| # taz.de -- Verteidigungspolitik: Meine Kinder im Krieg? | |
| > Die Welt, in der wir zu leben glauben, ist eine Illusion. Wir werden erst | |
| > handlungsfähig, wenn wir in die Wirklichkeit wechseln. | |
| Bild: Schützenpanzer Puma auf dem Truppenübungsplatz in Altengrabow | |
| An einem lauschigen Abend in dieser Woche saß ich auf einem Bürgersteig in | |
| Berlin bei exzellenter Verköstigung und ließ mir von einem ausgewiesenen | |
| Weltpolitiker erklären, was eher früher als später auf uns zukommt, wenn | |
| wir nicht sofort anfangen, uns fundamental neu aufzustellen. Das war | |
| plötzlich ganz und gar nicht lauschig. | |
| Wissen Sie: Ich bin ein kritischer Boomer und kulturell ganz und gar | |
| geprägt von der schwierigen Geschichte der Bundesrepublik. Hab viel | |
| geschimpft, erst über Schmidt und seine Pershings, dann volle Pulle über | |
| Kohl (worüber genau, weiß ich jetzt gar nicht mehr), dann | |
| selbstverständlich besonders über Rot-Grün und so weiter. Alles schlimm. | |
| Dachte ich. Falsch gedacht. | |
| Insgesamt lief es schon ziemlich sehr gut nach 1945, im größeren | |
| Zusammenhang gesehen eine einmalige Glücksgeschichte. Ihre Grundlagen habe | |
| ich allerdings lange ignoriert, also kostenloser amerikanischer | |
| Schutzschild, militärisch, demokratisch und kulturell, billige russische | |
| Energie, ideale Weltmarktsituation, Auslagerung von Verantwortung und | |
| schmutzigen Händen an die Amis, Auslagerung von Kosten an Atmosphäre und an | |
| andere Leute weit weg. | |
| Rational habe ich sehr wohl verstanden, dass ich die Gnade der frühen | |
| Geburt habe, dass es so nicht mehr läuft wie bisher, und langsam verstehe | |
| ich auch, dass es niemals so werden wird, wie ich mir das in meiner | |
| Heile-Welt-Utopie vorgestellt habe: nie mehr Kriege, nie mehr Waffen. | |
| ## Bereit, über Atombomben zu reden | |
| Ich sehe die Notwendigkeit bundesdeutschen Abschreckungspotenzials, ich bin | |
| bereit über europäische Atombomben zu reden und über eine Bundeswehr, die | |
| Deutschland gegen einen Angriffskrieg länger als 15 Minuten verteidigen | |
| kann. Ich halte es ganz und gar nicht für Militarismus oder Kriegsgeilheit, | |
| wenn man in der Lage ist, andere vom Morden und Vergewaltigen abzuhalten, | |
| weil sie wissen, dass man sich wehren kann. | |
| Aber eines ist für mich der furchtbarste Gedanke, und das sagte ich dem | |
| Weltpolitiker auch: „Ich verstehe das alles, aber es ist für mich | |
| unvorstellbar, dass meine Kinder in einen Krieg ziehen müssen.“ | |
| Er sah mich mit seinem Joschka-Fischer-Blick an. Dann sagte er, fast wie | |
| nebenbei: „Das werden Ihre Kinder entscheiden.“ Das war der Moment, in dem | |
| ich etwas Entscheidendes kapierte. Bis dahin hatte ich gedacht, dass meine | |
| Kinder in meiner Welt leben. Durch Fischers fünf Worte habe ich verstanden, | |
| dass ich längst in der Welt meiner Kinder lebe. | |
| Das ist die Welt, die der ehemalige Bundesaußenminister an dem Abend | |
| skizzierte – oder wie ich ihn verstanden habe. Eine Welt am Ende der Pax | |
| Americana, der von den USA überwachten globalen Ordnung, in der das, was | |
| wir gerade noch aus relativer Distanz erleben, nicht eine zwischenzeitliche | |
| Erschütterung unserer gewohnten Normalität ist. Sondern erst der Anfang | |
| eines globalen Chaos, in dessen Entwicklung sich Westen und Osten neu | |
| sortieren, die Amerikaner mit den Chinesen die Welt und die Weltmärkte neu | |
| aufteilen – und Europa die Arschkarte hat. Wenn Europa, wenn wir nicht | |
| aktiv Dinge anders machen. | |
| ## Wir können die Zukunft nicht ablehnen | |
| Meine Versuchsthese lautet: Wenn die Welt bereits eine Illusion ist, in der | |
| wir Boomer noch zu leben glauben, dann können wir sie weder verbessern noch | |
| verteidigen. Weil wir aber kulturell, emotional und auch intellektuell Teil | |
| dieser Welt sind (und ihrer schönen Illusionen), ist es verdammt schwierig, | |
| loszulassen. | |
| Es fühlt sich falsch an. Hilft aber nichts: Wir können die Zukunft nicht | |
| einfach ablehnen, wir werden erst handlungsfähig, wenn wir in die reale | |
| Welt unserer Kinder wechseln. Je schneller wir einen konstruktiven Umgang | |
| mit der ungewohnten Härte dort finden, desto größer ist ihre Chance, lange | |
| und einigermaßen glücklich zu leben. | |
| 13 May 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
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