten kamen ungeschoren davon. | |
Eine himmelschreiende Straflosigkeit sei das, monierten Kritiker. Zu Recht: | |
bei 19 Personen, darunter Michalis Christoforakos, Ex-Geschäftsführer von | |
Siemens Hellas, wurde die Strafverfolgung für die bis 2002 begangenen Taten | |
wegen der eingetretenen Verjährung „endgültig eingestellt“, so das Urteil. | |
Die Verjährung war wegen der Schwere der angeklagten Straftaten zwar erst | |
nach 20 Jahren 2022 eingetreten. Doch da lief der Strafprozess in zweiter | |
Instanz noch. Die Richter ließen so den Prozess für das Gros der | |
Angeklagten, deutsche und griechische Siemens-Topmanager inklusive, einfach | |
in die Verjährung gleiten. Eine Angeklagte wurde freigesprochen, ein | |
flüchtiger Angeklagter hatte keine Berufung eingelegt, ein anderer war | |
verstorben. | |
## Beste Kontakte in die Politik | |
Christoforakos, mit damals besten Kontakten in die Spitzen der | |
Regierungsparteien Nea Dimokratia (konservativ) sowie Pasok | |
(sozialdemokratisch), konnte sich schon früh unbehelligt aus Griechenland | |
aus dem Staub machen. | |
Das Athener Berufungsgericht beschloss, die Vermögenswerte, die als | |
Produkte der Geldwäsche aus Bestechung eingefroren worden waren, nicht nur | |
der freigesprochenen Angeklagten, sondern auch den 19 Ex-Angeklagten, gegen | |
die wegen der Verjährung die Strafverfolgung eingestellt wurde, | |
zurückzuerstatten. Griechische Medien bewerteten dies als „eine weitere | |
besonders demütigende Entscheidung“ im unsäglichen Korruptionsfall Siemens. | |
Das Griechenland-Geschäft war für Siemens in den 1990er- und 2000-er Jahren | |
zu einer wahren Goldgrube avanciert. Die Münchner Firma zog auf dubiose | |
Weise höchst einträgliche Aufträge vom öffentlichen Sektor an Land. Dazu | |
zählten die Digitalisierung der Telefonzentralen der damals halbstaatlichen | |
Fernmeldeanstalt OTE, die Einrichtung des Sicherheitssystems der | |
Olympischen Sommerspiele 2004 in Athen, die Lieferung von Diesellokomotiven | |
für die damals staatliche Bahngesellschaft OSE, das | |
Telekommunikationsprojekt „Hermes“ der griechischen Streitkräfte sowie | |
Lieferungen von Siemensprodukten an öffentliche Krankenhäuser in | |
Griechenland. | |
Siemens-Führungskräfte gaben hinterher an, dass in Summe Bestechungsgelder | |
in Höhe von insgesamt 130 Millionen D-Mark an Griechen geflossen seien. Vor | |
Gericht räumte der ehemalige OTE-Chef Panagis Vourloumis ein, dass nach | |
Angaben eines ehemaligen Siemens-Managers 50 bis 75 OTE-Führungskräfte | |
bestochen worden seien. Die rechte Hand des früheren griechischen | |
Premierministers Kostas Simitis von der Pasok, Theodoros Tsoukatos, gab | |
ferner zu, dass er 1999 eine Million D-Mark erhalten hatte. Der frühere | |
Transportminister Tasos Mandelis gestand, dass er 1998 und 2000 insgesamt | |
450.000 D-Mark kassiert hatte. | |
## Bestechungsgelder in großem Stile | |
Doch in Athen verlief der Mammutprozess in Sachen Siemens im Sande. | |
Woanders hagelte es für Siemens hingegen Freiheits- und Geldstrafen. Eine | |
Großrazzia in München bildete den Anfang der Untersuchungen: am 15. | |
November 2006 durchsuchten mehrere Hundert Polizeibeamte, Steuerfahnder und | |
Staatsanwälte die Firmenbüros des Siemens-Konzerns und die Wohnungen | |
einiger Mitarbeiter. Der Verdacht: Bestechungsgelder sollen im großen Stil | |
geflossen sein. | |
Bei der Großrazzia stellten die Beamten kistenweise Unterlagen sicher, | |
darunter mehr als 36.000 Aktenordner. Weitere Ermittlungen der Münchner | |
Staatsanwaltschaft und des Bayerischen Landeskriminalamts offenbarten | |
anschließend ein ausgeklügeltes System von Schmiergeldzahlungen. Konkret | |
deckten die deutschen Behörden auf, dass Mitarbeiter vor allem in der | |
Festnetz-Telefonsparte von Siemens maßgeblich über schwarze Kassen sowie | |
Scheinfirmen weltweit Großaufträge an Land hatten ziehen können. | |
[1][Aus diesen schwarzen Siemens-Kassen] heraus waren Bestechungsgelder in | |
aller Welt gezahlt worden, darunter in Russland, China, Nigeria und | |
Griechenland. Im Fokus: mehr als 330 dubiose Projekte und 4.283 illegale | |
Zahlungen in vielen Sparten des Konzerns. Insgesamt flossen in den Jahren | |
1999 bis 2006 bei Siemens 1,3 Milliarden Euro in dunkle Kanäle. | |
Für Siemens hatte das ein teures Nachspiel. Das Landgericht München | |
verhängte gegen Siemens 2007 wegen Schmiergeldzahlungen in der | |
Telekommunikationssparte eine Geldbuße von 201 Millionen Euro. Doch es kam | |
noch schlimmer: Unterdessen waren auch die US-Börsenaufsicht SEC und das | |
US-Justizministerium auf die Causa des an der New Yorker Börse notierten | |
Unternehmens aufmerksam geworden. | |
## Milliardenschwerer Schmiergeldskandal | |
Die Siemens AG schloss mit ihnen einen Deal: Siemens zahlte ob mangelnder | |
interner Kontrollen und Verstößen gegen Rechnungslegungsvorschriften 800 | |
Millionen US-Dollar (damals rund 600 Millionen Euro) an die US-Behörden, | |
wurde im Gegenzug aber nicht wegen Bestechung verurteilt. | |
Obendrein wurde ab Mai 2008 einer ehemaligen Siemens-Spitzenkraft vor dem | |
Landgericht München der Prozess wegen Untreue gemacht. Das Gericht | |
verurteilte ihn wegen Untreue zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und einer | |
Geldstrafe in Höhe von 108.000 Euro. Das Gericht wies ihm Untreue in 49 | |
Fällen nach. | |
Im Siemens-Imperium forderte der milliardenschwere Schmiergeldskandal | |
ferner personelle Konsequenzen auf allerhöchster Ebene: Aufsichtsratschef | |
Heinrich von Pierer trat 2007 als Aufsichtsratschef zurück. Siemens | |
forderte Schadensersatz von ihm – und bekam ihn. Der Jurist musste dafür | |
fünf Millionen Euro berappen. | |
[Anm. d. Red.: Der Text wurde aus rechtlichen Gründen nachträglich | |
verkürzt.] | |
5 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Erstes-Urteil-im-Siemens-Korruptionsprozess/!5178355 | |
## AUTOREN | |
Ferry Batzoglou | |
## TAGS | |
Griechenland | |
Siemens | |
Schmiergeld | |
Justiz | |
Social-Auswahl | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schmiergeld von Siemens: Nigeria untersucht deutsche Korruption | |
Zehn Millionen Euro Schmiergeld sollen von Siemens an Entscheidungsträger | |
Nigerias geflossen sein. Für Präsident YarAdua ist die Aufklärung eine | |
Frage der Glaubwürdigkeit. | |
Verdacht auf deutsche Schmiergeldzahlungen im Irak: Korruptionsverdacht gegen 5… | |
Bis 2003 sollen Dutzende deutsche Firmen Iraks Ex-Diktator Saddam | |
geschmiert haben, um Aufträge zu bekommen. Doch die Bundesregierung bleibt | |
untätig. | |
Siemens: Kraftwerksparte steckt mit im Sumpf | |
Der Korruptionsskandal bei Siemens weitet sich aus - statt 420 Millionen | |
soll der Konzern über 1 Milliarde Euro in schwarze Kassen verschoben haben. | |
Kommentar: Korruption mit Methode | |
Der Siemens-Schmiergeldsumpf ist wahrscheinlich noch größer sein als bisher | |
angenommen - denn die Sparten Gesundheit und Verkehr wurden noch gar nicht | |
untersucht. |