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# taz.de -- Therapeutin zu Gewalt in Queer-Beziehungen: „Ein Mantel des Schwe…
> Die Beratungsstelle „Gewaltfreileben“ unterstützt Menschen bei Gewalt in
> queeren Beziehungen. Leiterin Constance Ohms über verinnerlichte
> Queerfeindlichkeit.
Bild: Queeres Paar in Berlin
taz: Frau Ohms, gibt es in queeren Beziehungen genauso viel Gewalt wie in
heterosexuellen?
Constance Ohms: Dazu können wir wenig sagen, weil es keine validen Zahlen
gibt. Die Auswertung des Bundeskriminalamts für [1][häusliche Gewalt] ist
da unzulänglich. Schauen wir die Zahlen der eingetragenen
Lebenspartnerschaften an, dann sind es pro Jahr circa 400 bei der Polizei
registrierte Fälle. Wir haben etwa 8 Fälle pro Woche nur auf diese
eingetragene Lebenspartnerschaft bezogen, nicht auf Eheleute, nicht auf
langjährige Beziehungen ohne Rechtsinstitut. Außerdem gibt es Beziehungen,
die nach außen heterosexuell wirken, bei denen es sich beispielsweise um
zwei Menschen handelt, die sich als nicht-binär definieren. Das bedeutet,
es gibt ein immenses Dunkelfeld. Nach wie vor gehen queere Menschen sehr
selten zur Polizei, auch bei häuslicher Gewalt.
Wieso wenden sich queere Menschen ungern an die Polizei?
Die Polizei hat sich in den letzten 50 Jahren massiv weiterentwickelt. In
nahezu jedem Polizeipräsidium gibt es jetzt [2][Ansprechpartner*innen]
für queere Personen. Aber auf den Revieren, wenn man Anzeigen aufgibt oder
den Notruf holt, dann können wir nicht davon ausgehen, dass die
Beamt*innen immer geschult und sensibel sind. Und die rechten Netzwerke,
die bei der Polizei bekannt werden, sind ein Indiz für queere Menschen,
dass sie dort nicht gut aufgehoben sind.
Wir haben oft dieses Muster im Kopf: In unserer patriarchalen Welt sind
Männer Täter und Frauen die Opfer. Dieses Muster lässt sich oft nicht auf
queere Beziehungen anwenden. Wie wird hier Gewalt in
partner*innenschaftlichen Beziehungen erklärt?
Erst mal muss man sich von der Geschlechtlichkeit als Erklärungsansatz
loslösen. Das wird umso sichtbarer und deutlicher, wenn wir über
nicht-binäre oder über trans Beziehungskonstellationen reden oder trans
nicht-binäre Personen und so weiter. Stattdessen müssen wir uns die Dynamik
genau anschauen, die zu diesen gewaltförmigen oder dann gewalttätigen
Beziehungskonstellationen geführt hat. Ein wesentlicher Aspekt in diesen
Dynamiken ist die verinnerlichte Homo-, Bi-, Trans- oder
[3][Queer-Feindlichkeit]. Sie kann sich in Verunsicherungen, Scham zeigen,
beispielsweise lesbisch zu sein, oder in Schuldgefühlen, zum Beispiel nicht
das perfekte Kind zu sein. Die verinnerlichte Ablehnung des eigenen Seins
kann zur Ausübung von Gewalt oder gewaltförmigen Verhalten führen, oder
auch dazu, sie zu erleben und lange auszuhalten.
Die Antriebsfeder ist also eine andere, aber ähneln sich die Dynamiken der
Gewalt trotzdem?
Es stehen andere Möglichkeiten zur Verfügung, Macht, Herrschaft oder Druck
auszuüben, beispielsweise, indem ich androhe eine Person zu outen. Aber es
gibt auch das Muster der sogenannten Misshandlungsbeziehung. Das heißt,
dass es eine Person gibt, die Gewalt ausübt und eine Person, die diese
Gewalt erlebt. Ein wesentliches Merkmal für das Gewalterleben ist meiner
Meinung nach immer noch die Angst. Ich frage prinzipiell alle Klient*innen,
ob sie in der Situation Angst gespürt haben. Solange das nicht der Fall
ist, sprechen wir noch nicht von Gewalt, sondern da sind zwei im Streit.
Bei hetero-cis-Männern setzt man in der Therapie auf alternative
Konfliktlösungsstrategien. Ist das bei queeren Täter*innen gleich?
Für mich ist das etwas anderes, ob ich bei Täter*innen über
verinnerlichten Selbsthass rede oder ob ich mit Männern über
Männlichkeitsbilder rede, die Gewalt per se beinhalten. Das sind zwei ganz
verschiedene Sachen. Bei vielen queeren Täter*innen erleben wir einfach
diesen Selbsthass und diese Verunsicherung in der Identität. Zudem spiegelt
das Gegenüber diese Verunsicherung. Das sind ganz andere Ausgangspunkte,
deshalb würde ich da grundsätzlich anders ansetzen. Aber was gleich ist und
gleich sein muss, ist, dass die Verantwortung für das eigene Handeln
übernommen wird. Das ist eine Grundvoraussetzung.
Dieser durch Queerfeindlichkeit entstandene Selbsthass spielt vermutlich
auch eine Rolle bei der Behandlung von gewaltbetroffenen Personen.
Ja, hier stellen sich nur andere Fragen, beispielsweise: „Warum bin ich so
lange geblieben?“ Man wünscht sich eine Liebesbeziehung und setzt die um
fast jeden Preis durch, bis es nicht mehr geht. Das hat auch viel mit einem
verinnerlichten, negativen Selbstbild zu tun und der Angst, keine neu*e
Partner*in zu finden.
Das klingt aber auch sehr nach hetero-romantischer Zweierbeziehung.
Dieses romantische Bild von Mann, Frau, Liebe fürs Leben, ist ein sehr
heterosexistisches Bild. Bei lesbischen, schwulen oder nicht-binären
Menschen ist es etwas anderes. Die queeren Communitys werden als sehr
begrenzt wahrgenommen. Also, wenn ich es kapitalistisch formuliere, die
Marktverfügbarkeit ist viel eingeschränkter. Daraus entstehen Ängste, am
Ende allein dazustehen. Bei vielen Hetero-Frauen ist zudem noch eine große
ökonomische Abhängigkeit gegeben. Allerdings können in Homo- oder
Queeren-Beziehungen auch Abhängigkeiten hergestellt werden, beispielsweise
über finanzielle oder soziale Ungleichheit oder den Aufenthaltsstatus. Das
Muster, Ungleichheiten in Abhängigkeiten umzuformen, ist insofern gleich.
Es gibt eine Handvoll queere Beratungsstellen in Deutschland, die die
Expertise besitzen zu Beziehungsgewalt zu beraten. Wie gut sind denn
Frauenberatungsstellen geschult im Umgang mit queeren Menschen und
Beziehungen?
Frauenberatungsstellen und Opferhilfen verweisen, sobald sie das Wort queer
oder lesbisch hören, häufig an uns. Ich bin auch in Gesprächen mit
Frauenschutzhäusern. Sie diskutieren, inwiefern sie sich öffnen für trans
oder nicht-binäre Personen, die als weiblich gelesen werden. Frauenhäuser
müssen sich nicht erzwungenermaßen für queere Menschen öffnen, aber sie
müssen ihre Entscheidung sichtbar machen, damit wir damit arbeiten können.
Denn was im Moment geschieht, ist, dass ein Mantel des Schweigens
darübergelegt wird. In der Konsequenz bedeutet das, dass wir unbedingt
eigene Schutzeinrichtungen brauchen.
Bisher gibt es keine Schutzeinrichtungen für queere Personen?
Inzwischen gibt es Wohneinrichtungen in der Jugendhilfe für queere
Jugendliche und Wohneinrichtungen für geflüchtete queere Menschen. Wir
haben aber noch kein Schutzhaus für queere Menschen, die von Gewalt in
ihrer Partner*innenschaft betroffen sind. Das wäre wichtig, damit
schutzbedürftige queere Menschen einen Ort haben, an dem sie sich frei
entfalten können und sie geschützt sind von Diskriminierung durch andere
Bewohner*innen und Mitarbeitenden.
6 Oct 2023
## LINKS
[1] /Expertin-ueber-haeusliche-Gewalt/!5943595
[2] /Vorlage-auf-Innenministerkonferenz/!5941192
[3] /Queerfeindlichkeit-im-Netz/!5949678
## AUTOREN
Fides Schopp
## TAGS
Queer
häusliche Gewalt
Diskriminierung
Beratung
Schleswig-Holstein
Christopher Street Day (CSD)
Schwerpunkt LGBTQIA
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