# taz.de -- Prävention im Karneval: Awareness alaaf! | |
> Kurze Röckchen, straffe Organisation, alkoholisierte Erwachsene – in Köln | |
> sensibilisiert eine Kampagne für die Rechte von Kindern im Karneval. | |
Bild: „Pänz“ ist rheinisch für „Kinder“. Diese Kölner Pänz hier mac… | |
Die blauhaarige Prinzessin will einen kleinen Pinguin küssen, ein Kind im | |
Froschkostüm versucht, ihn oder sie davon abzuhalten. „Kein Bützchen auf | |
Kommando!“, steht unter dem Bild. Ein anderes zeigt eine Hand, die auf | |
einen Hintern im knappen Röckchen klatscht. „Geiler Arsch!“ ist der | |
Kommentar des Angreifers. Dazu erklärt die Bildunterschrift: „Stop! Das ist | |
sexuelle Belästigung und strafbar!“. | |
Kinder nicht ungefragt küssen oder auf den Po hauen, das sollte eigentlich | |
selbstverständlich sein. Doch in der „närrischen Jahreszeit“ ist manches | |
anders – und in den traditionellen Karnevalsvereinen das Bewusstsein für | |
Grenzen nicht immer vorhanden. Das zeigte ein [1][Skandal zum Auftakt der | |
Karnevalssaison am 11. 11. im rheinischen Sankt Augustin]. | |
Der Präsident der Prinzengarde machte beim „Garde-und Tollitätentreffen“ | |
auf der Bühne anzügliche Kommentare gegenüber einer 10-Jährigen, sprach vom | |
Knutschen mit „Zungenschlag“. Auf Kritik der Anwesenden verteidigte er sich | |
zunächst mit: „Wir sind immer noch im Karneval“ – bevor er schließlich … | |
Amt niederlegen musste. | |
In Köln versucht man nun, Kinderrechte im Karneval zu stärken: Das | |
[2][Festkomitee des Kölner Karnevals], das knapp drei Dutzend Kinder- und | |
Jugendtanzgruppen mit mehr als 1.000 minderjährigen Mitgliedern vertritt, | |
hat zusammen mit der Beratungsstelle „Zartbitter“ einen Kinderrechtepass | |
entwickelt. Die 28 „Pänzrechte“, wie es im Dialekt heißt, wurden zusammen | |
mit jungen Tänzer*innen entwickelt und von der | |
Zartbitter-Hausillustratorin Dorothee Wolters illustriert. „Alle Pänz haben | |
das Recht, sich in ihren Kostümen und Uniformen wohlzufühlen“, heißt es | |
darin. Oder: „Auch Erwachsene müssen die Privatsphäre von Pänz beachten!“ | |
100.000 Broschüren wurden bislang in den Tanzgruppen und an Kölner Schulen | |
verteilt. 50.000 sind überregional unter dem Titel „Kinderrechte im | |
Karneval“ erhältlich. „Die Nachfrage ist riesig“, sagt Zartbitter-Gründ… | |
Ursula Enders. Eltern sowie Kita- und Grundschulpädagog:innen | |
bestellten die Broschüren massenweise, der Webshop breche zusammen, man | |
habe bereits nachdrucken müssen. Besonders groß sei das Interesse übrigens | |
in der Region um Sankt Augustin gewesen. | |
## Es bewegt sich langsam etwas | |
Der Pänzrechtepass ist nur ein Teil des Schutzkonzepts, das die Kölner | |
Karnevalist*innen derzeit entwickeln. „Kinder sind unser höchstes Gut, | |
darum müssen wir sie schützen. Dafür haben wir uns die Profis von | |
Zartbitter an die Seite geholt“, sagt Christine Flock, Vizepräsidentin des | |
Komitees, in dem rund 30 Kinder- und Jugendtanzgruppen mit Mitgliedern | |
zwischen 5 und 18 Jahren organisiert sind. | |
Als Nächstes will man eine interne Präventionsbeauftragte ernennen, | |
Notfallpläne und ein Beschwerdemanagement entwickeln – und regelmäßig | |
Trainer*innen und Kinder mit Workshops weiterbilden. „Es ist wichtig, | |
Erwachsene für die Bedürfnisse von Kindern zu sensibilisieren und im | |
Vereinsalltag sichere Räume zu schaffen“, findet Flock. Zu Anfang sei die | |
Zusammenarbeit mit Zartbitter bei manchen der ehrenamtlichen | |
Funktionsträger*innen auf Skepsis gestoßen – doch der positive Fokus | |
auf die Rechte junger Menschen habe dann doch alle überzeugt. | |
In der laufenden Karnevalssaison können Kinder nun erstmals per E-Mail | |
Belästigungen und sexualisierte Anmache melden. Bei Zartbitter, die eine | |
ehrenamtliche Fachkraft dafür abgestellt haben, rechnet man mit einem | |
großen Andrang. | |
Das Interesse an der Pänzrechtekampagne zeigt, dass sich langsam etwas | |
bewegt in der Welt des organisierten Frohsinns. „Viele Eltern atmen auf, | |
dass Themen jetzt sichtbar und besprechbar geworden sind“, sagt | |
Zartbitter-Leiter Philipp Büscher. Zu thematisieren gibt es einiges: Dass | |
sich Kindergruppen in einem Umfeld bewegen, in dem die Mehrheit der | |
Erwachsenen alkoholisiert ist. Dass nicht abschließbare Umkleiden oder | |
Unter-den-Rock-Fotografieren keine Seltenheit sind. | |
## Mehr Mitbestimmung | |
Oder dass meist Männer über Choreografie und Kostüme der überwiegend | |
weiblichen Tanzenden bestimmen. In vielen Vereinen gebe es aber einen | |
Bewusstseinswandel, meint Büscher, der selbst aus Köln stammt: weg von | |
ultrakurzen Röckchen, starker Schminke und Hebefiguren mit handfestem | |
Zupacken, hin zu mehr Mitbestimmung. Was dazu führen kann, dass Traditionen | |
überarbeitet werden. | |
Büscher berichtet von einer lebhaften Diskussion bei einem Verein, dessen | |
Tänzerinnen bislang immer in Reifröckchen aufgetreten seien, die Teile des | |
Pos entblößten. Früher habe es geheißen: Ist halt Tradition. Doch: „Es | |
stellte sich heraus, dass die meisten Mädchen sich darin nicht wohlfühlten. | |
Jetzt tragen sie andere Röcke.“ | |
Die Präventionsfachleute von Zartbitter hoffen, dass die Kölner Kampagne | |
zum Karneval zum Vorbild wird für den überregionalen Dachverband Bund | |
deutscher Karneval, der bislang noch kein Schutzkonzept hat. Oder für | |
andere Brauchtumsgruppen wie Schützen- oder Heimatvereine. | |
10 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ardmediathek.de/video/brisant/anzuegliche-kommentare-und-fast-k… | |
[2] https://koelnerkarneval.de/festkomitee/paenzrechte | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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