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# taz.de -- Handball-EM in Deutschland: Jedes Jahr im Januar
> Der deutsche Handball tut viel, um die Jugend an den Sport heranzuführen.
> Motor dafür soll die Nationalmannschaft der Männer sein.
Bild: Einschwören auf die Zukunft: die deutschen Handballjunioren vor dem WM-F…
Hamburg taz | Nach dem letzten großen Erfolg strömten Kinder in deutsche
Hallen und wollten Handball spielen. Sie wollten halten wie Andreas Wolff,
werfen wie Julius Kühn, blocken wie Finn Lemke. Zu manchen Trainingstagen
in den regionalen Zentren dieses urdeutschen Sports kamen 60 Jungen und
Mädchen, alle neu, hinzu!
Die meisten blieben genau ein Mal. Weil danach die Trainer*innen
kapitulierten. Und so blieb die Handballgemeinschaft bald wieder unter
sich. Im Februar 2016 geschah das. Die Deutschen waren Europameister
geworden. Aber der Verband, der Deutsche Handballbund (DHB), verpasste den
Aufschwung, weil er nicht darauf vorbereitet war – in den Vereinen mangelte
es an Übungsleiter*innen, die den Ansturm hätten bewältigen können.
Aus dem Boom wurde eine Baisse. An der Basis kam von der Begeisterung wenig
an – weil Konzepte, Trainer, Hallenzeiten fehlten. Das soll diesmal besser
werden.
An der räumlichen Not kann der DHB wenig ändern, außer immer wieder Appelle
an die Politik zu richten. Doch gelungene Konzepte für den Kinderhandball
gibt es seit dem 1. Juli 2016, und dem Mangel an Trainer*innen wirkt der
DHB entgegen, indem er während der am Mittwoch startenden
Europameisterschaft 1.000 Coaches in einem Kurzlehrgang an den Spielorten
ausbildet. Ziel ist, dass kein handballbegeistertes Kind nach der EM von
den Vereinen abgewiesen werden muss.
Knapp 740.000 Mitglieder sind im DHB als weltgrößtem Handballverband
organisiert. Nie hat er mehr dafür getan als derzeit, wieder größer und
attraktiver zu werden – 2.000 Grundschulen wurden im Herbst und Winter
bundesweit von Handballvereinen oder Abteilungen besucht, um die
Lehranstalten mit der Sportart und den Möglichkeiten ihrer Vermittlung
vertraut zu machen. Dazu kommt die Ausbildung der
Kinderhandball-Trainer*innen
## Vorbild Basketball
Der Verband hat viele Themen auf der Agenda und möchte die Heim-EM als
Verstärker nutzen. Beim [1][Tag des Handballs] im November in München
wurden gezielt Familien mit Migrationshintergrund angesprochen und zu
den Spielen Deutschland–Ungarn (Frauen) und Deutschland–Ägypten bei den
Männern eingeladen. Nicht nur kleine Spielerinnen und Spieler sollten dem
Sport nähergebracht werden. Es gab auch Aktionen für Zugewanderte als
Trainer*innen und Schiedsrichter*innen.
Dem Basketball gelinge es viel leichter, Kinder mit Zuwanderungsgeschichte
zu gewinnen, sagt DHB-Vorstand Mark Schober. Das wolle der DHB auch – habe
sich aber erst auf den Weg gemacht. Diverser, bunter, jünger und weiblicher
möchte Schober den deutschen Handball sehen. Der politische Druck in
Richtung equality nehme zu.
Der DHB nimmt diesen Auftrag ernst und veranstaltet die WM der Frauen 2025
gemeinsam mit den Niederlanden. [2][Schober glaubt finanziell und ideell an
den Frauenhandball]; er schaut genau hin, was die Skandinavier machen, wie
sie den Frauenhandball präsentieren, ihn vor vollen Hallen feiern.
Die Hintergründe: In Sachen Gleichberechtigung sind Norwegen und vor allem
Dänemark und Schweden seit den siebziger Jahren Vorreiter und liegen hier
in vielen Bereichen weit vor der Bundesrepublik – im Frauenhandball
besonders. Lange bevor die Männerteams unserer nordischen Nachbarn stark
wurden, waren die Spielerinnen aus Dänemark und Norwegen weltweit führend.
Die Schwedinnen holen gerade auf.
TV-Zeiten zur Primetime bei den staatlichen Sendern und
Unterhaltungsformate mit den Handballstars sorgen für Bekanntheit. Die
Aufteilung der Länder in regionale Leistungszentren erlaubt den nordischen
Verbänden (und beispielsweise auch den Niederländerinnen) einen guten
Zugriff auf die Stars von morgen. Ein Prozess, den der DHB gegen viele
interne Widerstände aus den Landesverbänden im Frauenhandball erst
angeschoben hat.
## Widerstände aus den Klubs
Die Regionalisierung mit Leistungszentren hat der DHB zwar schon
beschlossen, doch die Idee harrt der Umsetzung, was jüngst Präsident
Andreas Michelmann kritisierte. Allzu oft werde im Handball – und nicht nur
da – nach dem Prinzip „Talk and delay“ verfahren. Daran, dass die
Bundesligavereine gut genug ausbilden, um eine starke
Frauennationalmannschaft zu bekommen, glaubt Michelmann nicht mehr: „Wir
müssen den Vereinen das abnehmen.“ Und zwar in den regionalen Zentren.
Hier kommt man allerdings an den entscheidenden Punkt. Der Verband kann
noch so viel anstoßen – solange der durchschlagende sportliche Erfolg
fehlt, mangelt es ihm an Publizität und Glaubwürdigkeit, um genug
Aufmerksamkeit und Akzeptanz für die vielen guten Ideen zu haben, die sonst
nur in der Handballblase diskutiert würden. „Wir sind nicht nur
wirtschaftlich sehr abhängig vom Erfolg der A-Nationalmannschaft der
Männer“, sagt Schober dazu.
Und die sucht seit dem überraschenden Titelgewinn in Polen vom Januar 2016
ihre Rolle an der Weltspitze. Irgendwo zwischen Platz fünf und neun kann
man sie einordnen; bei der EM wäre das Erreichen des Halbfinals von
Bundestrainer Alfred Gislasons Mannschaft eine Überraschung – aber der
wirkungsvollste Move, um junge Schichten zu begeistern, um die Spieler von
morgen überhaupt anzusprechen.
Auch insofern lastet ein erheblicher Druck auf der jungen Mannschaft, die
gleich im ersten Spiel gegen die Schweiz am Mittwoch in Düsseldorf (20.45
Uhr/ZDF) gefordert sein wird. Gislason und seine Spieler scheuen sich, ein
Ziel auszurufen, was in Anbetracht [3][der enteilten Dänen und Franzosen],
der starken Schweden, Isländer und Ungarn nachvollziehbar ist.
Wie es funktionieren kann, hat die Junioren-WM im Sommer in Hannover,
Magdeburg und Berlin gezeigt. Hier wurde von vornherein der Titel als Ziel
des „Wunderjahrgangs“ 2002/2003 ausgerufen. Das Team knickte nicht ein,
sondern rauschte durchs Turnier und begeisterte ein recht großes Publikum
durch Überzeugung gepaart mit Leichtigkeit. Entstanden war dieser Erfolg
durch zähe Jugendarbeit an drei, vier Zentren – Berlin/Potsdam, Mannheim,
Hannover, Magdeburg. Auffällig, dass die beiden dominierenden Teams des
vergangenen Jahrzehnts mit diesem Pokal wenig zu tun hatten: [4][Kiel und
Flensburg], wo man den starken Nachwuchs traditionell aus Skandinavien
holt, nicht den deutschen ausbildet.
## Eingeschworene Handballgemeinschaft
Geld hat der DHB mit dieser Junioren-WM nicht verdient, aber Begeisterung
erzeugt – die Hallen waren ausverkauft, die Spieler staunten über die
Stimmung beim Finale in Berlin und sahen junge Fans in ihren Trikots
herumlaufen. An den Spielorten erlebte man Busladungen voller Teams aus
ganz Deutschland, die später die Ränge bevölkerten, Mädchen aus Minden, die
mit Jungs aus Wallau flirteten – die Handballgemeinschaft ist
vergleichsweise groß, in den Bundesländern mit starken Erstligisten wie
Schleswig-Holstein spielen nach Fußball die meisten Kinder und Jugendlichen
Handball. Vier der U21-Weltmeister hat Gislason in seinem EM-Kader.
Man kann sich nun die Frage stellen, ob der DHB wirklich in alle möglichen
Richtungen wachsen muss oder ob es reicht, die eigene Klientel angemessen
zu bedienen. In manchen Bereichen stößt der Verband an seine Grenzen: Wie
mit Nachhaltigkeit verfahren? Reicht die Bahn als Partner der EM, um das
Thema glaubwürdig zu besetzen? Was macht man mit der Digitalisierung?
Genügt es, Jugendspiele per Liveticker im Netz abzubilden? Wird man der
gesellschaftlichen Verantwortung allein dadurch gerecht, dass
Handballspiele als faire, weitgehend gewaltfreie Veranstaltungen
stattfinden?
In der Kommunikation nach außen fehlen dem Verband die Charakterköpfe, die
mitreißende Botschaften verkünden und eine gewisse Leichtigkeit
ausstrahlen. Nicht umsonst wurde der Handballuniversalist Stefan
Kretzschmar im Frühjahr als Manager der Nationalmannschaft gehandelt, als
erster Verkäufer. Doch weder wollte er das wirklich, noch bekam die
Diskussion genug Schwung, um zielgerichtet bis zum Abschluss weitergeführt
zu werden.
Manchmal schaut Vorstand Schober mit Sorge auf die allgemein rezessive
Entwicklung in der deutschen Wirtschaft, im Marketing, er vernimmt Signale,
dass Budgets für den Profisport schrumpfen, dass nicht mehr jede Halle in
der Bundesliga ausverkauft ist. Die Bundesliga muss funktionieren, sie
zieht im Lokalen, Regionalen den ganzen Handball, ist die Echokammer, in
der Spieltag für Spieltag nun mal über die Details des Geschehens
diskutiert wird. Und sie bildet die Spieler aus, die jedes Jahr im Januar
die Köpfe der Bewegung sind.
Sollten diejenigen, deren Trikots schon jetzt am meisten getragen werden –
Juri Knorr, Julian Köster –, in diesen Tagen nicht zum ganz großen Wurf
ansetzen, kommt die nächste Chance schnell: Schon im Januar 2027 trägt der
DHB die nächste Großveranstaltung aus, dann ist es eine Weltmeisterschaft.
So lange wird der Handball in Deutschland im Gespräch bleiben – wenigstens
im Januar.
7 Jan 2024
## LINKS
[1] https://www.olympiapark.de/de/veranstaltungen/tag-des-handballs--n3866
[2] /Deutsches-Team-vor-der-Handball-WM/!5972650
[3] /Finale-der-Handball-WM/!5909222
[4] /Nordclubs-in-der-Handball-Bundesliga/!5954988
## AUTOREN
Frank Heike
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