# taz.de -- Der 1. Mai in Berlin: Autonom ist out | |
> Propalästinensisch ist in: Ausrichtung und Wirkung der „Revolutionären | |
> 1.-Mai-Demonstration“ hat sich deutlich verschoben. Friedlicher ist sie | |
> auch. | |
Bild: Bild vom 1. Mai in Berlin | |
Berlin taz | Das Ende der Tradition des [1][Revolutionären 1. Mai] in | |
Berlin ist in den vergangenen Jahren schon häufiger ausgerufen worden. | |
Gemeint war damit stets seine Befriedung, die Überwindung der seit der | |
Erstausgabe 1987 ritualisierten Straßenschlachten zwischen Linksradikalen | |
und der Polizei. Schon 2022 war die Rede vom [2][„friedlichsten 1. Mai seit | |
Jahrzehnten“], im vergangenen Jahr hieß es dann, der Tag sei „nochmals | |
friedlicher“ verlaufen. 2024 ist nun zu konstatieren: Friedlicher geht es | |
kaum mehr. Etwa 15.000 Demonstrant:innen liefen ohne nennenswerte | |
Zwischenfälle bis zum angekündigten Endpunkt. | |
Doch mit diesem Jahr ist noch eine weitere Tradition – womöglich endgültig | |
– Geschichte, die des [3][autonomen 1. Mai]. Anarchist:innen und | |
Autonome, das waren lange die prägenden Subszenen der radikalen Linken, die | |
das Bild bestimmten, für Außenstehende erkennbar in ihrer Formierung als | |
Schwarzer Block. Nun aber sind, bis auf ein paar wenige Ausnahmen wie einem | |
200 Personen umfassenden radikalfeministischen Block, [4][jene radikalen, | |
undogmatischen Linken von der Demo verschwunden]. | |
Der Wandel hatte sich schon eine Weile abgezeichnet, darf aber nun | |
zumindest vorerst als abgeschlossen gelten. Die Demo wird organisiert und | |
dominiert von kommunistischen Gruppen, ob sie nun Kommunistischer Aufbau | |
oder Bund der Kommunist:innen heißen, die, wie stets, von einer | |
revolutionären Massenpartei träumen. Abzulesen ist deren Dominanz nicht nur | |
an den prägenden roten Fahnen, sondern auch am Wechsel des | |
Demonstrationsorts. Dieser hat sich von der einstigen Autonomenhochburg | |
Kreuzberg inzwischen vollständig nach Neukölln verlagert. | |
Das spricht gleichwohl dafür, dass die organisierenden Gruppen, zu denen | |
federführend auch die Migrantifa gehört, als Ziel ihrer Agitation | |
hauptsächlich die oft marginalisierte, meist migrantische Jugend ins Auge | |
fassen. Angesichts einer schwindenden klassischen linksradikalen Szene, ob | |
autonom oder post-autonom, ist die Fokussierung auf andere Zielgruppen | |
nachvollziehbar – und durchaus erfolgreich: Mit 15.000 bis 20.000 | |
Demonstrant:innen, die inzwischen regelmäßig angezogen werden, ist der | |
Revolutionäre 1. Mai so groß wie nie zuvor in seiner Geschichte. | |
## Einseitig | |
Sie war aber auch so einseitig wie nie. Das Thema Palästina, in Form der | |
Solidarität mit den Palästinenser:innen, dominierte nahezu den gesamten | |
Demonstrationszug, der ganz bewusst durch die Sonnenallee, das Zentrum | |
jener Proteste in den vergangenen Monaten, führte. Die anderswo umstrittene | |
Klassifizierung des Gaza-Kriegs als „Genozid“ war hier unwidersprochen, | |
mitunter hatte es fast den Anschein, Palästina gilt für jene Linken als das | |
gelobte Land. | |
Andere relevante Themen, sei es die gerade in Berlin so existenzielle | |
Mietenfrage oder auch, größer, die soziale Frage als Gegensatz zwischen | |
Arbeit und Kapital, jene nach der Klimakatastrophe oder dem drohenden | |
Faschismus spielten keine Rolle, weder auf Transparenten noch in | |
Sprechchören. | |
Trotz vereinzelter verbotener Slogans, etwa „From the river to the sea“, | |
mitunter leicht abgewandelt, legten es die Teilnehmer:innen aber nicht | |
wirklich darauf an, die niedrige Eingriffsschwelle der Polizei für jene | |
Formen der Meinungskundgebung zu überschreiten. Zwar stand ein Eingreifen | |
der argwöhnisch lauschenden Polizist:innen mehrfach kurz bevor, zweimal | |
wurde der Zug auch kurz gestoppt, aber letztlich setzte auch die Polizei | |
auf Deeskalation. | |
## 34 Festnahmen | |
Zu Festnahmen, vor allem nach Beendigung der Demo, kam es dennoch. Laut | |
vorläufiger Bilanz wurden 34 Demonstrant:innen vorläufig festgenommen | |
und 39 Strafverfahren eingeleitet, nach 117 im Vorjahr. Fünf | |
Polizist:innen wurden leicht verletzt, so wenig wie nie. Aus Sicht von | |
Polizei und Innensenatorin ist das auch ein Verdienst eines fast | |
erdrückenden Aufgebots, oder wie es Berlins Polizeipräsidentin Barbara | |
Slowik formulierte: „Eine deutliche Präsenz lässt schon manches im Keim | |
ersticken.“ | |
Etwa 6.000 Polizist:innen sind es, die alljährlich das | |
Demonstrationsgeschehen in Berlin begleiten, trotz der jährlich | |
zurückgehenden Zwischenfälle ist es bislang zu keiner Reduzierung des | |
Aufgebots gekommen. | |
Kritiker:innen, etwa von Linken und Grünen, fordern schon seit Jahren und | |
auch am Donnerstag in einer Aktuellen Stunde im Abgeordnetenhaus ein | |
Anpassen an die neue Situation, in der Massenmilitanz kein drohendes | |
Szenario mehr darstellt. | |
9 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Revolutionaere-1-Mai-Demo-in-Berlin/!6008100 | |
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[4] /Revolutionaere-1-Mai-Demo-in-Berlin/!6004976 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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