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# taz.de -- Umgang mit Patient:innen: Gespräche auf Augenhöhe
> Die Kieler Uniklinik ist Vorreiterin beim Shared Decision Making – einer
> Methode, bei der Patient:innen und Ärzt:innen gemeinsam
> entscheiden.
Bild: Kann nur Verlautbarung sein oder eine Begegnung auf Augenhöhe: das Gespr…
Kiel taz | Der Aufsteller steht direkt hinter der Tür, die ins Hauptgebäude
des Uniklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel führt. In weißer Schrift
auf rosafarbenem Grund heißt es dort: „Stellen Sie Ihrem Arzt diese Fragen:
Welche Möglichkeiten habe ich? Was sind die Vor- und Nachteile? Wie
wahrscheinlich ist, dass diese Vor- und Nachteile bei mir auftreten?“ Die
meisten eilen achtlos an dem Aufsteller vorbei.
Egal, sagt Friedemann Geiger, Leiter des Nationalen Kompetenzzentrum für
„Shared Decision Making“, das in Kiel angesiedelt ist. „Es gibt Flyer und
weitere Aufklärungen. Früher oder später wird klar: Ja, wir meinen das
Angebot ernst.“
Bei diesem Angebot geht es um etwas, das eigentlich selbstverständlich sein
sollte: Gespräche zwischen Ärzt:innen und Patient:innen auf
Augenhöhe, um gemeinsam zu entscheiden, wie die Behandlung aussehen soll.
Shared Decision Making (SDM) heißt diese Idee, teilweise ist auch von der
„patientenzentrierten klinischen Methode“ die Rede. In Kiel wird das
Verfahren seit mehreren Jahren ausprobiert. Geht es nach den
Verantwortlichen, soll es bald bundesweit eingesetzt werden. Doch dafür
braucht es eine Gesetzesänderung.
Als es losging mit dem Shared Decision Making, war der Gefäßchirurg Grischa
Hoffmann skeptisch: „Ich dachte: Was soll denn das jetzt wieder?“,
berichtete der Oberarzt der Klinik für Endovaskuläre Chirurgie im UKSH bei
einem Treffen mit dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Stefan
Schwartze.
## Mehr Zeit für beide Seiten
Der SPD-Bundestagsabgeordnete informierte sich in Kiel über die Umsetzung
des Projekts, das im Jahr 2017 startete. Damals erhielt die Kieler Klinik
knapp 14 Millionen Euro aus einem Innovationsfonds. Mit dem Geld sollte ein
Modell entwickelt werden, das bundesweit übernommen werden kann. In Kiel
ist die gemeinsame Entscheidung inzwischen Alltag geworden und hat auch
Grischa Hoffmann überzeugt: „Ich habe immer gedacht, ich wüsste aus dem
Bauch heraus, wie ich mit [1][Patienten] sprechen muss.“
Doch Studien zeigen, dass es bei solchen Gesprächen oft hakt: Ärzt:innen
unterbrechen die Kranken bereits nach wenigen Sekunden, stellen Fragen, die
sich nur mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten lassen, oder drängen sie mit
suggestiven Phrasen in eine bestimmte Richtung. Hinzu kommen
unverständliche Fachbegriffe. Schlimmstenfalls wird sogar über den Kopf der
Patient:innen hinweg entschieden.
Das SDM-Verfahren setzt dagegen auf einen Gesprächsleitfaden, der beiden
Seiten Zeit für Überlegungen lässt und so eine Annäherung an schwierige
Entscheidungen erlaubt. „Das ist eine ganz andere Qualität“, sagt Hoffmann.
Auch wenn das Gespräch auf diese Weise länger dauert als die
Von-oben-herab-Belehrung durch die Halbgött:innen in Weiß, lohne es sich
unter dem Strich sogar finanziell für die [2][Krankenkassen], sagt
Friedemann Geiger.
Denn ein Punkt, an dem sich das SDM direkt auswirkt, ist die
Notfalleinweisung. Gemeint ist, dass frisch Operierte als Notfälle zurück
in die Klinik kommen, weil die OP-Wunde Probleme bereitet oder
Nebenwirkungen auftreten. Um ganze 13 Prozentpunkte sei die Zahl dieser
Notfalleinweisungen zurückgegangen, sagt Geiger: „Wir liegen weit unter dem
Bundesschnitt.“ Der Grund dafür sei, dass Patient:innen anders mit
Symptomen umgehen, wenn sie gut aufgeklärt sind und verstehen, warum die
[3][Operation] notwendig war und was dabei passiert.
Auch innerhalb des ärztlichen Teams helfe SDM, sagt der Kardiologe Anselm
Uebing, Leiter der Klinik für angeborene Herzfehler: „Früher ging es
manchmal nach der Devise: Der Kollege, der zuerst am Bett war, bekam den
Zuschlag für seine Methode.“ Jetzt stimme sich das Team stärker
interdisziplinär ab.
Stefan Schwartze hofft darauf, dass die Kieler Erfolge zu einer
Gesetzesänderung führen und steht damit nicht allein: Der Gemeinsame
Bundesausschuss, das Entscheidungs-Gremium für Gesundheitsfragen,
befürwortet die Idee. Denn auch wenn SDM unter dem Strich zu Einsparungen
führt, kostet das Verfahren dennoch Geld. „Wir brauchen die Aufnahme ins
Gesetz, es geht nicht anders“, glaubt Schwartze.
5 Aug 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Universitätsklinikum
Kiel
Patienten
Ärztinnen
Ärzte
Lübeck
Schleswig-Holstein
Citizen Science
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