# taz.de -- Umweltschutz und Wintersport: Wer braucht schon eine Bobbahn! | |
> Die Olympischen Spiele 2026 finden in Cortina d’Ampezzo statt. Nicht | |
> einmal das IOC will, dass eine neue Kunsteisbahn entsteht. | |
Bild: Die verblassten Ringe zeigen, wofür dies einst gebaut wurde: Bob- und Ro… | |
Rennrodeln ist eine Sportart, bei der Menschen mit 130 Kilometern pro | |
Stunde auf Schlitten einen Eiskanal hinunterrasen, und am Ende gewinnen | |
immer die Deutschen. So war es bei den Olympischen Spielen 2022 in Peking, | |
bei denen alle vier Rodelwettbewerbe von Deutschen gewonnen wurden. Und so | |
ist es meistens, wenn ein stinknormaler Weltcup-Wettbewerb stattfindet. | |
Auch wenn bisweilen sogenannte Exoten wie die Irin Elsa Desmond in Peking | |
oder der sechsmalige Olympiateilnehmer Shiva Keshavan aus Indien bei den | |
Spielen dabei sind, wird wohl kaum jemand auf die Idee kommen, das | |
[1][Rennrodeln] auf Kunsteisbahnen als Weltsport zu bezeichnen. | |
Beim Bobsport ist das nicht viel anders, auch wenn da nicht immer die | |
Deutschen gewinnen. Sich bäuchlings den Eiskanal herunterzustürzen, wie es | |
die Skeletonis tun, darf man getrost als abseitiges Wintersportphänomen | |
bezeichnen, auch wenn es da schon mal olympische Goldmedaillen für Südkorea | |
und Großbritannien gegeben hat. Und so ist es kein Wunder, dass es die | |
Kunsteisbahnen sind, die im Zentrum der Diskussionen um die Sinnhaftigkeit | |
von [2][Wintersport in Zeiten des Klimawandels] stehen. | |
Wie Mahnmale der Umweltzerstörung schlängeln sich neu gebaute Bahnen durch | |
die Berglandschaften der Olympiaorte, an denen sie errichtet werden. Vor | |
zwei Jahren rieben sich auch die Sportlerinnen und Sportler die Augen, als | |
sie zum ersten Mal das [3][Yanqing National Sliding Centre] in den Bergen | |
vor Peking zu Gesicht bekommen hatten. Für geschätzte 500 Millionen Euro | |
hatten die chinesischen Gastgeber einen Eiskanal gebaut, der mit edelstem | |
Holz von Start bis zum Ziel überdacht worden war. Als „geisteskrank“ hat | |
das der deutsche Bobpilot Johannes Lochner in einer ARD-Doku zu den Spielen | |
bezeichnet. | |
Im IOC, dem Internationalen Olympischen Komitee, freute man sich über alle | |
Neubauten für die [4][Spiele in der Volksrepublik]. IOC-Präsident Thomas | |
Bach schwärmte von den Hinterlassenschaften der Wettbewerbe, die dafür | |
gesorgt hätten, dass 300 Millionen Menschen in China fortan Wintersport | |
betreiben. In der Diktion der führenden Sportverbände geht es im | |
Zusammenhang mit den immer gigantischer ausgestalteten Großveranstaltungen | |
immer um das Erbe, um die legacy, wie es im internationalen | |
Sportfunktionärsenglisch heißt. So wie man behauptet hat, dass mit der | |
Wahnsinns-WM der Fußballer in Katar der Sport im Nahen Osten auf eine neue | |
Entwicklungsstufe gehievt wurde, sollte sich China mit der Kunsteisbahn von | |
Yanqing zu einem neuen internationalen Zentrum des schnellen Kufensports | |
mausern. | |
Geklappt hat das bis jetzt nicht wirklich gut. Ein großer Teil der besten | |
Bobsportnationen scheute zu Beginn dieses Winters die Kosten für den | |
Transport der Schlitten nach Yanqing, und so wurde der Ende November | |
geplante Weltcup-Auftakt der Frauen abgesagt – zu wenige Teams hatten | |
gemeldet. Das Männerrennen im Zweierbob konnte immerhin stattfinden. Gerade | |
einmal elf Schlitten waren beim Sieg von Johannes Lochner mit Anschieber | |
Georg Fleischhauer am Start. Als großes Erbe wird man das nicht bezeichnen | |
können. | |
## Pyeongchang und Turin: trauriges Erbe | |
Immerhin hat es nach den Spielen noch einen Bobweltcup auf der Bahn | |
gegeben. In Pyeongchang, dem Olympiaort von 2018, war das nicht der Fall. | |
Die Weltbesten haben sich den weiten Weg nach Korea gespart. Und wer weiß, | |
wie es um die Anlage bestellt wäre, hätte Südkorea mit der Stadt Gangwon | |
nicht den Zuschlag für die Ausrichtung der Olympischen Jugendspiele | |
erhalten, die am Freitag eröffnet worden sind. Die besten jugendlichen | |
Rodler und Bobpilotinnen sind da aktuell unterwegs und das Gastgeberland | |
hofft, dass sich mit den Spielen ein paar junge Leute für das Rennrodeln | |
begeistern können, nachdem die einzigen zwei Rodlerinnen aus Südkorea, die | |
es bis zur Weltcup-Reife gebracht haben, ihre Karriere gerade beendet | |
haben. Es geht, na klar, ums Erbe. | |
Wie traurig eine olympische Hinterlassenschaft sein kann, ist westlich von | |
Turin in Cesana zu beobachten. Dort fanden die Rodel-, Skeleton- und | |
Bobwettbewerbe der Turiner Winterspiele von 2006 statt. Viel ist von der | |
Bahn nicht geblieben. Ein graues Band aus brüchigem Beton, das von Pflanzen | |
überwuchert wird, schlängelt sich heute ins Tal. 2011 wurde die Anlage | |
stillgelegt, und beinahe hatte man sie schon vergessen. | |
Doch Ende des vergangenen Jahres war die Bahn, deren Bilder lägst | |
einsortiert waren in die Fotoserien mit neuzeitlichen Olympiaruinen, | |
plötzlich wieder Thema. Von einem möglichen Wiederaufbau war da die Rede. | |
Die Ausrichter der Olympischen [5][Winterspiele 2026] hatten mitgeteilt, | |
dass es wohl nichts wird mit der Renovierung der ebenfalls zur Ruine | |
verkommen Olympiabahn von 1956 in [6][Cortina d’Amp]ezzo, dem Gastgeberort | |
der Spiele. Es hatte sich kein Unternehmen gefunden für die Realisierung | |
des 150 Millionen Euro teuren Projekts, für das zudem ein enger Zeitplan | |
vorgegeben war. | |
Örtliche Umweltverbände jubelten. Die Vernunft habe gesiegt, meinte der | |
Alpenverein Südtirol, die Aktivistinnen von der NGO Mountain Wilderness | |
sowie der Dachverband für Natur- und Umweltschutz in Italien in einer | |
gemeinsamen Mitteilung. Ein paar Tage vor der Entscheidung zum Baustopp | |
hatten sie eine Kundgebung in Cortina organisiert und auf die Schäden für | |
die Bergwelt, den Energieverbrauch und die Kosten für den Betrieb der Bahn | |
auch nach den Olympischen Spielen hingewiesen. | |
## Alternativen: Königssee oder Innsbruck | |
Eine Lösung bahnte sich an. Die Wettbewerbe könnten auch im Ausland | |
stattfinden, auf Bahnen, die im Betrieb sind, ließ das IOC wissen. In Tirol | |
machte man sich schon Hoffnungen, es werde auf die Bahn von Innsbruck/Igls | |
ausgewichen. Und auch am bayerischen Königssee wurden olympische Träume | |
gesponnen. Dabei gibt es dort gerade gar keine funktionierende Bahn. Nach | |
einem Erdrutsch in Folge von Starkregen und Hochwasser wurde der obere Teil | |
der traditionsreichen Kunsteisbahn zerstört. Ende November beschloss der | |
Kreistag des Berchtesgadener Landes, die Bahn wiederherzustellen. 60 | |
Millionen Euro Steuergelder sollen es kosten, damit Deutschland bald wieder | |
vier Kunsteisbahnen betreiben kann, so viele wie keine andere | |
Wintersportnation. | |
Als eine solche sieht sich auch Italien, wo mehrere nationalistische | |
Parteien um die Stimmen von Wähler und Wählerinnen buhlen. Für die kommt es | |
nicht infrage, einen Teil der Spiele im Ausland austragen zu lassen. Und | |
obwohl das IOC inzwischen selbst keine Perspektive für eine Kunsteisbahn in | |
Cortina d’Ampezzo sah, zudem auch einen Wiederaufbau der Anklage von Cesana | |
kritisch sieht, weil es dort ja mit dem olympischen Erbe nicht wirklich gut | |
geklappt hat, soll nun eine Bob- und Rodelbahn in Italien errichtet werden | |
– als nationale Aufgabe. | |
Matteo Salvini, Chef der nationalistischen Lega und | |
Infrastrukturminister in Italiens rechter Regierung, hat Anfang | |
Dezember den Plan für eine Bobbahn light entwickelt. 82 Millionen Euro soll | |
nun der Wiederaufbau der Bahn von Cortina nur noch kosten. Eine | |
Ausschreibung für das abgespeckte Projekt lief bis Donnerstag. Und in der | |
Tat hat sich jemand gefunden, der das Projekt noch rechtzeitig bis zu den | |
Spielen fertigstellen will. In 625 Tagen soll die Bahn stehen. Das Angebot | |
wird nun geprüft – nicht nur in Italien, sondern auch im IOC, das Ende | |
Januar endgültig entscheidet, wo gerodelt wird bei den Olympischen Spielen | |
2026. | |
Salvini geht davon aus, dass sich das IOC am Ende für sein italienisches | |
Projekt aussprechen wird. Er will Steuergelder dafür aber auch dann | |
einsetzen, wenn sich das IOC gegen olympische Rodel, Skeleton- und | |
Bobwettbewerbe in Cortina d’Ampezzo entscheiden sollte. Umweltfragen | |
treiben ihn sowieso nicht um. Der Lärchenwald, der der Anlage zum Opfer | |
fallen würde, schert ihn wenig. Eher ist es die Konkurrenz seiner Lega zu | |
einer anderen Regierungspartei, die ihn antreibt. Es war schließlich der | |
Chef der Partei Forza Italia, der italienische Außenminister Antonio | |
Tajani, der sich für den Wiederaufbau von Cesana starkgemacht hatte. Für | |
die von der Lega regierte Region Venetien, zu der Cortina d’Ampezzo gehört, | |
wäre das eine schwer hinzunehmende Pleite gewesen. | |
Und so kann es gut sein, dass schon bald die Bauarbeiten für eine | |
Kunsteisbahn beginnen, die nicht mal das sonst so auf prestigeträchtige | |
Neubauten versessene IOC für notwendig hält. Sie würde als nationales | |
Prestigeprojekt entstehen. Auch wenn sie gewiss nicht so viel kosten wird, | |
drängt sich die Analogie zur irrwitzigen Olympiabahn von 2022 in Yanqing | |
auf. Für Naturschutz ist bei solchen Projekten kein Platz – ebenso wenig | |
wie für Gedanken über die Sinnhaftigkeit von Sportarten, die nur in ein | |
paar Ländern ernsthaft betrieben werden. Im Rennrodeln etwa haben bis heute | |
überhaupt nur Sportler und Sportlerinnen aus 7 Nationen Medaillen gewonnen. | |
Meistens haben Deutsche abgeräumt. Von den 52 Goldmedaillen, die bei | |
Olympischen Spielen seit 1964 im Rennrodeln vergeben wurden, sind 38 nach | |
Deutschland gegangen. Dafür sind schon viele Schneisen durch Bergwälder | |
geschlagen worden. Ein trauriges Erbe. | |
20 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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