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# taz.de -- Geburt und Klima: Bei Hitze mehr Frühchen
> Mit der Erderhitzung steigt das Risiko für Frühgeburten. Warum genau wird
> derzeit noch diskutiert: Für Mütter und Kinder kann das gefährlich
> werden.
Bild: Auf der Intensivstation für Frühgeburten
Mehr als 13 Millionen Babys kommen jährlich zu früh zur Welt, etwa [1][eine
Million davon sterben an den Folgen]. Wegen des Klimawandels könnten es in
den nächsten Jahren noch mehr werden. Der Grund: An besonders heißen Tagen
und bei anhaltender Hitze steigt das Risiko für Frühgeburten. Zu diesem
Ergebnis kommt [2][eine Studie australischer Forscher:innen], die in dem
Fachmagazin JAMA Pediatrics veröffentlicht wurde.
In Sydney wurden in den Jahren 2000 bis 2020 mehr als 63.000 hitzebedingte
[3][Frühgeburten] gezählt. Als Frühgeburt gelten Geburten vor der 37.
Schwangerschaftswoche. Die Wahrscheinlichkeit stieg mit der Anzahl der
Hitzetage im letzten Schwangerschaftsdrittel. In der Studie wurden die
heißesten 5 Prozent der Tage eines Jahres berücksichtigt.
Noch sind die vielen hitzebedingten Frühgeburten ein Rätsel. Es gibt drei
dominante Theorien: entzündete Zellen, veränderter Blutfluss, gestörter
Schlafrhythmus, doch der genaue [4][biologische Zusammenhang ist
umstritten]. Sicher ist nur, dass es aufgrund der Klimakrise in den
kommenden Jahren zu immer mehr Hitzeperioden kommen wird. Und dass
Frühgeburten den Kindern schaden können.
„Die Babys brauchen besondere Pflege und Zuwendung“, sagt Anke Diemert,
Professorin für Hebammenwissenschaft und Autorin einer deutschen Studie zu
hitzebedingten Frühgeburten. Neugeborene müssen zum Beispiel oft einige
Zeit im Wärmebettchen verbringen. Dabei handelt es sich um ein beheiztes
Bett, in dem Körperfunktionen wie der Herzschlag kontinuierlich gemessen
werden. Darüber hinaus weisen Studien auf eine Reihe von Langzeitfolgen
hin. Betroffene Kinder haben ein erhöhtes Risiko für Infektionen, Allergien
und Asthma.
## Das Klima-Risiko
Aber auch die Mütter leiden unter einer Frühgeburt. Sie haben ein höheres
Risiko für Depressionen, fühlen sich auch Monate nach der Frühgeburt
[5][gestresster, müder und aggressiver] als Mütter, deren Babys zum
errechneten Termin geboren wurden. Darüber hinaus sind laut einer
[6][Studie aus den USA] auch Langzeitfolgen zu erwarten: So steigt bei
Müttern mit Frühgeborenen das Risiko für Bluthochdruck und koronare
Herzkrankheiten wie Herzinfarkt.
Hitzebedingte Frühgeburten treten freilich nicht nur in Australien auf. Der
Zusammenhang ist in [7][vielen Ländern der Welt belegt]. Beispiele sind
China, Nepal, Südafrika, Burundi, Nigeria, Haiti und die USA. Dort wird die
[8][Zahl der Frühgeburten auf 25.000 pro Jahr geschätzt].
Auch in Deutschland hat ein Forschungsteam [9][ein erhöhtes Risiko für
„späte Frühgeburten“] in den ersten sieben Tagen nach einem Hitzetag und …
Hitzetagen mit besonders hoher Luftfeuchtigkeit festgestellt. Als „späte
Frühgeburt“ definiert das Forschungsteam eine Geburt zwischen der 34. und
37. Schwangerschaftswoche.
Petra Arck, Medizinerin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und
Autorin der Studie, erklärt, dass werdende Mütter ein bis zwei heiße Tage
gut überstehen, aber am dritten, vierten oder fünften Tag ohne Abkühlung
vermehrt vorzeitige Wehen einsetzen. Dies betrifft vor allem weibliche
Föten. Arck und ihr Team führen das auf den höheren Herzschlag weiblicher
Föten zurück, der sie anfälliger für Hitzestress macht.
Das Warum ist jedoch noch ungeklärt. Das liegt auch an der fehlenden
Forschung am Menschen. „Man kann schwangere Frauen nicht einfach zu
Forschungszwecken in ein Labor stecken und hohen Temperaturen aussetzen.
Das wäre unethisch“, sagt Arck.
Die einzigen Hinweise stammen daher aus der Stammzellforschung und aus
Tierversuchen. Dabei wurde festgestellt, dass [10][Rinder bei Hitze mehr
Oxytocin und Prostaglandin ausschütten]. Prostaglandin macht den
Gebärmutterhals weicher und Oxytocin fördert die Wehen. Wirkstoffe, die
diese beiden Hormone enthalten, werden daher zur Einleitung von Geburten
eingesetzt. Unklar ist jedoch, welche biologischen Zwischenschritte dazu
führen, dass insbesondere Prostaglandin bei Hitze verstärkt ausgeschüttet
wird.
## Hitzebedingter Stress
Eine Theorie besagt, dass Hitze zu einer Entzündung der Zellen führt,
ähnlich wie bei einem Sonnenbrand. Das wiederum löst eine
„Entzündungskaskade“ aus, die sich bis in die Nähe des Fötus entwickeln
und dort zur Ausschüttung von Prostaglandin führen kann. Im schlimmsten
Fall kommt es zu einer Frühgeburt. Die genauen Zusammenhänge dieser
Entzündungskaskade sind allerdings noch nicht bekannt.
Nach einer zweiten Theorie weiten sich bei Hitze die Gefäße in der Nähe der
Haut und es wird mehr Blut in diese Richtung transportiert. Über die
Schweißdrüsen wird dadurch mehr Flüssigkeit verschwitzt und so die
Körpertemperatur stabilisiert. Weil dafür mehr Blut in die Nähe der Haut
gepumpt wird, wird möglicherweise die Blutversorgung des Fötus
vernachlässigt. Dies könnte zur Ausschüttung von Prostaglandin führen und
somit das Risiko für eine Frühgeburt erhöhen.
Die Autor:innen der Hamburger Studie gehen jedoch davon aus, dass an
Hitzetagen auch mehr Blut in Richtung des Fötus gepumpt wird. Sie vermuten,
dass dies den ohnehin schon belasteten Organismus der Schwangeren
zusätzlich beansprucht und damit das Risiko einer Frühgeburt erhöht.
Andere Forscher:innen vermuten, dass ein [11][gestörter Schlafrhythmus
die Ursache] für hitzebedingte Frühgeburten ist. Frauen schlafen während
der Schwangerschaft kürzer und wachen häufiger auf. In Hitzeperioden
verstärkt sich das Muster, weil es dem Körper schwerer fällt, die
Körpertemperatur auf eine angenehme Schlaftemperatur abzusenken. Der Körper
schüttet Stresshormone wie Cortison aus, die die Produktion von
Prostaglandin anregen.
## Mehr Bäume
Da bisher nur wenig über die Details bekannt ist, ist es schwierig zu
sagen, wie hitzebedingte Frühgeburten in Zukunft verhindert werden können.
Das australische Forschungsteam [12][hat trotzdem eine Idee: mehr Bäume].
Sie stellten fest, dass in Gegenden von Sydney mit viel Straßengrün
hitzebedingte Frühgeburten deutlich seltener waren. Das liegt am
sogenannten Hitzeinseleffekt. Demnach reduzieren Bäume und Parks die
Lufttemperatur, während zubetonierte Stadtviertel sie erhöhen. Außerdem
verbessern Bäume die Luftqualität und reduzieren Stress – alles Faktoren,
die das Risiko einer Frühgeburt senken.
Die Medizinerin Petra Arck hat jedoch Bedenken. Menschen in grüneren
Stadtvierteln hätten üblicherweise mehr Geld, verfügten über eingebaute
Klimaanlagen und hätten einen besseren Zugang zur Krankenversorgung. Alles
Gründe, die ebenso gut eine Rolle spielen könnten.
„Medikation aktiv ansprechen„Solange die Forschung noch keine spezifischen
Empfehlungen für Schwangere hat, sollten sie die allgemeinen Ratschläge bei
Hitze befolgen, so Arck: direkte Sonne meiden, viel trinken, körperliche
Anstrengung vermeiden, weite Kleidung tragen und notwendige Aktivitäten auf
die frühen Morgen- oder späten Abendstunden verlegen.
1 May 2024
## LINKS
[1] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37805217/
[2] https://jamanetwork.com/journals/jamapediatrics/article-abstract/2815454
[3] /Behandlung-von-Fruehchen/!5996668
[4] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9300488/
[5] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5114875/pdf/ejop-12-604.pdf
[6] https://www.ahajournals.org/doi/10.1161/HYPERTENSIONAHA.117.10693
[7] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0160412021005274
[8] https://www.nature.com/articles/s41558-019-0632-4
[9] https://www.uke.de/allgemein/presse/pressemitteilungen/detailseite_137472.h…
[10] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33631711/
[11] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33571887/
[12] /Was-tun-gegen-die-Hitze/!5949075
## AUTOREN
Benjamin Fischer
## TAGS
Geburt
Klima
Hitze
Naturwissenschaft
Schwerpunkt Klimawandel
Hitze
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