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# taz.de -- Gesellschaftliche Erwartungen an Frauen: Mädchen, jetzt lach doch …
> Schon von klein auf wird von Mädchen erwartet, dass sie lächeln sollen.
> Dabei macht künstliches Lächeln krank – vielleicht reicht auch Zähne
> zeigen.
Bild: Ihr schönstes Lächeln!
Wenn ich als kleines Mädchen mit meiner Mutter in den Supermarkt ging, war
mein Highlight immer die Fleischtheke. Dort bekam ich eine Scheibe
Gesichtswurst geschenkt, in Form eines Grinsegesichts, das auch noch
köstlich schmeckte. Doch an jenem Tag guckte ich für den Geschmack meiner
Mutter wohl zu griesgrämig, um sie verdient zu haben. „Was machst du bloß
für ein Gesicht?“, fragte sie – und forderte mich auf zu lächeln.
Da wurde mir zum ersten Mal klar, dass ich meine Mundwinkel bewusst
einsetzen kann und das in bestimmten Situationen auch von mir verlangt
wird. Etwa als viele Jahre später ein Mann einen Lachmund in die Luft
zeichnete, um mich daran zu erinnern, dass ich lächeln solle. Oder als ein
anderer während eines Studijobs zu mir sagte: „Mensch, Mädchen, jetzt lach
doch mal, dann siehst du gleich viel hübscher aus!“
Übergriffige Aufforderungen wie diese kennen viele, vor allem Frauen. Laut
Wissenschaftler*innen, die 186 Studien zum Thema Lächeln ausgewertet haben,
[1][lächeln vor allem junge Frauen] häufiger als ihre männlichen
Altersgenossen. Einer britischen Umfrage zufolge gaben fast zwei Drittel
der weiblichen Teilnehmenden an, mindestens ein Mal in ihrem Leben [2][zum
Lächeln ermahnt] worden zu sein.
Und das hat weitreichende Konsequenzen. Denn wenn einem immer wieder
gespiegelt wird, dass der eigene Gesichtsausdruck unangemessen ist, führt
das dazu, dass man ihm irgendwann misstraut und ihn durch ein gefaktes
Lächeln milder und zugänglicher wirken lässt. Ein klassischer Fall von
Wahrnehmungsmanipulation! Im Patriarchat muss es schließlich ein paar
bezaubernde Elfen geben, die all die Helden des XY-Chromosoms nach getaner
Arbeit – sei es auf dem Schlachtfeld oder im Büro – mit einem Lächeln
auffangen und ihnen damit das Gefühl geben, dass sie das ganz, ganz toll
gemacht haben.
Die Frau als fröhlicher Clown, der nicht nur hübsch ausschaut, sondern auch
bestens gelaunt die Drecksarbeit erledigt. Zumindest hätten die Herren der
Schöpfung gerne das Gefühl. Nicht ohne Grund wird auch im
Dienstleistungsbereich meist ein Lächeln verlangt, das den Kund*innen
vorgaukelt, es sei ein großer Spaß, Bierkrüge zu schleppen oder haarige
Rücken zu massieren, alles andere gibt eine schlechte Bewertung bei Google
oder Yelp. Dabei [3][macht ein solches Servicelächeln krank], ja fördert
auf Dauer sogar Depressionen, wie die US-amerikanische Soziologin Arlie
Russell Hochschild herausgefunden hat. Darüber hinaus ist es furchtbar
anstrengend. Wer schon mal im Service gearbeitet hat, weiß, wie sehr die
Wangenmuskulatur schmerzt, wenn sie unnatürlich lang angespannt wurde.
Den Höhepunkt meiner Lächelkarriere erlebte ich übrigens auf einer
Elektronikfachmesse. Wir Promoter*innen wurden dazu angehalten, stets
zu lächeln. „Und wenn euch mal nicht danach zumute ist: Zähne zeigen reicht
auch.“ Über diese Aussage muss ich heute noch lächeln. Denn sie
verdeutlicht wie kaum eine andere, dass es manchmal nur ein kleiner Schritt
von der Unterwerfung zur Drohgebärde ist.
Seit gut 20 Jahren wird auf Social Media und in den Boulevardmedien das
[4][„Resting Bitch Face“] diskutiert: Gesichter, die selbst im entspannten
Zustand verächtliche oder genervte Züge zeigen und dadurch abschreckend auf
ihr Umfeld wirken. Und ja, auch ich kenne Leute mit einem Hang zum „RBF“,
die mich schon verunsichert haben. Doch je mehr ich darüber nachdenke,
desto mehr habe ich das Gefühl, dass nicht ihr Gesichtsausdruck das Problem
ist, sondern meine Interpretation. Wäre es nicht befreiend, wenn wir uns
alle ein bisschen mehr so dreinblicken ließen, wie wir sind? Die einen
gucken halt nicht besonders freundlich, weil sie es nicht sind, die
anderen, weil ihre Physiognomie es nicht anders hergibt.
Seitdem ich weiß, dass Lächeln einen zwar sympathischer, dafür aber oft
nicht besonders kompetent oder durchsetzungsstark erscheinen lässt,
versuche ich nur noch zu lächeln, wenn mir danach ist. Und siehe da: Die
Welt begegnet mir seitdem zwar nicht unbedingt freundlicher, dafür aber mit
mehr Respekt.
25 Dec 2023
## LINKS
[1] https://www.spektrum.de/news/frauen-laecheln-mehr-als-maenner-vor-allem-unt…
[2] https://www.tres-click.com/studie-yougov-laecheln-frauen-uebergriffig/
[3] https://www.sueddeutsche.de/karriere/servicebranche-immer-schoen-laecheln-1…
[4] https://www.zeit.de/zett/2016-08/resting-bitch-face-warum-uns-dieser-gesich…
## AUTOREN
Anna Fastabend
## TAGS
Sexismus
Patriarchat
Kolumne Starke Gefühle
Humor
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Kolumne Midlife Monologe
wochentaz
Annalena Baerbock
Schönheitsnormen
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