| # taz.de -- Neue Vorschrift bei der Berliner Polizei: Bewaffnet in die Freizeit | |
| > Ob zum Date im Zoo oder auf den Kindergeburtstag: Berlins | |
| > Polizist*innen dürfen ihre Waffen jetzt auch wieder außerhalb der | |
| > Dienstzeit tragen. | |
| Bild: Polizeiliche Schusswaffen in der Freizeit: Sicherheit oder Risiko? | |
| Berlin taz | Von der Öffentlichkeit blieb er fast komplett unbemerkt, bei | |
| der Berliner Polizei dagegen sorgte der interne „Arbeitshinweis zur | |
| Geschäftsanweisung Täglicher Dienst“ für große Aufmerksamkeit. Für [1][d… | |
| rund 20.000 bewaffneten Beamt*innen der Hauptstadt] wurde mit dem am 5. | |
| Februar veröffentlichten Hinweis ein jahrelanges Verbot aufgehoben: Sie | |
| dürfen seitdem offiziell und weitestgehend in ihrer Freizeit Dienstwaffen | |
| mitführen. | |
| Das bedeutet: In der S-Bahn, an der Supermarktkasse oder im Schwimmbad | |
| können Polizist*innen in Zivil nun eine Pistole unterm Hemd oder dem | |
| Handtuch tragen. In Berlin sehen einige darin ein Mehr an Sicherheit, | |
| andere befürchten durch die neue Praxis Machtmissbrauch und neue Gefahren. | |
| Auf jeden Fall stellen sich viele Fragen, die es zu klären gilt. | |
| Es ist dabei eine erstaunliche Kehrtwende in der Berliner | |
| Sicherheitspolitik. Um diese zu verstehen, bedarf es zunächst eines Blicks | |
| ins Jahr 2016. Die am 1. Juni vor acht Jahren in Kraft getretene | |
| Geschäftsanweisung „ZSE II Nr. 1/2016“ verbot Polizist*innen in Berlin | |
| das Mitführen ihrer Waffen außerhalb des Diensts. Damals zog die Führung | |
| der Polizei die Notbremse, nachdem viele Polizist*innen ihre Waffen | |
| privat genutzt hatten. Etwa, um Wildtiere im Stadtgebiet zu erlegen. | |
| Schießen fürs eigene Vergnügen also. | |
| Das in der damaligen Geschäftsanweisung festgeschriebene Verbot sollte | |
| diesen Polizeitrieb stoppen. Das wurde nun revidiert. Mit dem | |
| Arbeitshinweis vom Februar dieses Jahres dürfen Polizist*innen wieder | |
| offiziell mit ihren Waffen zum Tinder-Date in den Zoo, zur | |
| Kita-Geburtstagsparty oder eben zur Oma ins Altersheim. | |
| Nach Empfang eines Fragenkatalogs der taz zur Aufhebung des Waffenverbots | |
| bittet die Berliner Polizei erst einmal um mehr Zeit für die Beantwortung. | |
| Diese sei aufwendig, es müssten verschiedene Fachbereiche koordiniert und | |
| Informationen händisch recherchiert werden. Nach drei Arbeitstagen folgt | |
| schließlich eine etwas technische Antwort: „Polizeiliche Dienstvorschriften | |
| und Geschäftsanweisungen werden regelmäßig auf ihre Aktualität und | |
| Zielrichtung hin überprüft und gegebenenfalls geändert, angepasst oder | |
| aufgehoben.“ | |
| Eine Polizeisprecherin lässt allerdings auch wissen: „Ich bitte um | |
| Verständnis, dass zu weiteren Inhalten der als Verschlusssache eingestuften | |
| Geschäftsanweisung keine Auskünfte erteilt werden.“ Zu diesem zentralen | |
| Satz kehrt diese Recherche später zurück. | |
| ## Wer kontrolliert? | |
| Zu erwähnen ist hier zunächst, dass es durchaus Ausnahmen gibt, in denen | |
| die Waffen nicht in der Freizeit mitgetragen werden dürfen: ins Ausland | |
| oder in den Urlaub dürfen Polizist*innen offiziell nur unbewaffnet | |
| aufbrechen. Nach Alkohol- oder Cannabiskonsum sind Pistolen ebenfalls tabu. | |
| Aber wer kontrolliert das alles im privaten Bereich? Gute Frage. Und: Wie | |
| sehen also mögliche zusätzliche Gefahren durch die neue Regelung konkret | |
| aus? | |
| Aus einer aktuellen Antwort der Senatsinnenverwaltung auf eine | |
| parlamentarische Anfrage des Linken-Abgeordneten Niklas Schrader geht | |
| hervor, dass im vergangenen Jahr eine Pistole schlicht verschwunden ist. | |
| Auf taz-Nachfrage erklärt eine Polizeisprecherin den Verlust damit, dass | |
| einem Beschäftigten des polizeilichen Objektschutzes die Dienstwaffe im | |
| Februar 2023 aus seinem privaten Pkw entwendet worden sei. | |
| Der Mitarbeiter habe „gegen ihm obliegende arbeitsvertragliche Pflichten“ | |
| verstoßen – also das damals geltende Verbot des Mitführens in der Freizeit | |
| missachtet, so die Sprecherin. Es seien arbeitsrechtliche Maßnahmen | |
| eingeleitet worden, „in deren Folge er im Oktober 2023 aus der Polizei | |
| Berlin ausschied“. Wo diese eine Pistole heute ist, in welche Hände sie | |
| gelangt ist, scheint auch der Polizei nicht bekannt zu sein. Laut der neuen | |
| Regelung hätte der Beamte die Waffe legal außerhalb des Dienstes mitführen | |
| dürfen. Ob sie in seinem privaten Pkw unbeaufsichtigt hätte liegen dürfen, | |
| bleibt wegen der Geheimhaltung des Arbeitshinweises für die Öffentlichkeit | |
| aber unklar. | |
| Niklas Schrader betont auch mit Blick auf dieses Beispiel eine geringe | |
| Wahrscheinlichkeit, dass Beamt*innen außer Dienst überhaupt in | |
| Situationen geraten, in denen sie ihre Waffen nutzen müssten. „Es steigt | |
| dagegen die Gefahr, dass Waffen außerhalb des Dienstes unrechtmäßig | |
| angewandt werden oder abhandenkommen. Zudem entfällt die gegenseitige | |
| Kontrolle im Dienst, was den ordnungsgemäßen Umgang mit Waffen angeht“, | |
| sagt der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion. | |
| Warum das Verbot dann aufgehoben wurde? Schrader hat dazu eine Theorie: „Es | |
| ist kein konkreter, rational zu erklärender Anlass ersichtlich. Ich | |
| vermute, dass hier einfach Symbolpolitik betrieben wird, um Pluspunkte bei | |
| Polizeigewerkschaften zu sammeln.“ | |
| Durch Schraders Anfrage sind auch noch weitere Daten öffentlich gemacht | |
| worden. Demnach sind zwischen Januar 2023 und Mai 2024 der Berliner Polizei | |
| exakt 99 Reizstoffsprühgeräte abhandengekommen. Was nach einer | |
| polizeilichen Neuauflage von „99 Luftballons“ klingt, lässt | |
| Innenexpert*innen erschaudern. Die Polizei gibt gegenüber der taz an, | |
| dass über die Umstände des Verlustes dieser gefährlichen Geräte keine | |
| Statistik geführt werde. | |
| Niemand weiß also genau, wann, wo und wie diese Reizstoffsprühgeräte | |
| verschwunden sind. Und wer sie jetzt besitzt. Niklas Schrader verweist | |
| hierbei auf fehlende Kontrollmechanismen und Fälle wie Nordkreuz, ein | |
| rechtsterroristisches Netzwerk, das sich auch an Waffen- und | |
| Munitionsbeständen deutscher Sicherheitsbehörden bedient hat. | |
| ## Fehlende Transparenz | |
| Und noch eine Ungereimtheit begleitet die bewaffneten | |
| Freizeit-Polizist*innen im Familienrestaurant, auf dem Rummel oder in der | |
| Kirche: Anders als die Geschäftsanweisung aus dem Jahr 2016 ist der neue | |
| Arbeitshinweis zur Aufhebung des Waffenverbots unter Verschluss: „Geheim, | |
| nur für den Dienstgebrauch“. Dabei ist ein Arbeitshinweis eine der | |
| informellsten Möglichkeiten, innerhalb einer Behörde zu kommunizieren. Die | |
| Opposition sieht darin eine Einschränkung ihrer parlamentarischen | |
| Kontrollmöglichkeit. Für Transparenz sorgt die Geheimhaltung der | |
| Waffenpraxis bei der Berliner Polizei auf jeden Fall nicht. | |
| Die Senatsinnenverwaltung will die Freizeit-Bewaffnung der Berliner | |
| Polizist*innen und die Bedenken der Opposition übrigens nicht | |
| kommentieren. Für diese Fragen sei die Berliner Polizei zuständig, heißt es | |
| lapidar aus dem Haus von SPD-Innensenatorin Iris Spranger. | |
| 10 Jun 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Polizei-Berlin/!6010642 | |
| ## AUTOREN | |
| Mohamed Amjahid | |
| ## TAGS | |
| Innensenatorin Iris Spranger | |
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| Schwerpunkt Stadtland | |
| 1. Mai | |
| Innensenatorin Iris Spranger | |
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