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# taz.de -- Frauen in der 68er-Bewegung: „Die Mütter kamen schlecht weg“
> Die Rolle der Frauen in der 68er-Bewegung wird meist verschwiegen. Die
> Psycholanalytikerin Gabriele Teckentrup hat nach ihren Motiven geforscht.
Bild: Bei den Protesten der 68er waren Frauen durchaus dabei – aber im Vorder…
taz: Was interessiert Sie an den Frauen aus der 68er-Bewegung, Frau
Teckentrup?
Gabriele Teckentrup: Ich bin selbst ja eine 68er Frau, 1944 geboren, und
bin von dem, was da passierte, innerlich und äußerlich in Bewegung geraten.
Aber mir ist erst Anfang der 90er-Jahre aufgefallen, wie wenig Frauen in
den Publikationen über 68 eine Rolle spielen.
Außer Uschi Obermaier als Girlie im weiteren Sinn.
Oder aber [1][die Filmemacherin Helke Sander]. Das sind die ganz
prominenten Frauen, die in die vorderste Reihe gegangen sind. Aber die
vielen Frauen, die mitgemacht haben, tauchen in den Publikationen und
Untersuchungen gar nicht auf. Meine Neugier hatte auch etwas damit zu tun,
dass ich Mitte der 80er-Jahre eine Ausbildung als Psychoanalytikerin
gemacht habe. Ich habe nach den unbewussten Motiven dieser Frauen gefragt,
sich 68 zu engagieren.
Haben Sie eine Antwort gefunden?
In den Interviews wurde deutlich, wie belastend diese Nachkriegszeit erlebt
wurde. Es gab starke gesellschaftliche Normen und Verbote, etwa in der
Sexualität. Das Leben schien so vorgezeichnet. Das war für viele Frauen
zunehmend weniger ertragbar. Eine meiner Interviewpartnerinnen sagte: „Ich
hatte das Gefühl, es muss noch etwas anderes geben, irgendwo findet das
Leben statt und ich will daran teilhaben.“
Eine Ihrer Ausgangsfragen war: „Was muss man mitbringen, um widerständig zu
werden?“
Die Adoleszenz ist in der Lebensentwicklung von Menschen die Zeit, in der
es darum geht, sich von der Familie, dem Vertrauten zu trennen,
aufzubrechen und Neues auszuprobieren. In einer Gesellschaft, in der
Adoleszenz unterdrückt wird, bleibt alles beim Alten. Es gab äußere
Bedingungen: den Vietnamkrieg, das Gefühl, widerständig sein zu wollen. Und
die Nazivergangenheit, die zunehmend ins Bewusstsein kam und in dem
Zusammenhang die innerpsychischen Bedingungen der 68er-Generation.
Warum waren die so speziell?
Es gab Schuldgefühle der Elterngeneration, die aus deren Erfahrungen aus
der Nazizeit und dem Krieg herrühren, die sie auf transgenerative Weise an
die Kinder vermittelt hat. Sie waren die wesentliche Antriebskraft für den
Ausbruch der 68er-Generation. Dazu zählt vor allem die Überlebensschuld.
Was ist das?
Alle Frauen sind ja Kinder von Eltern, die den Krieg überlebt haben. Einige
Väter der Frauen, die ich interviewt habe, sind sehr beschädigt nach Hause
gekommen. Aber [2][die meisten sprachen nicht darüber].
Was sind die anderen Spielarten des Schuldgefühls?
Die Separationsschuld, die daraus resultiert, dass ich nicht das tue, was
von mir gefordert wird – etwas, was die Elterngeneration sich nicht getraut
hat, sonst hätte sie in der NS-Zeit Widerstand geleistet. Und dann die
ödipale Schuld. Bei den Gesprächen fiel mir auf, dass viele der Frauen über
ihre Väter auch bewundernd erzählten, die Mütter dagegen überwiegend blass
blieben oder sehr schlecht wegkamen. Das haben die 68er-Frauen fast
wiederholt: Viele von ihnen haben die Männer idealisiert. Helke Sander hat
mindestens so viel getan wie Rudi Dutschke, aber sie ist nie so idealisiert
worden.
Und nie so bekannt geworden wie er.
Interessant ist, dass es bei der RAF anders war, da waren vor allem die
Frauen namentlich bekannt. Heute ist es in der Fridays-for-Future- oder in
der Letzte-Generation-Bewegung ähnlich.
Empfinden Sie diese Entwicklung als befriedigend, nachdem doch der Anteil
der Frauen in der 68er-Bewegung klein gemacht wurde?
Damit würde man die Frauen rückblickend wieder zu Opfern machen. Die Frauen
haben es zu einem gewissen Grad auch zugelassen. Später haben diese
beschämenden Erfahrungen dazu beigetragen, dass die zweite Frauenbewegung
entstanden ist. Ich glaube, dass das etwas mit den unbewussten Motiven zu
tun hat.
Inwiefern?
Insofern, als viele der Frauen sich zunächst ähnlich verhalten haben, wie
sie es bei ihren Müttern erfahren haben, die sich untergeordnet und den
Männern wieder Platz gemacht haben, als die so beschädigt nach Hause
gekommen waren aus dem Krieg.
Und trotzdem sind es ja diese 68er-Frauen gewesen, die widerständig wurden
zu einer Zeit, in der die Rollenverteilungen viel starrer war als heute.
Wenn Verhältnisse im Innern unerträglich werden und die Gefühle von Scham
und Schuld so groß, nimmt die Angst vor der Separation ab. Das Gefühl,
ausbrechen zu müssen, und die Vorstellung, es auch zu können, setzen auch
Kräfte frei.
Wobei die Frauen in den Gruppen der 68er auch wieder auf starke
Dominanzverhältnisse stießen …
Die Frage von Verrat war ein durchgängiges Thema der von mir befragten
Frauen. Wenn sie an der Organisation zweifelten, trauten sie sich nicht zu
sagen, was sie eigentlich dachten, aus Angst, aus der Gruppe rauszufliegen.
Eine Interviewpartnerin sagte mir: „Das Tollste, was ich gemacht habe, ist,
dass ich von mir aus gegangen bin.“
Sie haben zuerst in den 90er-Jahren mit den 68er-Frauen gesprochen und nun
noch einmal. Wie blicken diese Frauen jetzt zurück?
Der Blick ist nach so einer langen Zeit selbstkritischer und versöhnlicher
auf die Eltern. Alle diese Frauen – sechs von ihnen sind inzwischen
gestorben – haben gesellschaftlich und beruflich eine Menge getan. Viele
sind nach wie vor beruflich aktiv oder engagieren sich, vor allem in der
Flüchtlingsfrage. Und sie haben ein Schuldgefühl, nach wie vor nicht genug
zu tun.
Ist es nicht paradox, dass gerade die, die etwas tun, dieses Schuldgefühl
nicht verlieren?
Das hat etwas mit dem Anspruch zu tun, die Welt zu verändern. Aber es gibt
auch Trauer darüber, dass das nicht geht, und die Angst über die
gegenwärtige Weltsituation.
Das heißt, die Frauen sehen nicht mit Stolz auf das, was sie erreicht
haben?
Ich sehe das so, dass es ein Gefühl der Verantwortung ist, sich
gesellschaftlich einzumischen, um sich selbst im Spiegel ansehen zu können
– ohne die Größenfantasie zu haben, die ganze Welt verändern zu können. F…
mich zeigt diese Sicht Verantwortung und Reife. Dazu gehört auch Trauer als
Abschied von der Vorstellung, ich könnte alles schaffen, was ich mir
vorgenommen habe.
21 Jul 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
68er
Protest
Psychoanalyse
Feminismus
feministischer Film
68er
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