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# taz.de -- Umbau der „Neuen Westfälischen“: Eine Zeitung stirbt langsam
> Ab April will die „Neue Westfälische“ kaum noch eigene überregionale
> Inhalte produzieren. Die Pressevielfalt in Deutschland leidet weiter.
Bild: Werbung der „Neuen Westfälischen“ in Bielefeld. Bald kommt ein Groß…
Bochum taz | In Nordrhein-Westfalen soll ein weiteres Stück Medienvielfalt
verschwinden: Die in Bielefeld verlegte, über die Deutsche Druck- und
Verlagsgesellschaft mbH (ddvg) zu den Zeitungsbeteiligungen der SPD
zählende Neue Westfälische (NW) will ihren Mantelteil – also die vorderen
Seiten ihrer Printausgabe – massiv eindampfen. Große Teile sollen künftig
nicht mehr am Verlagssitz produziert, sondern vom Redaktionsnetzwerk
Deutschland (RND) des [1][Hannoveraner Madsack-Konzerns übernommen] werden.
Auch an Madsack ist die ddvg beteiligt.
Wohl schon ab dem zweiten Quartal 2024 will NW-Geschäftsführer Klaus
Schrotthofer ganze Seiten aus Hannover und Berlin anliefern lassen –
druckfertig konfektioniert vom [2][RND]. Die eigenen Redakteur:innen
sollen nur noch auf zwei Regionalseiten und den Regionalsport vollständigen
Einfluss haben. Von Madsack übernommen werden sollen ab April dagegen nicht
nur die Seite 3, zwei Wirtschaftsseiten, die überregionale Kultur- und
Sportberichterstattung sowie die Panorama-Seite, sondern selbst Teile der
Seite 1 und der Kommentare.
Noch werden die in Bielefeld von der 2019 gegründeten
Redaktionsgemeinschaft der ostwestfälisch-lippischen Verlage produziert –
als fünftgrößtes Medienhaus in NRW und Platzhirsch in Ostwestfalen (OWL)
liefert die Neue Westfälische ihren Mantel schon seit den sechziger Jahren
an das Haller Kreisblatt und die Lippische Landeszeitung. Und seit vier
Jahren bezieht auch das Mindener Tageblatt seine hinteren Seiten von der
Redaktionsgemeinschaft.
Deren Gründung war 2019 noch als Bündelung regionaler Ressourcen, als
„bedeutender Schritt zur Sicherung des Medienstandorts“ verkauft worden.
Geliefert werde „Qualitätsjournalismus mit einem eigenständigen Blickwinkel
aus OWL für OWL“, ließ sich NW-Herausgeber Schrotthofer zitieren. Dabei war
die Neugründung schon damals offenbar in erster Linie eine Sparmaßnahme:
Zumindest für ihre jüngeren, neu eingestellten Redakteur:innen gilt
keine Tarifbindung.
## Doch keine Stärkung des Lokaljournalismus
Auch der „eigenständige Blickwinkel“ spielt offenbar keine größere Rolle
mehr. Die Redaktionsgemeinschaft OWL greife bei der Mantelteil-Produktion
bereits „seit ihrem Bestehen u. a. auf Inhalte von Nachrichtenagenturen
sowie des Berliner Korrespondentenbüros des Redaktionsnetzwerks Deutschland
(RND) zurück“, erklärt der NW-Geschäftsführer auf taz-Anfrage.
Allerdings: „Bei Bedarf werden diese Beiträge um eigene Inhalte ergänzt“,
schreibt Klaus Schrotthofer, der von 2002 bis 2004 Sprecher des
sozialdemokratischen Bundespräsidenten Johannes Rau war, in einer Mail.
Denn noch wird in Bielefeld nicht nur festgelegt, welche Inhalte im Mantel
stehen – die Redaktionsgemeinschaft greift auch auf freie
Journalist:innen zurück, die etwa aus Berlin, Washington oder Rom Texte
liefern und die stolz als „Korrespondenten“ präsentiert werden.
Ab April dagegen solle die wirtschaftlich starke Region Ostwestfalen, wo
Konzerne wie der Lebensmittelriese Oetker, der Waschmaschinenhersteller
Miele oder Mähdrescher-Weltmarktführer Claas ihren Sitz haben, mit einer
inhaltlichen „Einheitssauce“ beliefert werden, kritisiert etwa
Verdi-Gewerkschaftssekretär Daniel Hirschi. Denn durch Übernahme ganzer
Seiten dürften sich in der Neuen Westfälischen bald die gleichen Inhalte
finden wie etwa in der Hannoverschen Allgemeinen, der Leipziger
Volkszeitung oder den Lübecker Nachrichten, die wie Dutzende andere
Zeitungstitel auch vom RND beliefert werden.
## Redakteur:innen soll nicht gekündigt werden
Dessen Ex-Chefredakteur Wolfgang Büchner, heute Vize-Sprecher der
Bundesregierung, erklärte im [3][taz-Interview] schon 2018, dass sich
Regionalzeitungen durch die Arbeit des RND ihre Mantelredaktionen sparen
könnten – und stattdessen stärker auf Lokales setzen sollten. Heute
argumentiert Schrotthofer genauso: Redakteur:innen, die ihren Job bei der
Mantel-Redaktionsgemeinschaft verlieren, könnten doch künftig die
NW-Lokalredaktionen verstärken.
Denn schon heute ist klar, dass massiv Stellen wegfallen werden. Der
NW-Betriebsrat fürchtet eine „Halbierung“ der Personalstärke der
Redaktionsgemeinschaft. Der dortige „Redaktionspool“ werde „von 21 auf 13,
die Sportredaktion von 5 auf 3 Redakteurinnen und Redakteure verkleinert“,
schreibt auch Schrotthofer in einer Mail an die Belegschaft. Zwar sollten
keine Redakteur:innen gekündigt werden, erklärt er gegenüber der taz.
Im „Bereich Layout/Grafik sowie Assistenz“ seien „betriebsbedingte
Kündigungen in einer Größenordnung von zwei bis drei Stellen“ aber „nicht
auszuschließen“.
Vertraglich festgeschrieben ist davon jedoch noch nichts. Nicht umsonst
sollen bei der Verkündigung des RND-Deals am 15. November Tränen geflossen
sein, nicht umsonst war bei einer Konferenz der Redaktionsgemeinschaft Ende
November laut Protokoll „bei allen Kolleginnen und Kollegen eine massive
Verunsicherung und Beängstigung vorhanden“ – und zudem eine „große
Verärgerung“.
Völlig zu Recht habe der Betriebsrat auf regulären Sozialplanverhandlungen
bestanden, sagt nicht nur Verdi-Gewerkschaftssekretär Daniel Hirschi. Auch
der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) warnt, dass betriebsbedingte
Kündigungen vermieden werden müssten. Am Ende werde sich „auch die
SPD-eigene Medienholding ddvg als Eigentümerin der NW-Zeitungsgruppe nicht
nur am Umgang mit den betroffenen Mitarbeiter:innen messen lassen
müssen“, sagt der DJV-Geschäftsführer in NRW, Volkmar Kah, „sondern auch
daran, ob es tatsächlich um eine Umstrukturierung zugunsten redaktioneller
Ressourcen im Lokalen geht – oder doch um den Abbau journalistischer
Stellen“.
5 Dec 2023
## LINKS
[1] /Wandel-im-Lokaljournalismus/!5833590
[2] /Chefredakteur-ueber-Wandel-und-Vielfalt/!5527904
[3] /Chefredakteur-ueber-Wandel-und-Vielfalt/!5527904
## AUTOREN
Andreas Wyputta
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