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# taz.de -- Prozess wegen Genitalverstümmelung: Der Arzt mit der Bastelschere
> Ein Frauenarzt ist angeklagt, in der Hochzeitsnacht mit einer Schere an
> seiner Frau herumgeschnitten zu haben. Ob es zum Prozess kommt, ist
> fraglich.
Bild: Ohne Angeklagten kein Prozess – Richter Serra de Oliveira hatte trotzde…
Der Vorfall ist einigermaßen bizarr und auch schon vier Jahre alt: Ein
Frauenarzt wird beschuldigt, seine Frau in der Hochzeitsnacht in Dubai mit
einer Bastelschere „operiert“ zu haben, weil ihm die Penetration nicht
gelang. Er habe wohl ohne Betäubung Teile des sogenannten Jungfernhäutchens
entfernen wollen – [1][ein Begriff, der in der Medizin mittlerweile
umstritten ist,] weil er falsche Vorstellungen weckt.
Die damals 31-jährige Frau, so heißt es in der Pressemitteilung des
Gerichts, habe dies über sich ergehen lassen, weil er mit Scheidung drohte
und sie Angst vor der Schande gehabt habe. Sie soll erhebliche Blutungen
und Schmerzen erlitten haben. Erst nach der Rückkehr nach Deutschland
zeigte sie ihn an.
Für Aufregung sorgte der Fall, als er vor zwei Jahren zum ersten Mal
öffentlich bekannt wurde, vor allem deshalb, weil in der Anklage zunächst
vom Vorwurf der Genitalverstümmelung die Rede war. Immerhin war der
Beschuldigte zu diesem Zeitpunkt noch Chefarzt für Gynäkologie und
Geburtshilfe an einer Klinik in der Nähe von Braunschweig in Niedersachsen.
Dieser Vorwurf, macht der vorsitzende Richter Pedro Serra de Oliveira
deutlich, lässt sich allerdings nicht aufrechterhalten. [2][Eine
Genitalverstümmelung,] wie sie im Gesetzestext gemeint ist oder auch von
der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert wird, zielt darauf ab,
dauerhafte Veränderungen und Einschränkungen zu produzieren. Das sei hier
nicht der Fall. Infrage kommt deshalb eine Anklage wegen schwerer
Körperverletzung. Bei der liegt der Strafrahmen aber immerhin auch zwischen
einem und zehn Jahren.
## Eine Genitalverstümmelung liegt nicht vor
Auch warum es bis zur Prozesseröffnung so lange gedauert hat, erklärt der
Richter noch einmal ausführlich. Da seien zunächst Zuständigkeiten zu
klären gewesen – Tatort war Dubai, die Anzeige wurde in Nordrhein-Westfalen
erstattet, das Verfahren wanderte anschließend noch vom Amtsgericht ans
Landgericht, wo er auch aufgrund von Überlastung, Terminschwierigkeiten und
notwendiger Nachermittlungen erst einmal liegen blieb.
Chefarzt ist der Angeklagte seit mehr als einem Jahr nicht mehr. Seine
Kündigungsschutzklage gegen den ehemaligen Arbeitgeber mündete in einem
außergerichtlichen Vergleich, [3][wie die Braunschweiger Zeitung
berichtet]. In diesem Zusammenhang ließ sich der Beschuldigte auch zum
ersten Mal inhaltlich ein: Seine Ex-Frau wolle sich rächen, soll er gesagt
haben. Gegenüber den Ermittlern im Strafverfahren schwieg er.
Seine weiteren Versuche, beruflich wieder Fuß zu fassen, seien durch die
Presseberichterstattung zum Scheitern verurteilt gewesen, beklagen seine
Verteidiger. Und das alles ohne Urteil. Dabei beruhe die Anklage
ausschließlich auf der Aussage der Ex-Frau und man könne durch Atteste
belegen, dass diese nicht verletzt gewesen sei.
## Der Angeklagte erscheint nicht
Doch zu einer Beweisaufnahme kommt es auch an diesem Montag nicht. Obwohl
das Gericht zu diesem Eröffnungstermin einiges aufgeboten hat, um die
Vorwürfe zu klären. Neben der Staatsanwältin sitzt die Anwältin der
Ex-Ehefrau als Nebenklägerin, zwei Sachverständige für ein medizinisches
und ein psychologisches Gutachten, vor der Tür wartet eine Zeugin.
Nur der Platz des Angeklagten bliebt leer. Der 53-Jährige hat ein Attest
aus einer Privatklinik in der irakischen Hauptstadt Bagdad geschickt, wo er
Familie hat. Aus diesem geht hervor, dass er aufgrund einer
Rückenverletzung nach einem Treppensturz Ende September nicht reisefähig
sei.
An diesem Attest hat der vorsitzende Richter so seine Zweifel, er hat es
sogar von der Medizinischen Hochschule auf Stimmigkeit begutachten lassen.
Den deutschen Kollegen erschien die Kombination aus Diagnose, angestrebten
Behandlungsmaßnahmen und daraus resultierender Reiseunfähigkeit nicht so
ganz schlüssig.
Auch die dem Gericht bekannten deutschen Wohnsitze des Angeklagten sind
überprüft worden, stellt der Richter ausführlich dar – der Arzt sei dort
nicht erreichbar gewesen, zum Teil schon seit Monaten nicht.
## Für die Nebenklägerin ist die Aussetzung bitter
Die Staatsanwaltschaft beantragt erwartungsgemäß einen Haftbefehl wegen
Fluchtgefahr, über den aber in dieser Verhandlung nicht entschieden wird.
Die Verteidiger argumentieren dagegen: Ihr Mandant habe ein großes
Interesse daran, die Vorwürfe aufzuklären und seinen Ruf
wiederherzustellen.
Ob es je dazu kommt, ist fraglich. Es gibt kein Auslieferungsabkommen mit
dem Irak, er müsste also schon selbst wieder einreisen und sich der
gerichtlichen Aufarbeitung stellen. Zunächst einmal wird die
Hauptverhandlung ausgesetzt.
Für ihre Mandantin ist die lange Verfahrensdauer eine Katastrophe, sagt die
Vertreterin der Nebenklägerin am Rande der Verhandlung noch. Sie leidet
immer noch unter den psychischen und familiären Folgen der Tat und möchte
endlich mit der Sache abschließen.
6 Nov 2023
## LINKS
[1] /Mythos-Jungfernhaeutchen/!5636755
[2] /Genitalverstuemmelung/!t5013518
[3] https://www.braunschweiger-zeitung.de/helmstedt/article239939344/Helmstedte…
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Gericht
Prozess
Braunschweig
Genitalverstümmelung
Medizin
Rap
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