# taz.de -- Englands EM-Finaleinzug: Hang zum Übersinnlichen | |
> England hat nach zuvor uninspirierten Leistungen im Halbfinale die beste | |
> Halbzeit seines Turniers gespielt. Die Niederländer tragen das Aus | |
> gefasst. | |
Bild: Der Moment: Ollie Watkins trifft zum 2:1 | |
Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. England steht schon wieder im | |
Finale, nachdem doch erst bei der vergangenen Europameisterschaft eine | |
55-jährige Ära der Endspiellosigkeit beendet werden konnte. Und das nach | |
den [1][so wenig inspirierten Auftritten bei dieser EM], aufgrund derer dem | |
Team von Gareth Southgate unter den Halbfinalisten das mit Abstand | |
schlechteste Zwischenzeugnis ausgehändigt wurde. | |
Und dann erzielte mit Joker Ollie Watkins einer den entscheidenden Treffer, | |
der für Aston Villa zwar eine sehr gute Premier-League-Saison (19 Tore) | |
absolvierte, im Nationalteam aber bis dahin nur gegen San Marino in einem | |
Pflichtspiel getroffen hatte und in diesem Turnier nur kümmerliche 25 | |
Minuten zum Einsatz kam. „Ein bisschen Frust“ hatte sich angesammelt, wie | |
Watkins nun freimütig zugeben konnte. | |
Viele Menschen hätten ihn vor dem Halbfinale in Dortmund mit Nachrichten | |
auf seinem Handy ermutigt, er werde ein Tor schießen, wenn er reinkomme. | |
„Das ist lächerlich“, habe er ihnen geantwortet. Und nun? „Ich glaube, d… | |
Nachrichten wurden wirklich ins Universum gesendet. Und ich hoffe, wir | |
können das im Finale wiederholen.“ | |
Wer will ihm den Hang zum Übersinnlichen nach den englischen Auftritten | |
verdenken, die in der harten Realität teils als unterirdisch abqualifiziert | |
wurden. Endlich passten die [2][bislang erstaunlich selbstzufriedenen | |
Statements von Trainer Southgate] zum Spiel. Wobei er dieses Mal in ein | |
etwas höheres Regal griff: „Wir haben vielleicht eine der besten Nächte der | |
letzten 50 Jahre gehabt.“ Er habe die Aufgabe als Nationaltrainer | |
übernommen, um den englischen Fußball zu verbessern. Das Team sei jetzt am | |
Ende eines Zyklus angekommen. | |
Es klang fast ein wenig danach, als breite er sich selbst den roten Teppich | |
für seinen Abschied nach der EM aus. Nach all der Kritik, die zuletzt in | |
England auf ihn einprasselte, wäre es einer mit reichlich Genugtuung. Mit | |
geballten Fäusten hatte er nach der Partie noch einmal eine | |
Extra-Jubeleinheit sowohl vor den Rängen hinter dem Tor als auch vor der | |
Gegengerade hingelegt. Der Kontrollfanatiker Southgate hat auch eine sehr | |
emotionale Seite. | |
## Traumhaft schönes Führungstor | |
Die Voraussetzungen für diese Partie waren wahrlich keine einfachen. Im | |
Unterschied zu den Briten reiste das niederländische Team mit Euphorie und | |
Fananhang in XXL-Größe an. Etwa 80.000 Menschen sollen über die Grenze | |
gekommen sein. Es schien an diesem Mittwoch fast so, als hätte sich die | |
niederländische Regierung für einen Tag die Stadt Dortmund für ein großes | |
Schunkelfest angemietet. | |
Der orange gewandete Rausch wurde überdies durch das frühe traumhaft schöne | |
Führungstor von Xavi Simons (7. Minute) aus knapp 20 Metern auf ein neues | |
Niveau gehoben. Doch die Engländer ließen sich nicht aus der Balance | |
bringen. Im Gegenteil, sie spielten ihre beste Halbzeit des Turniers. Ein | |
wenig hatte das damit zu tun, dass sie erstmals nicht ein Abwehrbollwerk zu | |
knacken hatten. | |
Das entfesselte etwa die Spiellust des erst 19-jährigen Kobbie Mainoo und | |
insbesondere von Bukayo Saka, der mit seiner Schnelligkeit ab und an quer | |
über das halbe Spielfeld den Ball vor sich hertreiben konnte, weil die | |
Niederländer eher mann- als raumorientiert verteidigten. Durch solch eine | |
Aktion kam es auch zum Elfmeter, weil Denzel Dumfries mit offener Sohle | |
Harry Kane traf. Zum Unwillen des niederländischen Trainers Ronald Koeman | |
hatte erst die Intervention des Videoschiedsrichters zu dem Urteil [3][des | |
deutschen Schiedsrichters Felix Zwayer] geführt. | |
## „Vielleicht Müdigkeit ausschlaggebend“ | |
Viele Worte wollte er aber dennoch nicht darüber verlieren. Das englische | |
Team sei in einem engen Spiel eben phasenweise das bessere gewesen, lautete | |
sein Urteil. Eine Unaufgeregtheit, an der sich die Deutschen ein Beispiel | |
nehmen könnten, anstatt, wie geschehen, Spielwiederholungen per | |
Volkspetitionen bewirken zu wollen. | |
In der Halbzeitansprache muss Southgate sein Team auf Situationen | |
eingeschworen haben, die nicht passieren dürfen. Jedenfalls spielte England | |
wieder den bekannten Fehlervermeidungsfußball und kam kaum noch zu Chancen. | |
Die Niederländer, die zumindest defensiv besser positioniert waren, | |
allerdings auch nicht. | |
Bis in der Nachspielzeit eben Watkins trotz hautnaher Bewachung durch | |
Stefan de Vrij im richtigen Moment aus spitzem Winkel der goldene Schuss | |
ins Finale gelang. Gareth Southgate führte dies indirekt auf die besonders | |
gute Fitness seines Teams zurück. „Am Ende“, mutmaßte er, „war es | |
vielleicht die Müdigkeit, die ausschlaggebend war.“ | |
## Vorbereitung in den Köpfen | |
Mit Blick auf das Europameisterschaftsfinale am Sonntag in Berlin erklärte | |
der 28-jährige Watkins voller Pathos: „Es ist das wichtigste Spiel in | |
unserem Leben.“ Der These, dass die sehr offensive Ausrichtung des | |
spanischen Teams den Engländern bei dieser besonderen Begegnung | |
entgegenkommen könnte, wollte Southgate nicht so einfach zustimmen. Er gab | |
zu bedenken: „Wir müssen erst einmal den Ball von ihnen bekommen.“ Und | |
selbst wenn dies gelingen würde, müsste seine Elf außerordentlich gut | |
spielen, weil das spanische Pressing so gut sei. | |
Sollte man allerdings erneut auf das Niveau des Halbfinales kommen, | |
prognostizierte Southgate, „haben wir eine ganz gute Chance im nächsten | |
Spiel“. Voraussetzung dafür sei optimale Regeneration. „Wir werden nicht | |
auf dem Trainingsplatz sein“, kündigte Gareth Southgate an. Die | |
Vorbereitung auf das Endspiel findet, so ist das offensichtlich zu | |
verstehen, vor allem in den Köpfen statt. | |
11 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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