# taz.de -- Polen vor der EU-Wahl: Gegen Verräter und bezahlte Knechte | |
> Das Entsetzen in Polen ist groß seit der Flucht eines Richters nach | |
> Belarus. Die russische Bedrohung ist das große Wahkampfthema der | |
> Regierungspartei. | |
Bild: Belarus vor Augen: ein Grenzschild in der Nähe von Kostomloty | |
WARSCHAU taz | In Polen gibt es keine EU-Wahlkampfrede mehr ohne die | |
Warnung vor Wladimir Putin. Dass sich der Machthaber Russlands die | |
Wiederherstellung der imperialen Sowjetunion auf die Kriegsfahnen | |
geschrieben hat, gehört im ehemaligen Satellitenstaat Moskaus zum | |
Alltagswissen. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im | |
Februar 2022 ist Polen Frontstaat – das Land grenzt im Nordosten an die | |
russische Oblast Kaliningrad, im Osten an das mit Russland eng verbündete | |
Belarus und im Südosten an die überfallene Ukraine. | |
Dennoch fürchtete sich in Polen kaum jemand vor einem Krieg mit Russland. | |
Die Mitgliedschaft in EU und Nato schien eine Garantie für Frieden und | |
Wohlstand. Das ändert sich gerade. Denn mit der [1][Flucht eines polnischen | |
Richters nach Belarus] und seiner Bitte um politisches Asyl in diesem | |
autoritären Staat, wurde den Polen schlagartig klar: Russland ist schon | |
hier! | |
Die Gefahr droht also nicht nur von außen. Zwar wurden auch in der | |
Vergangenheit immer mal wieder verdächtige Personen und tatsächliche Spione | |
in Polen festgenommen, wehrten wichtige Behörden wie große Unternehmen | |
Cyberattacken aus dem Osten ab, doch die meisten Polen ließen sich davon | |
nicht beunruhigen. | |
Anders als in den baltischen Staaten plante niemand mehrere potentielle | |
Fluchtrouten für den Fall eines russischen Angriffs, packte kaum jemand | |
einen Fluchtrucksack oder legte sich einen Notvorrat an Essen und Trinken | |
für zehn Tage an. Lediglich an der Ostgrenze des Landes schlossen sich | |
beunruhigte Polen dem Heimatschutz an, absolvieren seitdem regelmäßige | |
Militärübungen und dürfen auch – nach dem Erwerb eines Waffenscheins – | |
Pistolen und Gewehre zu Hause aufbewahren. | |
## Russland und die PiS | |
Mit „Russland ist schon hier“ beginnt eine Art Horror-Wahlspot der | |
liberalkonservativen Bürgerplattform (PO). Seit Dezember 2023 stellt sie in | |
einer Dreierkoalition mit dem christdemokratischen Dritten Weg und der | |
Neuen Linken die neue Regierung in Warschau. „Russlands größter Erfolg in | |
Polen ist die PiS“, scheppert [2][eine düstere Stimme aus dem | |
Wahlspot-Off]. Die PiS oder Recht und Gerechtigkeit hatte von 2015 bis 2023 | |
regiert, Polens Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weitgehend zerstört und | |
die bislang guten Beziehungen zu Deutschland, Frankreich und insbesondere | |
der EU bewusst verschlechtert. | |
„Erst gewannen sie die Wahlen, indem sie auf das illegal erworbene Material | |
eines Kohleimporteurs aus Russland zurückgriffen. Und dann vergrößerten sie | |
seinen Import“, sagt die Stimme zu dröhnenden Bässen und rasendem | |
Bildwechsel. Alle Hinweise, die auf einen wachsenden Einfluss der | |
belarussischen und russischen Geheimdienste hindeuteten, seien unter den | |
Teppich gekehrt worden. Dafür habe Tomasz Szmydt dank des Einflusses und | |
der Unterstützung führender PiS-Politiker eine atemberaubende Karriere | |
hingelegt – „bis vor Kurzem Richter, in Wirklichkeit ein Spion, der nach | |
Belarus geflohen ist“. | |
Dann verspricht die PO, die „russischen und belarussischen Einflüsse auf | |
die Regierungen der Vereinigten Rechten“ aufklären zu wollen. Premier | |
Donald Tusk kommt ins Bild. Vom Rednerpult des Sejms aus ruft er den | |
Abgeordneten und allen Polen zu: „Die Abkürzung der Polnischen Vereinigten | |
Rechten PZP kann auch aufgelöst werden als ‚Bezahlte Verräter und Knechte | |
Russlands‘ PZPR.“ Dies ist zugleich die Abkürzung der kommunistischen | |
Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, die von 1948 bis 1989 diktatorisch | |
in Polen herrschte und erst in der Solidarnosć-Zeit friedlich abgewählt | |
werden konnte. | |
Im Wahlspot fällt kein einziges Mal das Wort „EU“. Es wehen keine blauen | |
EU-Flaggen, und auch die Ode an die Freude, die Europa-Hymne, ist nicht zu | |
hören. Denn der Spot macht auch so klar, dass die EU untergehen oder | |
zumindest sehr viel schwächer sein wird, sollten diese inneren Feinde als | |
Abgeordnete ins EU-Parlament einziehen. | |
Auch wenn etliche polnische Intellektuelle den PO-Wahlspot scharf | |
kritisieren, da er wie aus der Propagandakiste der PiS zu stammen scheint, | |
gehen die Umfragewerte für die PO doch nach oben. Die zahlreichen | |
PO-Politiker-Auftritte, in denen auch die soziale Sicherheit der Polen | |
beschworen wird, tun ein Übriges. | |
[3][Die neueste Umfrage des Instituts Opinia24] mit der Frage „Welche | |
Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag schon der 9. Juni wäre, | |
also der Wahltag zum Europäischen Parlament?“ zeigt mit 31 zu 29 | |
Prozentpunkten zum ersten Mal seit vielen Jahren einen leichten Vorsprung | |
der PO vor der PiS in der Wählergunst der Polen. Die Nationalpopulisten von | |
der PiS hingegen müssen von Umfrage zu Umfrage weitere Verluste hinnehmen. | |
29 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Spionageskandal-in-Polen/!6009503 | |
[2] https://www.youtube.com/platformarp | |
[3] https://tvn24.pl/wybory-do-europarlamentu-2024/wybory-do-parlamentu-europej… | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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