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# taz.de -- Gentrifizierung in Berlin: Heilige Profite, lästige Mieter
> In der Jagowstraße 35 versucht ein Immobilienentwickler mit allen Mitteln
> einen Altbau aufzuwerten. Sehr zum Leidwesen der Bewohner:innen.
Bild: Solange die alten Mieter:innen noch in dem Haus wohnen, lässt der Eigent…
Berlin taz | „Iso-Doppelverglasung: Wissen Sie, von wann die sind?“ Björn
Jotzo, Anwalt der Eigentümerin der Jagowstraße 35, steht in der Küche der
Mieterin Katharina S.* und notiert penibel alle Details der Wohnung. S.
zuckt mit den Schultern, ihr ist die Situation sichtlich unangenehm. Denn
die Eigentümerin will den Altbau in der Moabiter Jagowstraße luxussanieren,
das Vorderhaus soll sogar abgerissen und neu gebaut werden. Doch dazu
müssen alle Mieter:innen ausziehen.
Jotzo soll nun feststellen, in welchem Zustand die Wohnungen sind. Abhängig
vom Befund fällt die Mieterhöhung dann aus. „Je schlechter der Zustand,
umso höhere Abzüge müssen wir machen“, sagt Jotzo. Um dem Anwalt auf die
Finger zu schauen und die Bewohner:innen zu unterstützen, begleiten
Mitglieder:innen vom Mieterverein und die grüne Mietenpolitikerin Katrin
Schmidberger die Besichtigung am Samstagvormittag.
„Die Miete wird exorbitant höher sein, wenn die Mieter:innen wieder
zurückkehren“, sagt Schmidberger der taz. Ebenso drohe den
Bewohner:innen dann eine Eigenbedarfskündigung. Bereits 2021 wurde das
Haus in Eigentumswohnungen aufgeteilt und der Weiterverkauf genehmigt.
[1][Wenn die neuen Eigentümer:innen dann die Wohnung selbst nutzen
wollen, können sie die Mietverträge mit wenig rechtlichem Aufwand
kündigen.] „Es ist dringend benötigter, günstiger Wohnraum, der hier
verloren geht“, sagt Schmidberger. Viele Menschen, die hier leben,
arbeiteten in systemrelevanten Berufen und seien auf den günstigen Wohnraum
in der Lage angewiesen.
An der Jagowstraße 35 zeigt sich der [2][gesamte Wahnsinn des Berliner
Wohnungsmarkts]: Spekulation, Entmietung, Vernichtung günstigen Wohnraums
durch Luxusmodernisierungen und klimaschädlicher Abriss und Neubau.
Rechtliche Handhabe dagegen gibt es kaum. Erstaunlich dabei ist, dass es
sich bei den Eigentümer:innen nicht um börsennotierte Großkonzerne wie
Vonovia und Deutsche Wohnen handelt, sondern um gutverdienende
Privatpersonen aus der Unterhaltungsbranche.
## Langsame Verdrängung
Das Haus, 1910 errichtet, ist ein typischer Berliner Altbau: Vorderhaus,
Seitenflügel, Hinterhaus, dazwischen ein kleiner Innenhof, den eine über
100 Jahre alte Kastanie mit ihrem Blätterdach fast komplett einnimmt. Das
Haus ist nicht im besten Zustand, aber auch keine Schrottimmobilie. Es gibt
eine Zentralheizung und viele Mieter:innen haben über die Jahre viel
Zeit und Geld investiert, um ihre Wohnungen auf Vordermann zu bringen.
„Die Mieten hier sind unschlagbar“, sagt Mieter Armin Dadgar. Weniger als 5
Euro zahle er pro Quadratmeter. Seit 21 Jahren wohnt er hier mit Frau und
Kind. Neben den günstigen Mieten schätzt er auch die Lage in Moabit, in
direkter Nähe zum Hauptbahnhof, da er täglich pendeln muss. 30 Monate
sollen Dadgar und die anderen verbliebenen Mieter:innen in
Ersatzwohnungen ziehen.
Der Besuch des Anwalts ist für sie nur ein weiterer Schritt im langwierigen
Prozess ihrer Verdrängung. Dieser begann schon 2017, als der alte
Eigentümer verstarb. Die Tochter erbte das Haus, wollte aber mit der
Immobilie nichts zu tun haben und verkaufte es. Nach zwei
Eigentümerwechseln landete es bei der Jagowstraße 35 GmbH. Schnell war
klar, dass die neue Eigentümerin die Immobilie „entwickeln“ wolle, wie es
im Immobiliendeutsch heißt.
Das nur zwei Etagen hohe Vorderhaus soll komplett abgerissen und durch
einen Neubau ersetzt werden. Dabei ist das Vorderhaus nicht baufällig,
anstatt eines Abrisses wäre eine Aufstockung problemlos möglich. Die
Mieter:innen haben dazu selbst ein Gutachten in Auftrag gegeben. „Es ist
eine Entscheidung des Eigentümers“, kommentiert Jotzo die Frage nach der
Notwendigkeit des Abrisses. Die Kastanie im Innenhof soll einer Tiefgarage
weichen. Die Wohnungen im Hinterhaus und Seitenflügel sollen komplett
entkernt und luxussaniert werden, mitsamt Balkonen.
[3][Bestandsmieter:innen sind bei solchen Aufwertungsplänen oft nur ein
störendes Element.]
## Abrissgenehmigung bereits erteilt
Nach dem Verkauf vernachlässigten die neuen Eigentümer:innen das Haus
vollends, berichtet Dadgar. Im Winter sei die Heizung wochenlang nicht
repariert worden, leerstehende Wohnungen wurden nicht wieder vermietet,
sondern entkernt. Neben dem täglichen, frühmorgens startenden Baulärm
bedeuteten die Arbeiten monatelange Staubbelastung. Vor Dadgars Wohnungstür
hängt noch immer ein Plastikvorhang, mit dem er versuchte, seine Wohnung
vor eindringendem Staub zu schützen.
„Das ist ganz klar eine Strategie, um uns das Leben ungemütlich zu machen“,
vermutet Armin Dadgar. Wenn sie sowieso ausziehen müssten, gäbe es keinen
Grund, die Arbeiten durchzuführen, während noch Menschen im Haus lebten.
„Die Situation macht krank“, sagt auch die 57-jährige Katarina S. Den
Besichtigungstermin des Anwalts empfindet sie als „demütigend“. Viele
Mieter:innen seien bereits ausgezogen, weil sie dem Druck nicht
standhielten.
Es besteht kaum eine Hoffnung, dass sich das Blatt für die Mieter:innen
noch zum Guten wendet. Das zuständige Bezirksamt Mitte erteilte im August
letzten Jahres eine Abrissgenehmigung für das Vorderhaus, weil es keine
rechtliche Handhabe sieht. Der letzten verbliebenen Mietpartei im
Vorderhaus droht eine Verwertungskündigung, sollte sie nicht freiwillig
ausziehen. Auch den anderen Mieter:innen droht Klage, sollten sie die
Ersatzwohnungen nicht akzeptieren.
Was bleibt, sind lediglich Appelle: „Die Eigentümer sollten von den
Abrissplänen Abstand nehmen“, sagt Katrin Schmidberger. [4][Die beiden
Geschäftsführer der Jagowstraße 35 Immobilienverwaltungs GmbH] sind
bekannte Namen in der Musikbranche und kein börsennotiertes
Immobilienunternehmen, das auf Profitmaximierung ausgelegt ist. „Ich glaube
nicht, dass es den beiden so schlecht geht, dass sie darauf angewiesen
sind.“
28 Apr 2024
## LINKS
[1] /Kampf-gegen-Verdraengung/!6004763
[2] /Kampf-gegen-Verdraengung/!6004763
[3] /Verdraengung-in-Berlin/!5967747
[4] https://www.northdata.de/Jagowstra%C3%9Fe+35+Immobilienverwaltungs+GmbH,+Be…
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
## TAGS
Verdrängung
Abriss
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Schwerpunkt Stadtland
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