| # taz.de -- Kavka und Giglinger über Musikfernsehen: „Das war ganz schön Pu… | |
| > Markus Kavka und Elmar Giglinger haben ein Buch über ihre Zeit bei Viva | |
| > und MTV geschrieben. Ein Gespräch über Stars, Drogen und sehr viel Spaß. | |
| Bild: Markus Kavka (links) und Elmar Giglinger vor ihrer Buchpremiere im Festsa… | |
| taz: Heutzutage muss der [1][Bild-Chefredakteur zum Drogentest.] Herr | |
| Giglinger, Sie erzählen in Ihrem Buch „MTViva liebt dich!“, dass Sie bei | |
| Viva Zwei ein Machtwort sprechen mussten: keine Drogen vor 18 Uhr. Was war | |
| da los? | |
| Elmar Giglinger: Vor allem in den späten 1990ern bei Viva Zwei wurden alle | |
| Grenzen gesprengt. Ein Drogen-Screening hätten wahrscheinlich 70 Prozent | |
| der Mitarbeiter nicht überstanden. | |
| Markus Kavka: Vielleicht auch mehr. Um elf Uhr morgens kam das Drogentaxi | |
| und dann hat man sich vorgenommen, das Zeug bis zum Wochenende aufzuheben. | |
| Der Vorsatz hat selbst an einem Freitag nicht gehalten. | |
| Wie sah der Arbeitsalltag im Musikfernsehen damals aus? | |
| Kavka: Bei Viva Zwei und auch später bei MTV gab es kaum Trennlinien | |
| zwischen Job und Privatleben. Deswegen hat sich das für uns auch nicht so | |
| angefühlt, als würden wir wie wild auf der Arbeit Drogen nehmen. Wir waren | |
| ja im Sender zu Hause und alle Freunde waren auch da. | |
| Giglinger: Wir haben alle sehr viel gearbeitet. | |
| Kavka: Heute wäre ein solches Projekt nicht mehr möglich. Das war ganz | |
| schön Punkrock. Viele der Leute, die von Anfang an dabei waren, hatten | |
| keine Vorkenntnisse, keine Fernseherfahrung. Wir hatten die Freiheit, | |
| Fehler zu machen, und mussten keine Konsequenzen fürchten. | |
| Giglinger: Es gab kein hierarchisches Denken und ich musste die | |
| Mitarbeitenden eher bremsen. Ich habe immer wieder Leute in den Urlaub | |
| geschickt, wenn ich gemerkt habe, dass sie zu viel gemacht haben oder schon | |
| länger nicht mehr zu Hause waren. | |
| Was war der [2][Sinn von Musiksendern wie Viva und MTV,] die sich in | |
| Deutschland ab den 1990er Jahren etabliert haben? | |
| Giglinger: Wir beide, die wir in den 1970er und 1980er Jahren aufgewachsen | |
| sind, waren mit einem Fernsehen konfrontiert, das nicht für junge Leute | |
| gedacht war. Diese Lücke hat Musikfernsehen besetzt. Es war das erste | |
| 24/7-Format für unter 30-Jährige. | |
| Kavka: Als MTV in den USA an den Start ging mit dieser „Video killed the | |
| radio star“-Kampagne, war das eine Ansage. Es hat die Musikindustrie | |
| fundamental verändert. Musiker wurden zu Stars, weil ihre Videos gespielt | |
| wurden. Du hattest plötzlich ein Gesicht zu den Leuten, die du nur aus dem | |
| Radio kanntest. Klar, dass es irgendwann auch Musikfernsehen auf Deutsch | |
| gab. | |
| Giglinger: Viva TV wurde überwiegend von der Musikindustrie finanziert, | |
| unter anderem von Sony und Warner. Es ging natürlich auch darum, Geld zu | |
| verdienen und Musik zu verkaufen. Ein weiterer Weg, um junge Menschen zur | |
| Musik zu bringen. | |
| Viva und später auch MTV konnte damals Hits machen. Bands wie Wir sind | |
| Helden wären ohne Musikfernsehen nie erfolgreich geworden. Wie sind Sie mit | |
| dieser Machtposition umgegangen? | |
| Giglinger: Machtposition? Nein, wirklich nicht. Ich hab mich nie mächtig | |
| gefühlt. Mir ging es darum, einen abwechslungsreichen Sender zu gestalten. | |
| Anhand dessen haben wir entschieden, was für Musik läuft. | |
| Kavka: Es ging nicht darum, sich selbst abzufeiern. Wir haben jede Woche | |
| unglaublich viele Musikvideos angesehen und natürlich auch gewusst, was es | |
| für eine Tragweite hatte, wenn etwas auf Rotation ging. Das haben wir nicht | |
| als Macht begriffen, sondern als Aufgabe. Und die haben wir sehr ernst | |
| genommen. | |
| Gab es damals Bestechungsversuche durch Bands oder Labels? | |
| Giglinger: Ich wäre da ja lange Jahre der richtige Ansprechpartner gewesen, | |
| aber habe nicht einen Bestechungsversuch aus der Industrie oder von | |
| Künstlern erlebt. Was gespielt wurde und was nicht, haben wir in Meetings | |
| immer demokratisch abgestimmt. Ein Redakteur hatte wohl mal von einem | |
| Promoter mehrere Tausend Euro angeboten bekommen. Und natürlich gab es | |
| viele Geschenke, Produktionskostenzuschüsse und wir wurden ständig in teure | |
| Restaurants oder auf schicke Reisen eingeladen, um Künstler kennenzulernen. | |
| Hat das meine Entscheidungsfindung beeinflusst? Definitiv nein. | |
| Pressereisen, um Musiker auf der ganzen Welt zu treffen, waren damals an | |
| der Tagesordnung. Nicht sehr nachhaltig. | |
| Kavka: Ich bin permanent für irgendein halbstündiges Interview irgendwo | |
| hingeflogen worden und kann mich heute an keine der Bands erinnern. Man hat | |
| dann drei Tage im Hotel gewohnt, ist teilweise Businessclass geflogen. Es | |
| wurde sehr viel Geld verpulvert. | |
| Giglinger: Nach drei Monaten bei MTV hatte ich schon die Senatorenkarte bei | |
| Lufthansa. Dafür muss man verdammt viel fliegen. | |
| Kavka: Hätte es keine Digitalisierung gegeben, dann wäre die Musikindustrie | |
| wahrscheinlich irgendwann krachen gegangen. Man hätte die ganzen Wege nicht | |
| mehr zurücklegen können. Es hat sich irgendwann normalisiert. | |
| Ihr Buch bleibt eher unkritisch. [3][Nils Ruf war zum Beispiel für misogyne | |
| Witze in seiner Show] „ Kamikaze“ auf Viva Zwei bekannt. Eine halbnackte | |
| Frau, das „Kamikäzchen“, lag neben ihm und durfte nicht sprechen. Das wird | |
| zwar thematisiert, aber nicht kritisiert. Warum? | |
| Giglinger: Wir haben im Buch vermieden, mit dem heutigen Blickwinkel | |
| draufzugucken. Das „Kamikäzchen“, an dem ich mit beteiligt war, wäre heute | |
| undenkbar. Damals ging es um Freiheit. Wir wollten der Gesellschaft einen | |
| Spiegel vorhalten. Es war ein Kommentar auf all die gut aussehenden Frauen, | |
| die bei privaten Fernsehsendern maximal Nummern drehen durften. Wir wollten | |
| das überspitzen. Das war schon ein ganz klares Augenzwinkern. | |
| Na ja. | |
| Giglinger: Wir wollten die damals recht engen Grenzen des spießigen | |
| Fernsehens neu definieren. Das war auch der Grundgedanken für „Kamikaze“. | |
| Oft waren die Moderationen von Nils Ruf aber nicht gut vorbereitet und nur | |
| noch platt und sexistisch. Das hat mir damals schon nicht gefallen. | |
| Kavka: Es gab viele Momente, die damals ein krasses Unbehagen in mir | |
| ausgelöst haben. Das war teilweise überhaupt nicht mein Humor. Nils Ruf war | |
| ein Teil des Viva-Zwei-Gedankens. Wie weit können wir gehen? | |
| Giglinger: Charlotte Roche lief im gleichen Programm und war der | |
| Gegenentwurf zu Ruf. Sie hat damals schon öffentlich feministische | |
| Positionen vertreten, über die im Fernsehen noch niemand nachgedacht hat. | |
| Bei Viva und MTV gab es über die Jahrzehnte immer Shows, die über Musik | |
| hinausgingen, von Stefan Raab bis Christian Ulmen. Aber mit der Zeit wurde | |
| die Musik immer weniger. Dafür gab es plötzlich Serien wie „Jackass“ oder | |
| „Pimp my Ride“. Warum der Wandel? | |
| Giglinger: Bis Anfang der Nullerjahre war das Musikfernsehen die natürliche | |
| Heimat des Musikvideos. Das hat sich durch das Internet verändert. Man | |
| konnte einfach direkt auf die Homepage eines Künstlers oder auf Youtube | |
| gehen. Darum mussten wir mehr eigene Inhalte produzieren. | |
| Kavka: Für mich waren musikalische Inhalte immer das A und O bei meiner | |
| Arbeit in Musikfernsehen. Gleichzeitig fand ich die Entwicklung total | |
| spannend. | |
| Giglinger: Die Formate, die Anfang, Mitte der Nullerjahre kamen, die waren | |
| ja wirklich stilprägend. Die erste Reality Show mit Ozzy Osbourne und | |
| seiner Familie – so was gab es vorher nicht. Irgendwann wurden die Formate | |
| aber immer trashiger. | |
| Kavka: Es waren nur noch Kopien der Kopien. | |
| Giglinger: „Jackass“ gucke ich mir heute immer noch an. | |
| Viva gibt es seit 2018 nicht mehr, MTV führt ein Nischendasein. Woran ist | |
| Musikfernsehen letztlich gescheitert? | |
| Giglinger: Es wurde nicht in die digitale Transformation investiert, obwohl | |
| alle wussten, wie wichtig das ist. Auch die Inhalte wurden immer | |
| unkreativer und ab 2008 massiv zusammengekürzt. 2007 war MTV noch unter den | |
| weltweit fünf beliebtesten Jugendmarken der Welt, drei Jahre später ist es | |
| schon gar nicht mehr in der Liste aufgetaucht. Das muss man erst mal | |
| schaffen. Die Konzernspitze in New York hat nicht mehr an Musikfernsehen | |
| geglaubt. | |
| Kavka: Gleichzeitig war die Musikindustrie als unser Hauptwerbetreibender | |
| auch in einer finanziellen Krise. | |
| Herr Kavka, Sie sind dem Musikfernsehen trotz des Relevanzverlusts bis | |
| heute treu und moderieren beim Sender Deluxe Music. Warum eigentlich? | |
| Kavka: Mir macht es immer noch wahnsinnig viel Spaß, vor der Kamera zu | |
| stehen, über Musik zu reden, Leute zu interviewen. Ich bin damals wie heute | |
| Musikjournalist. Der Ausspielkanal für meine Arbeit ist mir erst mal latte. | |
| Lustig ist aber in dem Zusammenhang, dass meine Sendungen genau in dem | |
| Studio in Berlin produziert werden, in dem ich bis 2008 für MTV vor der | |
| Kamera stand. Teilweise sind sogar die gleichen Leute da. Der Praktikant | |
| von damals ist jetzt der Regisseur. Es gibt eine krasse Vertrautheit. Aber | |
| es ist auch ein bisschen schräg, da hinzukommen und jedes Mal eine kleine | |
| Zeitreise zu machen. | |
| 30 Oct 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.sueddeutsche.de/medien/bild-chefredakteur-drogentest-1.5712604 | |
| [2] /40-Jahre-MTV/!5786270 | |
| [3] /Niels-Ruf-mal-wieder-im-Free-TV/!5183314 | |
| ## AUTOREN | |
| Johann Voigt | |
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