| # taz.de -- Einer der trübsten Orte der Welt: Der Pfandraum | |
| > Der Pfandautomaten-Raum im Supermarkt ist ein unangenehmer Ort. Vor | |
| > allem, wenn die Maschine den Geist aufgibt, während man in der Schlange | |
| > steht. | |
| Bild: Egal wo sie stehen, früher oder später funktionieren sie nicht mehr: Pf… | |
| Ich stehe an einem der trübsten Orte der Welt. Einem Pfandvorraum einer | |
| Supermarktkette. Einer der Orte, in dem Menschen große Einkaufswagen durch | |
| die Gänge stoßen und sich gegenseitig den Platz nicht gönnen. Im | |
| Pfandvorraum begleitet das Surren des Automaten meine Gedanken. Zwei der | |
| Maschinen sind außer Betrieb, an einer schiebt eine ältere Dame eine | |
| Plastikflasche nach der anderen in den Schlund, als würde sie ein großes | |
| Tier füttern. | |
| Als der Automat ihre letzte Flasche schluckt und sie schon die Hand | |
| ausstreckt, um den Pfandbon herauszuziehen, [1][fängt die Maschine an zu | |
| piepen]. Zuerst wird die Digitalanzeige schwarz, dann leuchtet ein Text | |
| auf: „Betriebsstörung. Bitte kontaktieren Sie das Supermarktpersonal.“ Die | |
| Frau dreht sich zu mir um: „Mensch. Gerade jetzt“, sagt sie. | |
| Ich blicke sie an. Sie hat ein kleines, unruhiges Gesicht mit blauen Augen, | |
| die früher bestimmt einmal schön waren und jetzt durch einen nervösen | |
| Ausdruck verklärt werden. Vorn im Mund fehlt ihr ein Schneidezahn. | |
| „Können Sie mal drinnen nach einem Mitarbeiter fragen“, sagt sie zu mir. | |
| „Ich bleibe hier bei meinen Flaschen.“ | |
| Ich fühle Müdigkeit in mir aufsteigen bei dem Gedanken, jetzt samt meinem | |
| Leergut im großen Supermarkt ihre Angelegenheit zu regeln. Aber ich merke, | |
| dass sie das Revier verteidigen will. Sie hat Angst um ihr Pfand. | |
| Ich stelle mich vorn an die Kasse, wo Menschen riesige Einkaufsmengen auf | |
| das Band legen. „Entschuldigen Sie bitte“, sage ich nach einer Weile zu | |
| einem Mitarbeiter, der parallel Waren scannt und in sein Headset spricht. | |
| „Da vorne im Pfandraum ist eine Dame, die ihren Pfandbon nicht bekommt.“ | |
| „Was?“ Er dreht sich unwillig zu mir um. Dann spricht er in sein Headset: | |
| „Schickst du bitte einen Kollegen in den Pfandraum.“ Vor dem Ausgang läuft | |
| mir die Dame entgegen. Sie wirkt verwirrt, fast wie ein Kind, das im | |
| Supermarkt verloren gegangen ist. | |
| Im Pfandraum kommen zwei Mitarbeiter dazu. Einer öffnet die Türen der | |
| Maschinen, drückt auf Knöpfen herum und erklärt dabei dem anderen | |
| Mitarbeiter, was er macht. | |
| „Ich habe acht Flaschen darin. Zwei Euro“, sagt die Dame zu ihm. Sie | |
| schwirrt die ganze Zeit nah um ihn herum, als hätte sie Angst, dass ihr Bon | |
| verschwindet, wenn sie nicht genau aufpasst. | |
| „Halten Sie bitte Abstand“, sagt der Mitarbeiter plötzlich. Ich zucke | |
| innerlich zusammen. „Halten Sie bitte Abstand.“ Ein Satz, den ich lange | |
| nicht gehört habe, ein Satz aus Zeiten der [2][Pandemie]. „Halten Sie bitte | |
| Abstand.“ | |
| „Ja“, die Frau tritt sofort einen Schritt zurück, als hätte sich in ihr | |
| eingebrannt, welche Reaktion dieser Satz verlangt. „Acht Flaschen, zwei | |
| Euro“, wiederholt sie. Sie blickt sich zu mir um: „Ich kaufe erst ein, wenn | |
| ich meinen Zettel habe.“ | |
| Ich spüre Mitleid, ohne genau zu wissen, was mich berührt. Dass ihr die | |
| zwei Euro so wichtig sind oder weil sie vielleicht mit den | |
| [3][Pfandflaschen] etwas Größeres kontrollieren und in Gewahr halten muss. | |
| Hinter uns bildet sich eine Schlange. Menschen mit Kästen voller leerer | |
| Mehrwegflaschen stehen da und starren stumm auf die zwei Mitarbeiter. | |
| ## Ich spüre die Ungeduld der Schlange | |
| Der eine drückt Knöpfe und schließt immer wieder die Tür des Automaten, | |
| doch die Störungsanzeige blinkt weiter. Er reinigt nun mit | |
| Desinfektionsmittel das Band, auf das sonst die Pfandflaschen geschoben | |
| werden. | |
| Auf einmal springt der Automat an. Die Pfandanzeige leuchtet hell. Der | |
| Mitarbeiter dreht sich um: „Sie können nun Ihre Flaschen hineintun“, sagt | |
| er zu mir. Die Frau sieht ihn panisch an: „Ich habe meine schon reingetan. | |
| Der Zettel ist drin!“ | |
| Der Mitarbeiter blickt für einen Moment, als wüsste er nicht, ob er ihr | |
| glauben soll. „Ich habe es gesehen“, sage ich. Der Mann nickt. „Gehen Sie | |
| nach vorne und holen Sie sich die zwei Euro an der Kasse.“ Schnell huscht | |
| die Dame davon, ohne sich zu bedanken. | |
| Ich werfe meine Flaschen in den Automaten. Hinter mir spüre ich die | |
| Ungeduld der Schlange. Dann verlasse ich so schnell ich kann diesen Ort. | |
| 7 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christa Pfafferott | |
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