# taz.de -- Proteste nach Kommunalwahl in Türkei: Kurdischer Politiker ausgesc… | |
> In der Türkei wurde dem kurdischen gewählten Bürgermeister von Van die | |
> Ernennungsurkunde verweigert. Es kommt zu Protesten. | |
Bild: Hintergrund des Protests ist der nachträgliche Ausschluss des gewählten… | |
Istanbul taz | Die kurdische Partei DEM spricht von einem Putsch gegen | |
ihren gewählten Bürgermeister, auch Vertreter anderer | |
[1][Oppositionsparteien sind empört]: Abdullah Zeydan, am Sonntag mit 55,48 | |
Prozent der abgegebenen Stimmen zum Bürgermeister von Van gewählt, wurde | |
vom zuständigen Gouverneur die Ernennungsurkunde verweigert. Stattdessen | |
wurde der zweitplatzierte Kandidat, der Vertreter der Regierungspartei AKP, | |
der nur auf 27 Prozent kam, zum neuen Bürgermeister ernannt. | |
Die Entscheidung führte zu massiven Protesten nicht nur in Van und anderen | |
überwiegend kurdisch bewohnten Städten im Südosten des Landes, sondern auch | |
in den westlichen Metropolen Istanbul und Izmir. Bei spontanen | |
Demonstrationen kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei, die mit Tränengas | |
und Schlagstöcken gegen die Demonstranten vorgingen. Laut Innenminister Ali | |
Yerlikaya wurden insgesamt 89 Menschen in Van und Izmir festgenommen. | |
Tatsächlich ist das Vorgehen der von der AKP gesteuerten Behörden eine | |
gezielte Provokation. Abdullah Zeydan, der gewählte Bürgermeister, ist ein | |
politischer Veteran der kurdischen Politik. Er war 2016 wegen | |
„Terrorpropaganda“ verurteilt worden, da er an einer Beerdigung kurdischer | |
Guerillakämpfer teilgenommen hatte. 2022 kam er wieder aus dem Gefängnis. | |
Zeydan erhielt seine bürgerlichen Rechte zurück und ließ sich von der | |
zuständigen Wahlbehörde vor Monaten bestätigen, dass er als | |
Bürgermeisterkandidat in Van antreten darf. | |
Kurz vor Behördenschluss am Freitag vor der Wahl am vergangenen Sonntag | |
änderte die Wahlbehörde auf Drängen des Innenministeriums jedoch ihre | |
Meinung und schloss Zeydan von der Teilnahme der Wahl als Kandidat aus – | |
angeblich weil er vorbestraft sei. Dem Kandidaten wurde dieser kurz vor | |
Schluss erlassene Bescheid noch nicht einmal mitgeteilt. Erst nach der Wahl | |
am Montag wurde ihm vom Gouverneursamt gesagt, dass er gar nicht hätte | |
antreten dürfen. | |
## Versammlungen an etlichen Orten verboten | |
Mit dieser Provokation hat die AKP erreicht, dass nicht nur in Van, sondern | |
auch in Şırnak, Diyarbakır und Hakkari wütende DEM AnhängerInnen auf die | |
Straße gingen und der Gendarmerie Gelegenheit zu einem Großaufgebot gaben. | |
Für Van verhängte der Provinzgouverneur am Dienstagabend ein | |
Versammlungsverbot für die kommenden 15 Tage. Auch in anderen kurdischen | |
Städten wurden Versammlungen in einigen Stadtteilen verboten. | |
Die DEM, aber auch die CHP befürchten, dass mit Van nur der Auftakt für | |
einen größeren Angriff [2][der Regierung auf die Ergebnisse der | |
Kommunalwahlen gestartet wurde.] Am Mittwochvormittag protestierten | |
AKP-AnhängerInnen in den Istanbuler Stadtteilen Gaziosmanpaşa und Beykoz, | |
weil die AKP dort die Gewinner der Wahl infrage stellt. Vor allem aber in | |
den überwiegend kurdisch bewohnten Gemeinden im Südosten des Landes wird | |
der Konflikt weiter geschürt. | |
Schon am Wahlsonntag beschwerte sich die DEM, weil insbesondere in Şırnak | |
und Bitlis von der Regierung eine große Zahl Soldaten und Gendarmen an die | |
dortigen Urnen zum Abstimmen geschickt wurden, um so jeweils einen Sieg der | |
dortigen DEM-KandidatInnen zu verhindern. Darüber hinaus befürchtet die DEM | |
ein Szenario, wie es schon nach den Kommunalwahlen vor fünf Jahren | |
angewendet worden war. Damals hatte die noch unter HDP firmierende | |
kurdische Partei in 65 Städten den Bürgermeisterposten gewonnen. | |
## Kurdische AmtsinhaberInnen wurden abgesetzt | |
Mit dem Vorwurf, der oder die jeweilige Amtsinhaberin würden mit einer | |
„Terrororganisation“ zusammenarbeiten, wurde ein großer Teil der kurdischen | |
AmtsinhaberInnen nach und nach vom Innenministerium abgesetzt und durch | |
staatliche Zwangsverwalter ersetzt. Dieses Verfahren muss nicht auf den | |
kurdischen Südosten beschränkt bleiben. Auch gegen den Istanbuler | |
[3][Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu] läuft ein völlig durchsichtiges | |
politisches Verfahren wegen Beamtenbeleidigung, in dem er in erster Instanz | |
bereits verurteilt wurde. | |
Sollte sich das Berufungsgericht auf Drängen der Regierung diesem | |
erstinstanzlichen Urteil anschließen, muss İmamoğlufür mindestens zwei | |
Jahre ins Gefängnis. Zudem würde er noch für mehrere Jahre ein | |
Politikverbot erhalten. In einer ersten Sitzung des Parteivorstands der AKP | |
nach der Niederlage vom Sonntag hat Staats- und Parteichef Recep Tayyip | |
Erdoğan seine Leute aufgefordert, „endlich aufzuwachen und zu kämpfen“. | |
In der Wirtschaftspolitik wird dieser Aufruf keine schnellen Erfolge | |
versprechen. Erst am Dienstag hatte das Statistikamt bekannt gegeben, dass | |
die Inflationsrate gegenüber dem Vormonat noch einmal um 3,5 Prozentpunkte | |
auf jetzt knapp 70 Prozent gestiegen ist. Die AKP konzentriert sich nun | |
darauf, die Legitimität der Wahlen infrage zu stellen. | |
3 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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