# taz.de -- DGB warnt vor Tarifflucht-Folgen: 130 Milliarden Euro Schaden | |
> Der DGB wirbt für stärkere Tarifbindung und verweist auf den | |
> volkswirtschaftlichen Nutzen: Der Staat würde deutlich mehr Steuern | |
> einnehmen. | |
Bild: Die Gewerkschaft Verdi kämpft auch bei Amazon schon länger für einen T… | |
BERLIN taz | Gewerkschaften zahlen sich für Arbeitnehmer*innen aus. Im | |
Schnitt haben Beschäftigte [1][mit Tarifvertrag] pro Jahr nach Steuern | |
jährlich 3.022 Euro mehr in der Tasche als ihre Kolleg*innen, die ohne | |
Tarifvertrag arbeiten. Das Problem ist: Immer weniger Beschäftigte kommen | |
in diesen Genuss. Waren 1998 noch knapp drei Viertel aller Beschäftigungen | |
tarifgebunden, waren es vergangenes Jahr nur noch rund die Hälfte. | |
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) möchte diesen Trend umkehren und | |
startete jetzt eine Kampagne zur Stärkung der Tarifbindung. Man werde Druck | |
machen auf die politischen Akteure in den Ländern und im Bund, damit sie | |
sich für mehr Tarifbindung einsetzen, erklärte [2][DGB-Chefin Yasmin | |
Fahimi] am Montag in Berlin. „Denn der volkswirtschaftliche Schaden durch | |
die Tarifflucht der Arbeitgeber über drei Jahrzehnte hinweg ist enorm. Das | |
darf die Politik nicht länger ignorieren“, so die Gewerkschafterin und | |
SPD-Politikerin. | |
Auf jährlich 130 Milliarden Euro beziffert der DGB den Schaden, der dem | |
Fiskus und den Beschäftigten in Deutschland durch Tarifflucht hierzulande | |
entsteht. Für seine Berechnungen griff der DGB auf Daten der | |
Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamtes zurück und berechnete, wie | |
hoch die Mehreinnahmen wären, wenn alle Beschäftigten nach Tarif bezahlt | |
würden. | |
Demnach entgehen Bund, Ländern und Gemeinden jährlich 27 Milliarden Euro, | |
weil Beschäftigte weniger verdienen und folglich auch weniger | |
Einkommensteuer zahlen, wenn sie nicht nach Tarif bezahlt werden. Die | |
Sozialversicherungen haben jährlich rund 43 Milliarden Euro weniger in den | |
Kassen und die Beschäftigten insgesamt 60 Milliarden weniger Lohn oder | |
Gehalt. | |
## Im Schnitt 12 Prozent mehr Gehalt | |
„Mit Tarifverträgen gibt es mehr Freizeit, mehr Lebensqualität, aber | |
insbesondere auch höhere Gehälter“, erklärte DGB-Vorstandsmitglied Stefan | |
Körzell. Bei gleicher Tätigkeit hätten Beschäftigte mit Tarifvertrag im | |
Schnitt 12 Prozent mehr Geld in der Lohntüte – und bekämen zudem häufiger | |
Urlaubs- und Weihnachtsgeld. So erhalten 80 Prozent der Beschäftigten mit | |
Tarifvertrag am Ende des Jahres Weihnachtsgeld, ohne Tarifvertrag sind es | |
nur rund 40 Prozent. | |
Dabei gibt es bei der Tarifbindung große Unterschiede zwischen Branchen und | |
Regionen. So haben laut Zahlen des Wirtschafts- und | |
Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung in der | |
öffentlichen Verwaltung lediglich 2,1 Prozent der Beschäftigten keinen | |
Tarifvertrag, während es im Einzelhandel mit 74 Prozent rund drei von vier | |
Beschäftigten sind. Und in großen Betrieben gibt es häufiger einen | |
Tarifvertrag als in kleinen. | |
Unter den Bundesländern weist Bremen die höchste Tarifbindung aus. Dort | |
haben lediglich 35,5 Prozent der Beschäftigten keine kollektiv | |
ausgehandelten Bedingungen. In Sachsen hingegen ist Tarifbindung am | |
seltensten. Dort haben 58,2 Prozent der Beschäftigten keinen Tarifvertrag. | |
Gleichzeitig ist in dem Freistaat der Unterschied zwischen den Gehältern am | |
größten. | |
Beschäftigte ohne Tarifvertrag verdienen dort im Schnitt 4.721 Euro netto | |
weniger als ihre Kolleg*innen mit Tarifvertrag. Insgesamt beträgt der | |
Lohnunterschied in den neuen Bundesländern laut Berechnungen des DGB 3.915 | |
Euro jährlich, während es in den alten Bundesländern, wo die Tarifbindung | |
stärker ist, 2.819 Euro sind. | |
## Unternehmen soll Verantwortung übernehmen | |
„Wir fordern die Arbeitgeber auf, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung | |
wieder gerecht zu werden – und im Übrigen auch dem eigentlichen | |
verfassungsmäßigen Auftrag: mit uns gemeinsam Arbeits- und | |
Wirtschaftsbedingungen zu verabreden“, nahm DGB-Chefin Fahimi die | |
Unternehmen in die Pflicht. | |
Von der Politik forderte die Gewerkschafterin unter anderem die Umsetzung | |
der EU-Mindestlohnrichtlinie. Diese schreibt eine Tarifbindung von 80 | |
Prozent vor. Unterschreitet ein Mitgliedsstaat diese Grenze, muss er einen | |
Aktionsplan zur Förderung von Tarifverhandlungen erstellen. Dieser sollte | |
laut Vorgaben der EU einen klaren Zeitplan und spezifische Maßnahmen zur | |
schrittweisen Stärkung der Tarifbindung enthalten. Die [3][Bundesregierung] | |
hat nur noch gut ein Jahr Zeit, einen solchen Plan vorzulegen. | |
6 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Simon Poelchau | |
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