| # taz.de -- Debatte um Preis des PalliativVerbands: „Ich bin kein himmlischer… | |
| > Autor Frédéric Valin war für den Ehrenpreis des Deutschen Hospiz- und | |
| > PalliativVerbands vorgeschlagen. Der Leiter des Verbandes erklärt, warum | |
| > die Nominierung nun zurückgezogen wurde. | |
| Bild: Demenzkranke brauchen einen offenen und ehrlichen Umgang | |
| taz: Herr Hardinghaus, im letzten August veröffentlichte der Journalist | |
| [1][Frédéric Valin] in der taz den Text [2][„Zwei Sorten Tod“,] in dem er | |
| gegen die Liberalisierung der Sterbehilfe in Deutschland argumentiert. | |
| Dafür wurde er in der Kategorie „Medien und Öffentlichkeitsarbeit“ für d… | |
| Ehrenpreis des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands nominiert. Im | |
| Nachhinein hat der Verband die Nominierung zurückgezogen. Warum? | |
| Winfried Hardinghaus: Leider wurden wir nach der Nominierung auf einen | |
| weiteren [3][Artikel im nd] über die Coronapandemie aufmerksam. Darin | |
| beschreibt Herr Valin, wie er eine demenzkranke Frau zu Hause betreute und | |
| mit ihr einkaufen ging. Sie wunderte sich, dass die Leute im Supermarkt | |
| keine Masken trugen, und er antwortete, dass alle Deutschen Nazis seien. | |
| Das ist aus hospizlicher Sicht diskriminierend. | |
| Warum empfinden Sie die Aussage „Alle Deutschen sind Nazis“ | |
| diskriminierend? Man könnte den Satz zum Beispiel auch als ironische | |
| Überspitzung lesen. | |
| Natürlich haben wir im Vorstand auch darüber nachgedacht, ob es sich um | |
| eine journalistische Zuspitzung handelt. Trotzdem hat Herr Valin der Dame | |
| gesagt, dass alle Deutschen Nazis seien. Es entspricht nicht der Würde | |
| eines Demenzkranken, sie anzulügen. In der Palliativmedizin meinen wir, | |
| dass man mit Demenzkranken immer offen und ehrlich umgehen sollte. | |
| Der Ehrenpreis des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands gilt also nicht | |
| einem Text allein, sondern der ganzen Person? | |
| Ja. Der Preis in der Kategorie „Medien und Öffentlichkeitsarbeit“ soll | |
| Menschen ehren, die die Themen Sterben, Tod und Trauer in die | |
| Öffentlichkeit tragen. Im vergangenen Jahr haben wir zum Beispiel drei | |
| junge Journalistinnen des WDR ausgezeichnet, die den Instagram-Kanal | |
| 21Gramm entwickelt hatten. (Der Kanal hat junge Erwachsene über die Themen | |
| Sterben, Tod und Trauer informiert. Im vergangenen Sommer wurde er | |
| eingestellt; d. Red.) | |
| Hat der Verband die Nominierung von Herrn Valin auch wegen möglicher Kritik | |
| von außen zurückgezogen? | |
| Ja, natürlich. Kritik von außen ist ein sehr wichtiges Kriterium, das | |
| angesprochen werden muss. Immerhin vertreten wir die Interessen vulnerabler | |
| Menschen. | |
| Eigentlich stehen Herr Valin und der DHPV auf derselben Seite. Auch Sie | |
| sprechen sich immer wieder gegen eine Liberalisierung der [4][Sterbehilfe] | |
| aus. Was spricht aus Ihrer Sicht gegen diese Liberalisierung? | |
| Jedem steht es zu, sich für den assistierten Suizid zu entscheiden, wenn er | |
| alle Möglichkeiten der Hospiz- und Palliativversorgung kennt. Ich bin kein | |
| himmlischer Richter. Ich sehe aber die Gefahr, dass der Suizid in unserer | |
| Gesellschaft normalisiert wird. Dass sogar Druck auf ältere Angehörige | |
| ausgeübt wird, den bequemeren Weg zu wählen, ihr Leben zu beenden. Dass die | |
| Betroffenen selbst ihren Angehörigen nicht zur Last fallen wollen. Dass in | |
| 15 oder 20 Jahren, wenn wir einen besonders ausgeprägten Pflegenotstand in | |
| den Heimen haben, zunehmend von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden | |
| wird. Dass vielleicht das überlastete Pflegepersonal selbst darauf | |
| hinweist. | |
| Sie sind Chefarzt der Klinik für Palliativmedizin des | |
| Franziskus-Krankenhauses in Berlin. Sehen Sie dort bereits Anzeichen für | |
| diese Entwicklung? | |
| Wir sehen immer mehr Menschen, die mit einem Todeswunsch zu uns kommen. Das | |
| war vor zwei, drei Jahren noch nicht der Fall. Weil das Thema in der | |
| Öffentlichkeit stärker präsent ist, gehen viele Menschen heute viel offener | |
| damit um, sind aber nicht ausreichend über die Möglichkeiten von | |
| Hospizarbeit und Palliativversorgung informiert. Vor einiger Zeit wurde ein | |
| Mann in unser Krankenhaus eingeliefert, der versucht hatte, sich mit einem | |
| Blutverdünnungsmittel das Leben zu nehmen, weil er so große Schmerzen | |
| hatte. Er verweigerte zunächst Gegenmittel und Schmerzmittel. Zwei Stunden | |
| später war der Patient beschwerdefrei und konnte zu Fuß nach Hause gehen. | |
| Was hatte ihm gefehlt? Erstens, menschliche Zuwendung. Zweitens, eine | |
| kompetente Schmerztherapie. | |
| 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen | |
| Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt, da es das Recht auf | |
| selbstbestimmtes Sterben verletze. Das heißt, die Beihilfe zum Suizid ist | |
| nicht länger strafbar, aktive Sterbehilfe, etwa die Verabreichung von | |
| Medikamenten, hingegen schon. Die Politik ist nun dazu verpflichtet, eine | |
| Gesetzesregelung zu finden, doch Gesetzentwürfe scheiterten bisher. Was | |
| wünschen Sie sich von der Politik? | |
| Ich wünsche mir, dass es überhaupt eine Regelung gibt. Eine Regelung ist | |
| immer noch besser als gar keine. Wir leben derzeit in einem rechtsfreien | |
| Raum. Das bedeutet, dass man auch als Laie jemandem ein Gift geben kann. | |
| Bestattungsinstitute bieten den assistierten Suizid als Geschäftsmodell an | |
| und verlangen dafür 15.000 Euro. Die Möglichkeit der Beratung ist für uns | |
| sehr wichtig. Es sollte nicht nur zum Suizid beraten werden, sondern | |
| zuallererst zu alternativen Möglichkeiten wie einer würdevollen | |
| Hospizbegleitung und Palliativversorgung. Das passiert aktuell nicht. | |
| Außerdem müssen Kinder von der Gesetzesregelung ausgeschlossen werden. | |
| Wie verläuft nach Ihrer Wahrnehmung die öffentliche Debatte über die | |
| Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts? | |
| Durch das Bundesverfassungsgericht ist ein Autonomiehype ausgelöst worden. | |
| Die Selbstbestimmung wird über alles gestellt. Das ist einerseits richtig. | |
| Auch unsere Patienten auf der Palliativstation bekommen das, was sie | |
| wollen. Wenn sie sterben wollen, begleiten wir sie. Aber es entsteht | |
| aktuell der Eindruck, dass die Entscheidung, sich helfen zu lassen, ein | |
| Aufgeben von Autonomie und Selbstbestimmung darstellt. Dem kann ich nicht | |
| zustimmen. Autonomie ist immer relational. Das heißt, auch Autonomie ist in | |
| einem sozialen Kontext verankert. Eine unterstützende und respektvolle | |
| Umgebung, wie sie zum Beispiel die Hospizarbeit und Palliativversorgung | |
| schaffen, sind nicht das Ende der Autonomie, sondern sie können diese | |
| stärken. | |
| Reicht es, nüchtern zu argumentieren, oder bedarf es manchmal der | |
| Zuspitzung, um Menschen, die nicht zu den gefährdeten Gruppen gehören, also | |
| nicht selbst betroffen sind, von der Dringlichkeit des Themas zu | |
| überzeugen? | |
| Eine gewisse Zuspitzung ist erlaubt, aber es gibt Grenzen. Und dazu gehören | |
| Nazivergleiche. Die sind in Deutschland historisch zu besetzt. | |
| 13 Mar 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://frederic-valin.de/ | |
| [2] /Sterbehilfe-in-Deutschland/!5949201 | |
| [3] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180476.preispolitik-deutsches-ansehen.ht… | |
| [4] /Suizidhilfe-und-Psychodiagnosen/!5995239 | |
| ## AUTOREN | |
| Clara Löffler | |
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