# taz.de -- Ruandas pragmatische Außenpolitik: Auf neutralem Terrain | |
> Mit einer äquidistanten Außenpolitik will Ruanda seine wirtschaftliche | |
> Entwicklung sichern. Und damit auch für regionale Stabilität sorgen. | |
Bild: Eine Parallele zwischen der Schweiz und dem kleinen ostafrikanischen Land… | |
Die „Schweiz Afrikas“ wird Ruanda bisweilen genannt und das hört man im | |
Land nicht ungern: Für ostafrikanische Verhältnisse ist Ruanda schließlich | |
wohlhabend, es geht hier stabil zu und gebirgig, grün und dicht besiedelt | |
ist es auch. Doch es gibt noch eine weitere Parallele zwischen der Schweiz | |
und dem kleinen ostafrikanischen Land: Eine spezielle Form der Neutralität. | |
Es ist eine äquidistante Kooperation mit den globalen Machtblöcken. China, | |
Russland, der Westen – wo es Vorteile bringt, wird mit allen | |
zusammengearbeitet, ohne sich in einseitige Abhängigkeit zu begeben. | |
„Europa und Afrika sind Nachbarn, die ein gemeinsames Verständnis | |
zahlreicher Schlüsselinteressen in den Bereichen Sicherheit, Migration, | |
Umwelt, Handel und Investitionen haben“, sagte Ruandas Präsident Paul | |
Kagame auf dem EU-Afrika-Gipfel 2017 in Abidjan. Bei einer Reise nach | |
Westafrika 2023, nach einer Serie russlandfreundlicher Militärputsche in | |
der Region, sagte Kagame: „Man hört immer wieder, dass sich die Menschen | |
über die Präsenz Chinas und Russlands in Afrika beschweren. Aber was ist | |
mit ihnen, und welches Recht haben sie, in Afrika zu sein, das andere nicht | |
haben?“ | |
Das umreißt, welchen Weg das Land heute nimmt: Es ist eine relativ neutrale | |
Außenpolitik im Kontext des globalen Machtwettbewerbs in Afrika. Dieser | |
diplomatische Pragmatismus soll die wirtschaftliche Entwicklung und die | |
regionale Stabilität wahren. | |
Ruanda hat eine komplexe Geschichte, die vor allem durch den Völkermord an | |
den Tutsi im Jahr 1994 geprägt ist, bei dem innerhalb von 100 Tagen mehr | |
als eine Million Tutsi und einige gemäßigte Hutu sowie Ausländer getötet | |
wurden. „Die Tragödie hat die Außenpolitik des Landes beeinflusst“, sagt | |
der Politologe Ismael Buchanan von der Universität Ruanda. Die habe sich | |
„eher auf Versöhnung, Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung | |
konzentriert, als sich an eine bestimmte Weltmacht zu binden“. | |
Während einige afrikanische Länder vor allem auf die Ausbeutung natürlicher | |
Ressourcen setzen, versuchen andere, Vorteile aus politischen oder | |
militärischen Allianzen zu ziehen. Das „Land der tausend Hügel“, wie Ruan… | |
ebenfalls genannt wird, habe sich indes für Neutralität entschieden, um | |
Investitionen aus verschiedenen Teilen der Welt anzuziehen, sagt Buchanan. | |
Indem es sich nicht zu eng an einen Machtblock bindet, habe es Beziehungen | |
zu vielen Nationen für die eigene wirtschaftliche Entwicklung nutzen | |
können. | |
Ruanda liegt in der Region der Großen Seen, die für Konflikte und | |
politische Instabilität bekannt ist. Eine neutrale Haltung sei in einem | |
solchen Umfeld von Vorteil, um Stabilität zu wahren und Konfliktlösung zu | |
erleichtern. „Es vermeidet den Eindruck, eine bestimmte Seite zu | |
bevorzugen.“ | |
Obwohl es ein kleines Land ist, engagiert Ruanda sich in internationalen | |
Organisationen und setzt sich für Multilateralismus ein. „Das macht es | |
leichter, globale Herausforderungen wie den Klimawandel und die Armut | |
anzugehen und Partnerschaften aufzubauen, ohne in geopolitischen | |
Rivalitäten Partei ergreifen zu müssen“, sagt Buchanan. Und so bevorzugt | |
Ruandas Regierung nach eigenem Bekunden eine pragmatische Diplomatie, die | |
die Interessen des Landes über geopolitische Erwägungen stelle. | |
Kagame habe dabei, so Buchanan, ein beträchtliches Wirtschaftswachstum und | |
eine effiziente Regierungsführung vorzuweisen, womit das Land heute anderen | |
afrikanischen Staaten als Beispiel diene – auch, um sich gegenüber dem | |
Einfluss der in Afrika konkurrierenden globalen Mächte zu behaupten. So | |
vermochte Ruanda von der Zusammenarbeit mit Russland, China und der | |
Europäischen Union zu profitieren. | |
## Ruandas Regierung bevorzugt eine pragmatische Diplomatie | |
So hat China erhebliche Investitionen in Schlüsselsektoren getätigt – im | |
Bau- und Energiewesen, in der Landwirtschaft und Telekommunikation. Das | |
Land hat Straßen, Stadien und das Kongresszentrum von Kigali finanziert und | |
gebaut, chinesische Unternehmen haben in ruandische Firmen investiert und | |
Arbeitsplätze geschaffen. Auf der zweiten Jobmesse der Rwanda-China Alumni | |
Organization im September 2023 in Kigali lobte Chinas Botschafter Wang | |
Xuekun die Karrierechancen von Ruandern, die in seinem Land studiert haben. | |
„Heutzutage kommen immer mehr chinesische Unternehmen nach Ruanda und | |
suchen nach Investitionsmöglichkeiten“, sagte Wang. Die betreffe nicht nur | |
traditionelle Bereiche wie Infrastruktur, Produktion und Transport, sondern | |
auch neue Sektoren wie E-Commerce oder Kommunikation. | |
Auch Russland hat zum Wohlstand Ruandas beigetragen, wenngleich in | |
geringerem Maße als China. Russische Unternehmen investierten in Bergbau, | |
Energie und Bildung und haben Chancen bei der Mineraliengewinnung erkundet. | |
Das Land hat Bildungsinitiativen in Ruanda unterstützt, Stipendien und | |
technische Hilfe für Forschungseinrichtungen und Unternehmen getätigt. Im | |
Juni 2023 wurde in Kigali der „Russland-Tag“ begangen. Moskaus Botschafter | |
Chalyan Karén Drastamatovich wies auf den „allmählichen, kontinuierlichen“ | |
Fortschritt der Beziehungen in den vergangenen 20 Jahren hin: in der | |
Diplomatie, bei der Ausbildung von Personal, im Verteidigungsbereich oder | |
bei der Digitalisierung. 2023 etwa habe sich die Zahl der Stipendien der | |
russischen Regierung für ruandische Studierende verdoppelt. Zudem hätten | |
die beiden Länder „die ersten guten Schritte zur Wiederbelebung unserer | |
Zusammenarbeit im Bereich der Medizin und insbesondere der biomedizinischen | |
Forschung unternommen“, sagte Drastamatovich. | |
„Sowohl Russland als auch China sehen Afrika, inklusive Ruanda, als | |
wichtigen strategischen Partner“, sagt der Politologe Ismael Buchanan. | |
„Durch Investitionen und Partnerschaften versuchen sie, Zugang zu | |
Ressourcen zu erhalten, die Märkte für ihre Produkte zu erweitern und ihren | |
globalen Einfluss zu vergrößern.“ | |
Darin unterscheiden sie sich nicht von der EU. Auch sie ist ein wichtiger | |
Partner und trug mit Investitionen und Finanzhilfe zur Armutsbekämpfung, | |
der Entwicklung des Agrarsektors oder der Infrastruktur zum | |
Wirtschaftswachstum in Ruanda bei. Bei der EU spielt indes immer auch die | |
„gute Regierungsführung“ eine Rolle: Brüssel achtet auf | |
Rechtsstaatlichkeit, finanziert Projekte zur Stärkung der Institutionen, | |
der Menschenrechte oder der Korruptionsbekämpfung. 2022 sagte Brüssel | |
Ruanda im Rahmen einer neuen Kooperationsstrategie rund 260 Millionen Euro | |
bis 2026 zu. Dies sei Ausdruck einer „Partnerschaft, um den von uns beiden | |
gewünschten Wandel herbeizuführen“, lobte Ruandas Finanzminister Uzziel | |
Ndagijimana. | |
In Ruanda zeigt sich, welche wirtschaftlichen Vorteile die Blockfreiheit | |
haben kann – und welche Möglichkeiten sie bietet, um eine Rolle als | |
Vermittler in regionalen Konflikten einzunehmen. Erkauft sind diese | |
Möglichkeiten mit begrenztem Schutz, teilweise eingeschränktem Zugang zu | |
Ressourcen und einer kraftraubenden Diplomatie. | |
Doch nur mit einer solchen könne sich Afrika im Wettbewerb der Mächte | |
behaupten, glaubt der Politologe Ismael Buchanan. „Der Kontinent verfügt | |
über enorme ungenutzte Ressourcen und eine große, junge Bevölkerung, die | |
einen wichtigen Beitrag zu seiner Entwicklung leisten kann.“ Doch dazu | |
müssen die afrikanischen Staaten ihre eigenen Interessen in den Vordergrund | |
stellen. | |
[1][Hier] erfahren Sie mehr über den Afrika-Workshop der taz Panter | |
Stiftung und das 54-seitige Magazin. | |
25 Jan 2024 | |
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[1] /!vn5981173/ | |
## AUTOREN | |
Mizero Chrispin | |
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