Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Atomstreitkräfte Frankreich und UK: Eigene Interessen
> Die zwei Atommächte Europas modernisieren ihre nuklearen Arsenale schon
> seit längerer Zeit. Die atomare Verfügungsgewalt soll national bleiben.
Bild: Britisches Atom-U-Boot der Vanguard-Klasse mit Atomsprengköpfen an Bord
BERLIN taz | Neben den USA zählt die Nato zwei weitere Atommächte:
Frankreich mit geschätzt 290 Atomsprengköpfen und Großbritannien mit
geschätzt 225. Im Vergleich zu den [1][vom Rüstungsforschungsinstitut SIPRI
festgestellten Zahlen] von 5.224 Atomsprengköpfen in den USA und 5.889 in
Russland ist das wenig. Im Kontext zunehmender Bedrohungen aus Russland und
Zweifeln an der zukünftigen US-Bündnistreue sind sie für Europa aber
durchaus bedeutsam.
[2][Großbritanniens „Nuclear Deterrent“] ist komplett seegestützt, mit
Atomraketen auf Atom-U-Booten, die mal in Schottland liegen und mal im Meer
unterwegs sind. [3][Frankreichs „Force de frappe“] ist zu 80 Prozent
seegestützt, ansonsten auf Langstreckenbombern einsatzfähig. Seine
landgestützten Kurzstreckenraketen, die auf Deutschland zielten, hat
Frankreich in den 1990er Jahren abgeschafft.
Wie bei allen Atommächten ist die Nukleardoktrin Großbritanniens und
Frankreichs national definiert. Eine Entscheidung zum Einsatz einer
Atomwaffe obliegt, unter Einhaltung der üblichen Verfahren, in London dem
Premierminister und in Paris allein dem Präsidenten. Großbritannien hat
sein Atomwaffenarsenal zusammen mit den USA entwickelt und seine nuklearen
Kapazitäten von Anfang als Teil der gemeinsamen Nato-Abschreckung
definiert. Frankreich stattdessen hat sein Nuklearprogramm immer
eigenständig definiert und aufgebaut und selbst bei der Rückkehr in die
militärischen Strukturen der Nato nach langer Abwesenheit 2009 seine
Atomwaffen explizit von den gemeinsamen Kommandostrukturen ausgenommen. Es
ist bis heute nicht einmal Mitglied der Nuklearen Planungsgruppe (NPG) der
Nato.
## Keine „Europäisierung“ französischer Atomwaffen
So stehen der Nato im Ernstfall die britischen, nicht aber die
französischen Atomwaffen zur Verfügung. Was Trump seinen Verbündeten bisher
lediglich androht, gilt in Frankreich als Staatsdoktrin und könnte, falls
2027 die Rechtspopulistin Marine Le Pen Präsidentin werden sollte, ähnliche
Sorgen hervorrufen.
Gleichwohl ist Frankreich nach dem Brexit die alleinige Atommacht der EU.
Damit richten sich die Augen von EU-Politikern, die mehr „europäische
Souveränität“ wollen, automatisch nach Paris. Kurz nach dem Abschied
Großbritanniens aus der EU, im Februar 2020, brachte Präsident Emmanuel
Macron bei einer [4][Grundsatzrede vor Soldaten in Paris] die Ausdehnung
schützenswerter französischer Interessen auf Europa ins Spiel. „Unsere
Atomstreitmacht verstärkt allein durch ihre Existenz Europas Sicherheit“,
behauptete er und forderte von willigen europäischen Partnern einen
„strategischen Dialog über die Rolle der französischen atomaren
Abschreckung in unserer kollektiven Sicherheit“.
Das war aber kein Türöffner zu einer „Europäisierung“ von Frankreichs
Nukleararsenal, sondern wurde damals als verklausulierter Appell
interpretiert, EU-Partner könnten sich doch an den Kosten beteiligen. Denn
sowohl Frankreich als auch Großbritannien befinden sich nach mehreren
Jahrzehnten der Abrüstung neuerdings in einem extrem teuren Prozess der
Modernisierung und Aufstockung ihres Atomwaffenarsenals. Beide Regierungen
kämpfen mit chronisch hohen Haushaltsdefiziten und können sich das nur auf
Kosten anderer Staatsausgaben leisten.
Frankreich, das ein Achtel seines jährlichen Militärhaushalts in seine
Atomwaffen steckt, investiert dafür 37 Milliarden Euro im Zeitraum 2020-25.
Großbritannien hat für den Zeitraum 2022-32 umgerechnet 70 Milliarden Euro
veranschlagt und will die Zahl seiner Atomsprengköpfe wieder erhöhen – von
225 auf 260.
14 Feb 2024
## LINKS
[1] https://www.sipri.org/yearbook/2023/07
[2] https://commonslibrary.parliament.uk/research-briefings/cbp-9077/
[3] https://commonslibrary.parliament.uk/research-briefings/cbp-9074/
[4] https://www.elysee.fr/emmanuel-macron/2020/02/07/discours-du-president-emma…
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Atomwaffen
Schwerpunkt Frankreich
Großbritannien
EU
Schwerpunkt Zwei Jahre Krieg in der Ukraine
Alexei Nawalny
Nato
Atomwaffen
Atomwaffen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Atomschrott im Nordmeer: Russlands vergessenes Erbe
Nukleare Sprengköpfe und Atom-U-Boote aus dem Kalten Krieg lagern im
Nordmeer. Seit dem Angriff auf die Ukraine kümmert sich niemand mehr darum.
Trump, Putin, Netanjahu: Nochmal einen Abgrund gruseliger
Eine bunte Auswahl an begründeten Ängsten: Humanitäre Krise in Rafah, eine
gespenstische Debatte über Atomwaffen und Algorithmen, die nie vergessen.
Nato-Treffen in Brüssel: Keine Bombenstimmung
Die Nato-Verteidigungsminister zeigen sich von den Debatten um Donald Trump
und europäische Atombomben genervt.
Reaktionen auf Trumps Nato-Aussage: Übers Stöckchen gesprungen
Die Aufregung über die Warnung des ehemaligen US-Präsidenten Trump an
Nato-Mitglieder ist fehl am Platz. Der Nuklearschirm der USA wird nicht
angetastet.
Atomwaffen für Europa: Streit um europäischen Atomschirm
Lindner will Verhandlungen über ein europäisches Atomwaffensystem zur
Abschreckung. Kritik kommt vom Verteidigungsminister Pistorius und aus der
FDP.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.