| # taz.de -- Am Straßenrand in Budapest: Self-Check-in bei Viktor Orbán | |
| > Manchmal ist es gar nicht so leicht, in sein Hostel zu kommen. Und bei | |
| > einem Blick auf ein Wahlplakat der Fidesz kann einem schon mal anders | |
| > werden. | |
| Bild: Umstrittene Wahlwerbung: Die Opposition serviert Ursula von der Leyen una… | |
| Wir sitzen vor der Kazinczy-Synagoge in Pest und bröseln uns feinstes | |
| Berliner Gras zwischen den Tabak. „Das historische jüdische Viertel im 7. | |
| Bezirk von Budapest ist einer der ältesten, aufregendsten und | |
| stimmungsvollsten Teile der Stadt“, liest du vor. Vor wenigen Stunden sind | |
| wir mit dem Motorrad hier angekommen, alles tut uns weh, aber wir wollen | |
| uns unbedingt diese von so vielen gehypte Stadt auch mal anschauen. | |
| In Wien hatte mir eine Wienerin gestern noch versprochen, Budapest sei | |
| „urschön“, das einzige Problem: „Ihr seid’s halt dann [1][beim Orbán]… | |
| schaue mich um. Abgesehen von der Kakerlake, die zwischen unseren Füßen | |
| krabbelt, sehe ich hauptsächlich Männergruppen, die entweder grölend oder | |
| saufend oder beides an uns vorbeilaufen. Die Zeiten der k.u.k.-Monarchie | |
| liegen jedenfalls in weiter Ferne und die der Sowjetzeit auch. Wenn die | |
| schönen Jugendstil-Fassaden nicht wären, könnte man meinen, man sei in | |
| Berlin: Döner- und Burgerläden, Cafés, Secondhandgeschäfte, Tattoostudios | |
| oder Läden für Analogfotografie. | |
| Und: extrem viele Hostels. Besonders beliebt: Self-Check-ins. Man bekommt | |
| über eine App einen Code geschickt, mit dem man dann die Tür zum Zimmer | |
| öffnen kann. Bei Problemen – und die gibt es meistens – chattet man mit | |
| einer Person am anderen Ende der Welt (in unserem Fall einem Inder) und | |
| verzweifelt. | |
| „Das historische jüdische Viertel im 7. Bezirk von Budapest ist vor allem | |
| eine durchgentrifizierte Partymeile“, sagst du. „Ist ja fast schlimmer als | |
| Berlin.“ Nach dem mehrstündigen Self-Check-in wollten wir in eine | |
| sogenannte Ruinenbar, die uns empfohlen worden war. Doch angesichts der | |
| Schlange vor dem Lokal und der Abiparty-Atmosphäre haben wir uns dann doch | |
| für [2][Tesco-Bier] entschieden. | |
| Und dafür, auf dieser Bank zwischen Synagoge und zweispuriger Fahrbahn zu | |
| sitzen und den Leuten beim Vorbeilaufen zuzuschauen. Eine junge Frau, mit | |
| Plastiktüten bepackt, kommt auf uns zu. „Money?“ fragt sie uns und bemüht | |
| sich zu erklären, dass sie schwanger sei und was zu essen brauche. Du | |
| hältst ihr die Heidelbeeren hin, die wir bei Tesco gekauft haben. Sie nimmt | |
| dankend die ganze Packung und geht. | |
| Ich betrachte das Plakat auf der Litfaßsäule vor uns: | |
| [3][EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen umringt von vier | |
| ungarischen Politiker:innen], die ihr „Migration, Krieg und Gender“ | |
| auf Silbertabletts präsentieren. Darunter auf Ungarisch: „Die bescheidenen | |
| Diener von Brüssel“. „Denkst du, das ist ein offizielles Wahlplakat?“, | |
| frage ich dich, ein Parteiname ist nicht zu erkennen. | |
| Nach einer Internet-Recherche wissen wir: Es ist tatsächlich ein | |
| Fidesz-Plakat. Es zeigt Oppositionelle. Sie servieren Orbáns Ängste auf | |
| Silbertabletts: Migration, Krieg, Gender. „Ob das auch die Ängste der | |
| Bevölkerung sind?“, sage ich. „Falls ja, sind sie irgendwie auf der ganz | |
| falschen Fährte“, sagst du. „Ich habe übrigens Hunger. Wollen wir nochmal | |
| zu Tesco?“ | |
| 30 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ruth Lang Fuentes | |
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