# taz.de -- Amtseinführung in Argentinen: Drastische Sparpolitik in Aussicht | |
> Begleitet von Gästen wie Orbán, Bolsonaro und Selenski wurde der neue | |
> Präsident Argentiniens vereidigt. Javier Milei spricht von einer neuen | |
> Ära. | |
Bild: Selenski (links), Ecuadors Präsident Noboa (M.) und Orbán am Sonntag in… | |
BUENOS AIRES taz | Der liberal-libertäre Javier Milei ist [1][der neue | |
Präsident Argentiniens]. Am Sonntag trat der 53-Jährige sein Amt mit einer | |
ungewöhnlichen und symbolträchtigen Amtseinführung an. Begleitet wurde er | |
von seiner Schwester Karina, „el Jefe“ (!), dem Chef, wie seine engste und | |
wichtigste Beraterin genannt wird. | |
Während sich vor dem Kongressgebäude in Buenos Aires bei wolkenlosem Himmel | |
und strahlendem Sonnenschein die Menschen drängten, nahm drinnen die | |
sichtlich angefressene Hausherrin [2][Cristina Kirchner] mit den Händen in | |
den Hosentaschen ihres knallroten Kostüms Milei den Amtseid ab. Zuvor hatte | |
die nun ehemalige Vizepräsidentin mit dem Mittelfinger ein „Fuck you“ in | |
Richtung einiger lautstarker Kritiker*innen geschickt. | |
Nachdem der jetzt ebenfalls ehemalige Präsident Alberto Fernández mit einem | |
zumindest kamerafreundlichen Lächeln seinem Nachfolger die | |
Präsidentenschärpe umhängte und den Stab übergab, kannte der Jubel draußen | |
keine Grenzen mehr. Der neue Amtsinhaber winkte noch einen kurzen Gruß in | |
die Runde, drehte sich auf dem Absatz um, ging zum Ausgang und schritt | |
draußen die Stufen des Gebäudes hinunter zu einem Rednerpult. | |
Es war das erste Mal in der auf den Tag genau [3][40-jährigen Demokratie | |
Argentiniens], dass ein gewähltes Staatsoberhaupt nicht seine erste Rede | |
vor dem versammelten Kongress hielt. Und es war Mileis Botschaft an die | |
dort versammelte politische Kaste, die er während des Wahlkampfs als Wurzel | |
allen Übels angeprangert hatte. Über die sozialen Netzwerke hatte Milei | |
seine Anhängerschaft dazu aufgerufen, mit argentinischen Fahnen auf den | |
Platz vor dem Kongress zu kommen, der sich in ein gut gefülltes Meer aus | |
hellblau-weißen Fahnen verwandelte. | |
## Der Beginn „eine neue Ära“ | |
„Heute lassen wir eine traurige Geschichte hinter uns. Es gibt kein Zurück | |
mehr. Heute beginnt eine neue Ära“, begann Milei seine Rede, in der er den | |
Regierungswechsel mit nichts weniger als dem Fall der Berliner Mauer | |
gleichsetzte, woraufhin die Menge „Libertad, Libertad – Freiheit, Freiheit�… | |
skandierte. Was folgte, war eine Abrechnung mit der Vorgängerregierung und | |
die Ankündigung einer drastischen Sparpolitik. | |
„Keine Regierung hat je ein so schweres Erbe antreten müssen“, erklärte | |
Milei. [4][Der Kirchnerismus habe nur riesige Löcher] in allen Kassen und | |
das Land am Rande der Hyperinflation hinterlassen. „Sie haben unser Leben | |
ruiniert“, sagte Milei und wiederholte seinen schon jetzt legendären Satz: | |
„No hay plata – Es ist kein Geld da.“ Und während er eine drastische | |
Sparpolitik ankündigte, zu der es keine Alternative gebe, rief die Menge: | |
„Milei querido, el pueblo esta contigo – geliebter Milei, das Volk ist mit | |
dir“. | |
## Kein Wort über die Einführung des US-Dollars | |
Aufschlussreich ist auch, welches seiner Wahlkampfversprechen Milei in | |
seiner 35-minütigen Rede nicht erwähnte. Kein Wort über die Einführung des | |
US-Dollars als gesetzliches Zahlungsmittel, keine Silbe über die | |
Abschaffung der Zentralbank oder über die Tatsache, dass an seinem | |
Kabinettstisch die politische Kaste mit recycelten Vertreter*innen | |
sitzt. Prominenteste Beispiele sind Wirtschaftsminister Luis Caputo, | |
Ex-Wirtschaftsminister und Ex-Zentralbankchef unter Ex-Präsident Mauricio | |
Macri, und Sicherheitsministerin Patricia Bullrich, die dieses Amt schon | |
unter Macri innehatte und als Kandidatin der Mitte-rechts-Koalition Juntos | |
por el Cambio in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl gescheitert war. | |
Dass alle neun Minister*innen ihren Eid hinter verschlossenen Türen | |
ablegten, passt zu Mileis Schweigen. | |
Spötter haben den Namen von Mileis Partei bereist umgetauft. Statt La | |
Libertad Avanza – LLA/Die Freiheit schreitet voran heißt sie jetzt La | |
Realidad Avanza – Die Realität schreitet voran. Realitätssinn wird Milei | |
auch im Kongress brauchen. Ohne die Zustimmung beider Kammern wird der | |
Großteil seiner Vorhaben nicht vorankommen. Im Abgeordnetenhaus verfügt die | |
LLA über 38 der 257 Abgeordneten und im Senat über 7 der 72 Mandate. | |
Erschwerend kommt hinzu, dass Mileis Partei in keiner der 24 Provinzen den | |
Gouverneur oder Regierungschef stellt. Gefragt sind Dialog- und | |
Verhandlungsbereitschaft sowie die Bereitschaft, Kompromisse zu finden – | |
Eigenschaften, die in der Vergangenheit nicht zu den Stärken des neuen | |
Präsidenten gehörten. | |
## Selenski, Orbán und Bolsonaro unter den Gästen | |
Ungewöhnlich war auch die Liste der ausländischen Staatsgäste. Darauf waren | |
Uruguays Staatschef Luis Lacalle Pou, der paraguayische Präsident Santiago | |
Peña und der chilenische Präsident Gabriel Boric als Staatoberhäupter der | |
unmittelbaren Nachbarländer keine Überraschung. Dass aber statt des | |
brasilianischen Amtsinhabers Lula da Silva dessen rechtsradikaler Vorgänger | |
Jair Bolsonaro anwesend war, lässt nichts Gutes für die künftigen | |
Beziehungen zum großen Nachbarn ahnen. Möglicherweise hatte Bolsonaro einen | |
Gedankenaustausch mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der | |
ebenfalls gekommen war. | |
Die meiste Aufmerksamkeit galt jedoch Wolodimir Selenski. Der ukrainische | |
Präsident war der Einzige, der eine sichtbare kugelsichere Weste trug. | |
Selenski war auch der einzige Staatsgast, mit dem Milei ein persönliches | |
Gespräch führte. Milei hatte ihm schon Ende November zugesagt, dass | |
Argentinien die zwiespältige Haltung der Vorgängerregierung zu dem von | |
Russland ausgelösten Krieg in eine eindeutige Unterstützung der Ukraine | |
ändern werde. | |
Die angereiste US-Delegation hat Milei die Unterstützung der Vereinigten | |
Staaten zugesagt. „Priorität Nummer eins haben die wirtschaftlichen | |
Herausforderungen“, sagte Juan Gonzalez, Berater von US-Präsident Joe Biden | |
und leitender Direktor des Nationalen Sicherheitsrats für die westliche | |
Hemisphäre. Die bisherigen Gespräche seien „sehr positiv“ verlaufen und m… | |
werde Argentinien bei Gesprächen mit dem Internationalen Währungsfonds | |
(IWF) unterstützen. Was diese Aussagen wert sind, wird sich Ende Dezember | |
zeigen. Dann muss Argentinien 900 Millionen Dollar beim IWF tilgen und im | |
Januar weitere 1,9 Milliarden Dollar. Auch dabei gilt, was Milei gesagt | |
hat: No hay plata – Es ist kein Geld da. | |
11 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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