| # taz.de -- Notfall im Zug: Das Arzt-Gefühl | |
| > Im Bordbistro wurde ärztliche Hilfe benötigt. Zufällig war ich zugegen | |
| > und erlebte wie es sich anfühlt, für eine Ärztin gehalten zu werden. | |
| Bild: Medizinischer Notfall im Alltag: Zum Glück ist meistens jemand da, der h… | |
| „Wir benötigen einen Arzt oder eine Ärztin. Wenn es einen Arzt oder eine | |
| Ärztin unter Ihnen gibt: Bitte kommen Sie ins Bordbistro.“ Es ist eine | |
| dieser Durchsagen, die alarmieren und Bilder in Gang setzen: Was ist wohl | |
| passiert? Schwebt da eine Person in Lebensgefahr? | |
| Ich gehe gerade zufällig durch den schwankenden Zug ins Bordbistro, als der | |
| Hilferuf erklingt. In Zügen oder Flugzeugen rührt es mich auf eine | |
| unbestimmte Weise, wenn nach Ärztinnen und Ärzten ausgerufen wird und | |
| Menschen, die ich vorher nicht als Helfende erkannt habe, aufspringen und | |
| forteilen – Personen, die zufällig da sind und helfen können. | |
| Situationen in solchen begrenzten Räumen zeigen, wie sehr wir aufeinander | |
| angewiesen sind. Und anscheinend ist immer ein [1][Arzt] oder eine Ärztin | |
| da. Ich frage mich schon länger, wie das sein kann. Wie sich da etwas fügt, | |
| wenn sich ein Notfall ereignet. Immer springen Menschen auf, als wären sie | |
| zuvor dorthin gesetzt worden. Immer ist da jemand. | |
| Als ich nun durch den Gang auf das Bordbistro zugehe, frage ich mich, wie | |
| ich reagieren soll. Ich habe riesigen Durst und nichts zu trinken dabei. | |
| Ich hatte mir zuvor schon länger überlegt, ob ich mich durch den vollen Zug | |
| zum Bordbistro aufmachen soll. Als mein Hals ganz trocken geworden war, | |
| habe ich den Weg von ganz hinten im Zug angetreten. | |
| Nun, kurz vor dem Restaurant, denke ich: Darf ich das? Weitergehen bei | |
| einem Notfall? Aber den ganzen Weg wieder zurückgehen, bei mehreren Stunden | |
| Fahrt vor mir? Ich entscheide, mir vor Ort ein Bild der Lage zu machen und | |
| bei Bedarf umzukehren. Während ich nun weitergehe, schauen mich die anderen | |
| Fahrgäste an. Einige rücken vor mir zurück. Sie lächeln mich an oder | |
| blicken interessiert. | |
| Es ist ein anderer Blick, mit dem ich angesehen werde. Nur eine Nuance | |
| verschieden, aber es ist nicht der Blick, den ich sonst auf mir spüre. Und | |
| dann verstehe ich es. Die anderen im Zug scheinen zu glauben, dass ich eine | |
| Ärztin sei, auf dem Weg zum Einsatz im Bordbistro. Ich sehe in den Augen | |
| Respekt, Neugierde, vielleicht sogar Bewunderung. | |
| ## Ein besonderes Gefühl | |
| Für einen kurzen Moment bin ich durch den Blick der anderen eine Ärztin. | |
| Und für eine Sekunde stelle ich mir vor, diese Person zu sein. „Ich bin | |
| Ärztin, lassen Sie mich durch.“ Die entscheidenden Fähigkeiten zu besitzen, | |
| um nun einen Menschen zu retten. Es ist ein schönes [2][Gefühl]. Es ist ein | |
| besonderes Gefühl. Und es ist ein falsches Gefühl. Zwei Personen laufen | |
| hinter mir im Gang. Sie wirken geschäftig. Eine junge Person und eine | |
| ältere im Trenchcoat. Ich verstehe, dass sie helfen können und lasse sie | |
| vorbei. Hinter den beiden läuft auch noch ein [3][Soldat]. | |
| Ich blicke ihnen nach. Sie umgibt etwas, was mir schon häufiger an | |
| Ärztinnen und Ärzten aufgefallen ist, die spontan für einen Notfall | |
| aufspringen. Sie wirken konzentriert und gleichzeitig erwartungsvoll. Sie | |
| können nun etwas aus ihrem Berufsleben im alltäglichen Leben einsetzen. | |
| Sie haben diesen Blick von Menschen, die ganz mit sich im Fokus sind. Sie | |
| wirken nie gelangweilt oder genervt, dass sie jetzt in ihrer freien Zeit | |
| gestört werden. Eher etwas aufgeregt, gespannt und voller Elan. Ob sie auch | |
| diesen Blick von Respekt und Neugierde auf sich spüren oder haben sie sich | |
| an ihn gewöhnt? | |
| ## Ein Arzt an Bord | |
| Als ich am Bordbistro ankomme, stehen da nun mehrere Ärztinnen und Ärzte. | |
| „Ich bin Kinderärztin“, sagt eine. „Ich bin Internistin“, sagt eine an… | |
| und tritt unmerklich etwas vor, als würde sie das mehr befähigen. Für einen | |
| kurzen Moment scheint es einen Wettbewerb unter den Helfenden zu geben. | |
| Aber dann löst sich intuitiv etwas und professionell setzt sich ein | |
| Mechanismus in Gang. | |
| Zwei Personen treten in die Nische des Bordbistros, wo Hilfe verlangt wird. | |
| Ja, denke ich: Bei allem, was in der Welt um uns beanstandet wird, gibt es | |
| auch das. Bei einer Durchsage für ärztliche Hilfe gibt es auf wundersame | |
| Weise immer eine Person, die helfen kann. | |
| 14 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christa Pfafferott | |
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