| # taz.de -- Neue Regeln für Plastikverpackungen: Ran an den Deckel | |
| > Ab Juli wird der fest verbundene Deckel an bestimmten Plastikverpackungen | |
| > verpflichtend. Die Recyclingbranche freut’s, die Molkereien stöhnen. | |
| Bild: Da war er noch ab, der Deckel, und die Milch tropft geradewegs nach unten… | |
| Berlin taz | Raus aus der Packung – rein in den Deckel, und von dort auf | |
| Hemdsärmel, Hose und Küchenfußboden. Schon erstaunlich, welche | |
| Verteilwirkung ein kleiner Kunststoffdeckel haben kann, wenn man ihn an der | |
| Milchpackung befestigt. Ab Juni wird der fest verbundene Deckel an | |
| Einweggetränkeverpackungen aus Kunststoff – sogenannte Tethered Caps – | |
| Pflicht, die Richtlinie zu Einwegkunststoff der EU schreibt ihn vor. | |
| Bei einer Plastikmüllzählung waren die Deckel ins Visier der EU-Kommission | |
| geraten. Neben Strohhalmen und Wattestäbchen fanden sie sich unter den zehn | |
| häufigsten Gegenständen des Plastikmülls, der sich an den Stränden der | |
| europäischen Meere sammelt. [1][Durch den Verbund mit der Verpackung sollen | |
| sie künftig dort landen, wo sie hingehören – in der Recyclinganlage.] | |
| „Beim Trinken stört es vielleicht“, sagt Thomas Fischer, Leiter | |
| Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Allerdings könnten | |
| die Deckel, vor allem aber die Ringe daran, [2][an Stränden oder auf Wiesen | |
| zu einer tödlichen Falle für Vögel und kleine Säugetiere werden], sagt | |
| Fischer, „darum ist es gut, wenn die Deckel nicht mehr in der Umwelt | |
| landen“. Die Befestigungspflicht sei eine Maßnahme gegen „Littering“ – | |
| deutsch: Vermüllung – und deshalb richtig. | |
| Die Recyclingunternehmen freut das ebenso: In allen Sortieranlagen für den | |
| Verpackungsabfall werden Getränkekartons schon jetzt aussortiert, weil „das | |
| Recycling in speziellen Anlagen stattfindet“, sagt Axel Subklew, Sprecher | |
| der Initiative „Mülltrennung wirkt“. Sie trennen die Papierfasern von | |
| Plastikfolien und Alu-Beschichtungen sowie von Plastikdeckeln. Durch die | |
| Trennung in die Einzelbestandteile würden etwa 65 bis 70 Prozent der | |
| Papierfasern aus den Kartons zurück gewonnen. Die Alubeschichtung und | |
| Kunststofffolien und -verschlüsse werden dann in andere Anlagen weiter | |
| transportiert, die meisten davon nach Hürth bei Köln. | |
| Hier, bei der Palurec GmbH, werden die Folien und Alubeschichtungen eines | |
| großen Teils der deutschen Getränkekartons recycelt. „Die Deckel bekommen | |
| wir heute schon in den Prozess, darauf sind wir eingestellt“, sagt | |
| Geschäftsführer Andreas Henn. Sie bestehen aus Polyolefinen, „eine sehr | |
| schöne Fraktion, da haben wir gerne mehr davon“, so Henn. Anders als die | |
| Kunststoffsorte PET sind recycelte Polyolefine derzeit nicht für den | |
| Lebensmittelkontakt zugelassen, wegen der Verunreinigungen in der gelben | |
| Tonne. „Aber wir können aus den Deckeln Dachsysteme, Behälter oder Rohre | |
| machen“, sagt Henn, „es gibt viele sinnvolle Anwendungen“. | |
| Mengenschätzungen, wie viel mehr Deckel künftig in seiner Anlage ankommen, | |
| kann er nicht angeben, „aber es werden wohl deutlich mehr als bislang“, | |
| sagt Henn. | |
| ## Molkereien fürchten Mehrkosten | |
| Weniger begeistert von der neuen Regel sind die Molkereien. „Für die | |
| Branche bedeuten die Tethered Caps insgesamt einen großen | |
| Investitionsaufwand, wobei einige Unternehmen schwerer betroffen sind als | |
| andere“, teilt Roderik Wickert vom Milchindustrieverband mit. Einige der | |
| bisher benutzten Maschinen könnten nachgerüstet werden, andere nicht. | |
| Letztere müssten komplett ersetzt werden. „Das ist teuer“, sagt Wickert, | |
| „alte Maschinen, die perfekt laufen, werden also abgebaut und | |
| höchstwahrscheinlich woanders weiter genutzt“. | |
| Dazu kämen die Zusatzkosten für die neuen Verschlüsse auf Seiten der | |
| Molkereien und Abfüller, die wahrscheinlich nicht weitergegeben werden | |
| könnten. Nicht zuletzt lande die Milchverpackung auch im Gelben Sack, so | |
| dass die Relevanz für die Tethered Cap bei Milchkartons fraglich bleibe. | |
| Insgesamt werden nach Zahlen des Fachverbandes Kartonverpackungen für | |
| Flüssige Nahrungsmittel inzwischen knapp 75 Prozent aller Milch- und | |
| Saftkartons recycelt. Diese Prozentzahl bezieht sich auf die Menge der | |
| Kartons aus dem gelben Sack, also der eingesammelten Verpackungen – 2021 | |
| waren das laut einer Untersuchung des Umweltbundesamtes fast 135.000 | |
| Tonnen. Verkauft worden sind allerdings knapp 180.000 Tonnen. | |
| Deshalb kritisiert die DUH die Zahl von 75 Prozent recycelter Kartons: Die | |
| tatsächliche Quote liege nur bei 40 Prozent, sagt Fischer. Insgesamt würden | |
| nur 62 Prozent der in Verkehr gebrachten Kartons, aus denen Wasser, Saft | |
| oder Milchgetränke konsumiert wird, überhaupt für ein Recycling im Gelben | |
| Sack landen. Die anderen verkauften 38 Prozent liegen in der Umwelt oder | |
| landen im Restmüll und der Papiertonne, wo sie verbrannt werden, so der | |
| Kreislaufwirtschaftsexperte. | |
| Außerdem würden die Mengen in Tonnen berechnet, und auch dies sei | |
| problematisch: „Die Papierfasern werden in der Mülltonne feucht und somit | |
| schwerer, sie enthalten Reste, Schmutz klebt an ihnen“, erklärt Fischer. | |
| Alles zusammen führe dazu, dass die gesammelten Kartons schwerer würden. | |
| „Am Ende erhalten wir falsche Zahlen“, so Fischer. | |
| ## Für Mineralwasser schlecht, für Tomatensauce sinnvoll | |
| An anderer Stelle sind Kartons allerdings sinnvoll: Der Umweltverband Nabu | |
| hat für neun Lebensmittel untersuchen lassen, welche Verpackung besonders | |
| umweltfreundlich ist, darunter auch Tomatensoße. „Hier hat das Einwegglas | |
| gegenüber dem (zu Getränkekartons baugleiche) Karton schlechter | |
| abgeschnitten“, sagt Katharina Istel, Ressourcenexpertin des Nabu: „Die | |
| Klimabelastung durch das Einwegglas war mehr als 7,5-mal so hoch.“ | |
| Daher sei zu überlegen, ob der Getränkekarton auch mehr für Lebensmittel | |
| eingesetzt werden könnte, um klimabelastende Einweggläser einzusparen, so | |
| Istel. Gleichwohl empfiehlt der Nabu den Getränkekarton nicht, wenn es für | |
| ein Produkt umweltfreundlichere Mehrwegsysteme gibt, wie bei Mineralwasser. | |
| 26 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Heike Holdinghausen | |
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