| # taz.de -- Biber-Magazin wird eingestellt: Kein Pfeffer mehr in Wien | |
| > In Wiener Schulen, Bäckereien und Supermärkten gab es 16 Jahre lang das | |
| > migrantische Magazin „Biber“. Nun kann es die Druckkosten nicht mehr | |
| > stemmen. | |
| Bild: „Biber“ wird nach 16 Jahren eingestellt | |
| Das erste Missverständnis ist, dass mit Biber das Nagetier gemeint ist. Auf | |
| Türkisch heißt Biber „Pepperoni“, auf Serbokroatisch „Pfeffer“. Das z… | |
| Missverständnis ist, dass es sich hierbei um ein Kulinarik-Magazin handelt. | |
| [1][Biber], das war eines der ersten deutschsprachigen Magazine, das es | |
| sich mit seiner Gründung zur Aufgabe machte, migrantische Perspektiven ins | |
| Zentrum zu rücken. | |
| Seit 2007 berichtete das „Stadtmagazin für Wien, Viyana und Beč“ aus den | |
| Lebenswelten junger Wiener:innen, die Migrationshintergrund hatten oder | |
| deren Eltern. Es erreichte damit vor allem jene, denen sonst nachgesagt | |
| wird, nur in den Sphären des Internets unterwegs zu sein: 28 Jahre war das | |
| Durchschnittsalter des Biber-Publikums zuletzt. Fünfmal jährlich gab es | |
| neue Ausgaben zur Gratis-Entnahme an insgesamt 2.500 Wiener Supermärkten, | |
| Bäckereien und Schulen. | |
| In ihrer frühen Ästhetik erinnerten die Cover ans legendäre Tempo-Magazin, | |
| mit Titeln wie „Bist du ein Rassist? Mach den Test“ oder „Fette Karren, | |
| Alle starren: Mein Auto, mein Ego, mein Mädchen“. Damit eckte Biber anfangs | |
| an. Immer wieder zeigte es, dass perspektivische Vielfalt nicht nur eine | |
| additive Erweiterung des bestehenden Blickrepertoires ist, sondern auch | |
| Reibung, Konflikt, Auseinandersetzung. Die Debatte also, die Journalismus | |
| ausmacht. | |
| Kebap essen mit Basti | |
| Politikwissenschaftler Simon Kravagna gründete das Magazin 2007 gemeinsam | |
| mit dem Unternehmer Andreas Wiesmüller. Die ersten Texte suchten sie per | |
| Inserat an der Universität Wien. „Kannst du auch noch eine andere Sprache | |
| als Deutsch und hast Storyideen? Schick sie mir. Wir gründen ein Magazin“ | |
| hieß es da. | |
| Und die Storys kamen. In einigen Fällen spürte das Biber die großen Themen | |
| schon im Voraus auf. [2][2011 besuchte es mit dem damaligen | |
| Integrationsminister Sebastian „Basti“ Kurz den Kebapstand] und titelte: | |
| „Einer von uns?“ Wünschten sich andere Zeitungen anlässlich des | |
| außenpolitischen Weltgeschehens Einblick in migrantische Communitys, hatte | |
| das Biber schon eine Cover-Story parat, etwa als das Magazin 2014 über die | |
| „Spaltung der Austro-Türken“ vor den Präsidenschaftswahlen in der Türkei | |
| berichtete. | |
| Doch ging es dem Biber nicht nur um Insiderperspektiven. „Alle sollen über | |
| alles schreiben dürfen“, sagt Aleksandra Tulej, die seit 2022 | |
| Chefredakteurin bei Biber ist. „Stattdessen erleben | |
| Jungjournalist:innen oft, dass ihr Migrationshintergrund zu ihrer | |
| Expertise erklärt wird“. | |
| Ab 2011 durchliefen angehende Jungredakteur:innen die Biber-Akademie, | |
| lernten zwei Monate in der Redaktion und einen Monat in der eines anderen | |
| Mediums das journalistische Handwerk. Über hundert | |
| Jungjournalist:innen wurden bis heute ausgebildet, nebenbei bat das | |
| Magazin auch Workshops an Mittelschulen an. „Viele Schüler wissen gar | |
| nicht, dass Journalismus eine Option ist. Es ist wichtig, zu sagen, dass | |
| das geht“, sagt Tulej. | |
| Hohe Kosten, keine Presseförderung | |
| Neben dem Magazin wird es nun auch die Biber-Akademie nicht mehr geben. | |
| Dass am 16. Dezember die letzte Ausgabe erscheint, liegt daran, dass das | |
| Magazin die Druckkosten nicht mehr stemmen konnte, die durch die Inflation | |
| gestiegen waren. All die Jahre war es vorwiegend auf Werbeeinnahmen | |
| angewiesen, diese waren in letzter Zeit zurückgegangen. Reguläre | |
| Presseförderung hatte das Magazin, wie der Herausgeber gegenüber dem | |
| Magazin Horizont angab, nie erhalten. | |
| Jene kommt im Moment nur Kauftages- und Kaufwochenzeitungen zugute, | |
| darunter manche, deren Beitrag zum demokratischen Diskurs fragwürdig ist. | |
| In Bezug auf den Inhalt der Berichterstattung sind die Förderrichtlinien | |
| sehr vage formuliert, Medien müssen lediglich „aufgrund des Inhaltes über | |
| den Kreis der reinen Fachpresse hinausreichen sowie vorwiegend der | |
| politischen, allgemein wirtschaftlichen und kulturellen Information und | |
| Meinungsbildung dienen“. | |
| Das tun auch die Neue freie Zeitung der FPÖ, die dieses Jahr mit über | |
| 56.000 Euro gefördert wurde, und das 1997 von zwei Burschenschaftern | |
| gegründete Medium Zur Zeit, das über 44.000 Euro erhielt. Rund 650.000 Euro | |
| der 8,9 Millionen Euro Presseförderung gingen übrigens an Zeitungen der | |
| katholischen Kirche. | |
| Dass Biber aus Schulen und Geschäften verschwindet, während die Rechten | |
| weiterwettern, tut weh. Immerhin gibt es mit der „Summer-School“ der | |
| ehemaligen Biber-Akademie-Absolventin Melisa Erkurt, die das | |
| Instagram-Medium „[3][die Chefredaktion]“ gegründet hat, eine Art | |
| indirektes Nachfolgeprojekt. Auch dort sollen Jugendliche ohne Vitamin B | |
| Einblick in den Journalismus erhalten und die Möglichkeit, einzusteigen. | |
| Schulen, Supermärkten, Bäckereien und anderen Biber-Distributionsorten | |
| wird in Zukunft jedenfalls eine Sache abgehen, die alle gut gebrauchen | |
| können: eine gewaltige Portion Pfeffer. | |
| 15 Dec 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lara Ritter | |
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