| # taz.de -- Die Wahrheit: Tod eines Notebooks | |
| > Der Ausfall eines elektronischen Geräts vermittelt eine vage Vorstellung | |
| > davon, wie sich ein Schlaganfall auswirken muss – alles ist auf einmal | |
| > weg. | |
| Alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht. Existenz ist | |
| Krankheit zum Tode hin. Keiner kommt hier lebend raus. Derlei Weisheiten | |
| sind bekannt, einerseits. Andererseits will für dieses Leben trotzdem der | |
| Unterhalt verdient, will Brot gekauft, Wein getrunken, Altglas entsorgt, | |
| Staub gesaugt und der Wecker gestellt werden. | |
| Unter derlei Alltäglichkeiten gehen Weisheiten nur allzu gern unter. Gerade | |
| so, wie meine „PLO“-, „Yassir Arafat“- oder „Palästina“-Anstecker … | |
| späten Achtzigerjahren unter vergleichbarem Krempel begraben sind. Irgendwo | |
| in der Schublade müssen die Dinger noch rumfliegen und auf den | |
| Sankt-Nimmerleins-Tag warten – vorher werde ich sie mir jedenfalls nicht | |
| mehr ans Revers heften. Wo war ich? | |
| Ach ja, beim Tod. Vergangene Woche beispielsweise holte sich der grimme | |
| Schnitter mein „Samsung Galaxy Note 20 Ultra Superplus Meta Titanium Turbo | |
| Gold“ (Name frei ausgedacht). Aus heiterem Himmel zeigte der Bildschirm nur | |
| noch zitternde Linien in Grün und Schwarz. Es sieht aus wie abstrakte | |
| Videokunst auf der Documenta von 1992. | |
| Der Ausfall des Geräts vermittelt mir eine vage Vorstellung davon, wie sich | |
| ein Schlaganfall auswirken muss. In Form von Adressen, Fotos, Interviews | |
| oder Notizen sind gespeicherte Erinnerungen komplett flöten gegangen. | |
| Fahrkarten kaufen, Geld überweisen oder mich in fremden Städten | |
| orientieren? Funktioniert nur noch mit klingender Münze beim Busfahrer, am | |
| Schalter der seit Jahrzehnten geschlossenen Bankfiliale und mit einem | |
| faltbaren Stadtplan von Falk – dem analogen Vorläufer von Google Maps. | |
| Ich erlebe einen Rückfall ins 20. Jahrhundert und staune, wie weit wir auf | |
| dem Weg in den Transhumanismus schon fortgeschritten sind. „Was man nicht | |
| im Kopf hat“, sagte meine Oma gern, „das muss man in den Beinen haben.“ W… | |
| man nicht im Kopf hat, sage ich ungern, trägt man eben auf einer | |
| ausgelagerten Festplatte mit sich herum. Wo Hirn war, ist Silizium | |
| geworden. | |
| Am liebsten würde ich dieses telekommunikative Koma nutzen, um mich einer | |
| digitalen Entgiftung hinzugeben und einfach wieder „ganz im Moment“ zu | |
| sein. Leider versuchen fortwährend Menschen, vermutlich aus dem Jahr 2024, | |
| zu mir vorzudringen. Gerade jetzt klingelt’s schon wieder! Laut und | |
| deutlich, so wie immer. Aber weder kann ich sehen, wer da anruft, noch | |
| rangehen und das Problem erklären – nicht einmal mit einem Blinzeln oder | |
| der Andeutung eines Lächelns auf meine desolate Lage aufmerksam machen. | |
| Also bimmelt es einfach durch. Es ist die Hölle. Und wenn diese Hölle eines | |
| Tages zufrieren sollte, werde ich zwangsläufig wieder peinliche Anstecker | |
| tragen müssen. Und das muss auf jeden Fall verhindert werden. Also | |
| versucht’s bitte weiter! Schickt Brieftauben! Oder ruft auf dem Festnetz | |
| an! Ich warte. | |
| 31 May 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Arno Frank | |
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