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# taz.de -- Wirkung von Cannabis: Was die Forschung sagt
> Kiffen ist legal, zumindest teilweise. Ob das gut ist oder nicht, darüber
> lässt sich streiten – am besten mit den wissenschaftlichen Fakten.
Bild: Wie wirkt Cannabis?
Cannabis ist dem Gehirn nicht unbekannt. Denn es gibt das „endogene
Cannabinoid-System“, [1][das viele wichtige Funktionen im Körper
übernimmt]. Es ist an der Entwicklung des zentralen Nervensystems beteiligt
und reguliert verschiedenste Prozesse: etwa Appetit, Schlaf,
Entzündungsreaktionen, Schmerz und Gedächtnisfunktionen. Dazu benötigt es
Cannabinoide, die der Körper selbst herstellt. Binden diese sogenannten
Endocannabinoide (eCBs) an Andockstellen (Rezeptoren) in den Zellen, löst
das verschiedenste Signale aus: Beispielsweise leiten solche Botschaften
der Körperzellen neu entstehende Nervenzellen an ihre Zielorte und regen
den Umbau von Verbindungen zwischen bestehenden Nervenzellen an. Wie
belohnend wir eine Aktivität, Nahrung oder soziale Aktionen finden, hängt
auch von der Aktivierung der eCB-Rezeptoren ab.
Das Tetrahydrocannabinol (THC) aus der Cannabis-Pflanze kann ebenfalls an
die Cannabinoidrezeptoren binden. Das bedeutet aber: Das endogene
Cannabinoid-System kommt aus dem Gleichgewicht: Es wird aktiviert, obwohl
es dazu eigentlich keinen Grund gäbe – und noch dazu stärker, als es die
eCBs getan hätten. Denn die Konzentrationen an THC beim Cannabis-Konsum
sind deutlich höher als die der körpereigenen Cannabinoide.
Cannabis schränkt die Gehirn- und Motorfunktionen ein – das Denken und die
Bewegungen sind also nicht mehr so koordiniert. Auch die Augenreflexe und
die Reaktionszeit verlangsamen sich. Vieles ist allerdings noch gar nicht
bekannt, weil die Forschung in ihren Mitteln beschränkt ist: Die
Bedingungen im Labor sind anders als beim gemütlichen Herumreichen eines
Joints. Unbestritten ist aber: Das menschliche Gehirn ist erst mit etwa 25
Jahren vollständig entwickelt. Bis zu diesem Zeitpunkt kann THC in die
Entwicklungsprozesse eingreifen und kann deshalb für Jugendliche und junge
Erwachsene durchaus gefährlich sein.
## Was ist mit Cannabidiol?
Cannabidiol (CBD) ist neben THC ein weiterer wichtiger Inhaltsstoff von
Cannabis, der allerdings keine psychoaktive Wirkung hat – also nicht „high�…
macht. [2][CBD beeinflusst den Körper] jedoch auf verschiedene Weisen, die
noch nicht vollständig verstanden sind. Es wird schnell von Geweben und
Organen aufgenommen und gelangt durch die Blut-Hirn-Schranke auch in das
zentrale Nervensystem. Dort interagiert es mit vermutlich mehr als 50
verschiedenen Rezeptoren und Molekülen und beeinflusst dadurch
beispielsweise das Schmerzempfinden und den psychischen Zustand. Teilweise
wird es deshalb zur Behandlung von Epilepsie eingesetzt, Studien
untersuchen zudem mögliche Anwendungen bei Schmerz, psychischen
Erkrankungen und Entzündungen.
CBD-Öle kann man etwa im Internet kaufen. Die Wirkstoffe werden den Ölen
beigemischt, auch essbaren Varianten wie Sonnenblumen- oder Olivenöl. Das
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und die
Verbraucherzentrale [3][warnen jedoch vor diesen Produkten]: Die Sicherheit
sei nicht gewährleistet und die Produkte sind nicht als Lebensmittel
zugelassen. Das liegt unter anderem daran, dass CBD-Öle alle möglichen
Stoffe außer THC enthalten können. So können die Öle unterschiedliche
Wirkungen haben, auch negative wie Schlaflosigkeit oder, paradoxerweise,
extreme Schläfrigkeit.
## Kann man von Cannabis abhängig werden?
Ja. Allerdings ist die Gefahr einer Abhängigkeit deutlich geringer als bei
Substanzen wie Alkohol, Tabak oder Opioiden. Eine Abhängigkeit definiert
sich über verschiedene Aspekte. Wichtig ist die Toleranz: Wer regelmäßig
Cannabis einnimmt, wird nach und nach immer mehr davon benötigen, um noch
die gleiche Wirkung zu spüren. Dazu kommen Entzugserscheinungen, wenn man
den Konsum einstellt.
Manche berichten von Schlafproblemen, fühlen sich reizbar und unruhig oder
haben körperliche Reaktionen, schwitzen etwa viel, haben Schluckauf oder
die Nase läuft. Verglichen mit anderen Drogen sind die Symptome aber mild,
daher wird das Abhängigkeitsrisiko als klein eingestuft.
## Warum löst Cannabis bei manchen Menschen psychotische Episoden aus?
Der [4][Zusammenhang ist bisher nicht vollständig geklärt]. Eine neue
Studie legt allerdings nahe, dass hochdosierte THC-Produkte psychotische
Episoden bei jungen Menschen deutlich wahrscheinlicher machen als solche
mit weniger THC. Eine psychotische Episode bedeutet, dass die Betroffenen
etwa halluzinieren, Wahnvorstellungen und Ängste haben und an Denkstörungen
leiden. Solche Symptome können beispielsweise auch bei Schizophrenie
vorkommen und es ist möglich, dass Cannabiskonsum die Entstehung einer
Schizophrenie begünstigen kann.
Es ist allerdings schwierig, so etwas wissenschaftlich auseinanderzuhalten:
Nicht jeder, der Cannabis konsumiert, wird psychotisch oder bekommt eine
Schizophrenie. Vielleicht nutzen Menschen mit einer psychischen Erkrankung
Cannabis schlicht, um sich selbst damit zu therapieren. Es kann aber auch
durchaus sein, dass die Droge das Gehirn auf eine Weise verändert, die eine
Psychose oder eine Schizophrenie wahrscheinlicher machen kann. Einen
direkten Beweis dafür gibt es bisher nicht.
## Wie und wann wird medizinisches Cannabis verwendet?
Cannabis darf als Arzneimittel verwendet werden, wenn eine schwerwiegende
Erkrankung vorliegt und es keine anderen Therapiemöglichkeiten gibt. Dabei
geht es vor allem um die [5][Behandlung von chronischen Schmerzen].
Deutlich seltener werden Spastik, Anorexie oder Übelkeit und Erbrechen mit
Cannabis therapiert. Die Betroffenen erhalten dazu entweder hochwertige
getrocknete Blüten, Extrakte oder Arzneimittel mit den Wirkstoffen
Dronabinol, ein anderer Name für THC, oder Nabilon, ein synthetisches
Cannabinoid mit ähnlicher Struktur wie THC.
Auch bei der medizinischen Anwendung muss noch viel erforscht werden.
Offenbar wirkt Cannabis nicht bei allen akuten und chronischen Schmerzen
gleich gut. Zudem könnten manche Personengruppen, etwa ältere Menschen,
stärker unter möglichen negativen Effekten leiden. Forschende fordern
deshalb eine bessere Untersuchung der Vor- und Nachteile sowie Studien über
optimale Dosierungen und Aufnahmewege.
## Die „Munchies“: Warum regt Cannabis den Appetit an?
Das endogene Cannabinoid-System ist nicht nur auf das Gehirn beschränkt.
Cannabinoid-Rezeptoren befinden sich auch in Organen wie Herz und Milz, in
Hormondrüsen und im Magen-Darm-Trakt. Daher spielt Cannabis auch eine Rolle
in der Darm-Hirn-Achse, also der Kommunikation zwischen Kopf und Bauch.
Cannabis-Konsumenten und Konsumentinnen berichten häufig von
„Fressattacken“, auch „Munchies“ genannt. Ausgelöst werden diese nicht
durch Hunger, vielmehr scheint Cannabis den [6][Appetit zu stimulieren und
gleichzeitig die Impulskontrolle zu vermindern]. Außerdem beeinflusst das
THC die Geschmackswahrnehmung offenbar, so dass die Nahrung als leckerer
wahrgenommen wird.
Interessanterweise verändert die Droge zusätzlich einige Darmfunktionen. So
scheint Cannabis-Konsum die Beweglichkeit des Darms zu verringern. Er kann
dadurch die Nahrung nicht mehr so gut aufnehmen und weitertransportieren.
Gleichzeitig verbessert es offenbar die Symptome einer Magenlähmung, bei
der Nahrung langsamer verdaut und der Magen schwerer geleert wird.
Möglicherweise hängt die genaue Wirkung bei jeder einzelnen Person auch von
der Zusammensetzung des Mikrobioms in Magen und Darm ab – also welche
Bakterien und andere winzige Organismen dort leben und mit den Organen und
dem Cannabis interagieren.
## Welchen Einfluss hat die Art der Zubereitung?
Ob man das Cannabis im Joint raucht oder als Keks oder Brownie isst,
[7][wirkt sich vor allem auf den zeitlichen Ablauf aus]: Wird es inhaliert,
beginnen die psychotropen Effekte innerhalb weniger Sekunden bis Minuten.
Nach etwa 15 bis 30 Minuten sind sie besonders intensiv und nach zwei bis
drei Stunden nehmen dann wieder sie ab. Nimmt man das THC hingegen über den
Magen auf, beginnt die Wirkung etwa nach 30 bis 90 Minuten. Sie erreicht
dann nach zwei bis drei Stunden das Maximum und hält – je nach Dosis und
den individuellen Reaktionen auf den Cannabiskonsum – zwischen vier und 12
Stunden an.
16 May 2024
## LINKS
[1] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S2451902220302068
[2] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37050032/
[3] https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/nahrungsergaenzungsm…
[4] https://link.springer.com/article/10.1007/s11920-019-1044-x
[5] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0104001421002748
[6] https://tech.snmjournals.org/content/52/1/8.long
[7] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12648025/
## AUTOREN
Stefanie Uhrig
## TAGS
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