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# taz.de -- Kinofilm über Groundhopping: Suchspiel im Stadion
> In „Wochenendrebellen“ will ein Fußballverein von einem autistischen Kind
> erobert werden. Das lässt Fußballherzen schlagen – höher als so manches
> Ligaspiel.
Bild: Einschwörungskreis als Problem: Eintracht Braunschweig fällt auch aus a…
Große Gefühle kommen beim Fußballgucken nur noch selten auf. Selbst den
treuesten Fans fällt es schwer, sie noch zu spüren vor lauter Geld und
Machtspielen. Aber die Sehnsucht bleibt. Großer Fußball und Gefühle. Geht
das gar nicht mehr zusammen? Doch! Aber dafür muss ein kleines Wunder
passieren.
[1][Das Wunder heißt „Wochenendrebellen“], dauert 109 Minuten inklusive
Nachspielzeit, beruht auf einer wahren Geschichte und lässt uns die
Fußballwelt auf einmal mit ganz anderen Augen sehen. Jason ist zehn Jahre
alt, Autist und zunächst gar nicht am Fußball interessiert, sondern vor
allem an den Sternen. Er weiß mehr über Astronomie als manche Professoren.
Aber weil er anders ist als die anderen, hat Jason Probleme in der Schule.
Die ungewollte Versetzung an eine Förderschule droht. Auch das
Familienleben ist nicht einfach. Weil Vater Mirco dauernd beruflich
unterwegs ist, muss sich Mutter Fatime unter der Woche allein um Jason
kümmern. Freitags sind alle am Ende ihrer Kräfte.
Der Familienrat tagt und sucht nach Wegen zur Entspannung. Zum Glück hat
Jason einen Wunsch, der sich erfüllen lässt – allerdings nur auf sehr, sehr
weiten Wegen. Angespornt von Opa Gerd, der zu dem sozial kompatibleren
Hobby Fußball rät, entwickelt Jason Interesse und beschließt Fan zu werden.
Aber nicht von dem nächstbesten Klub. Er will vorher alle Profivereine
testen. Ja, alle, von der 1. bis zur 3. Liga.
## Wie ein kitschiges Märchen
Schnell steht der Deal: Vater Mirco verspricht, mit Jason auf Tour durch
Deutschlands Stadien zu gehen. Jason verspricht, alles zu versuchen, um
weniger im Unterricht zu stören, damit er auf seiner Schule bleiben kann.
Und es geht gut los. Die Vorfreude auf die Wochenenden hilft. Vater und
Sohn verbringen endlich mehr Zeit zusammen, die Mutter hat endlich auch mal
Zeit für sich. Und obwohl Jason und Mirco immer mit der Bahn fahren, kommen
sie zu allen Spielen pünktlich.
Klingt wie ein kitschiges Märchen, ist aber keins. Die Suche nach dem
Lieblingsklub bleibt eine große Anstrengung, die mit allen Rückschlägen
gezeigt wird, bis zum Fall in ein verdrecktes Stadionklo. Ein
Hindernislauf, den sich Nicht-Autisten kaum vorstellen können. Eigentlich
sind volle Stadien nämlich nichts für Jason. Er meidet normalerweise Lärm,
hat Angst vor Berührungen und leidet schnell an Reizüberflutung. Aber für
das große Ziel überwindet er sich jede Woche, gewöhnt sich an die
Atmosphäre und lernt sie sogar schätzen.
Die erstaunliche Entwicklung wirkt glaubwürdig, wahrscheinlich auch
deshalb, weil der echte Jason und sein Vater an der Produktion [2][des
Films von Marc Rothemund] beteiligt waren und in Nebenrollen kurz
auftauchen. Die zunehmende Begeisterung des Kindes in den stimmungsvollen
Stadien mit ihren Hymnen, Fahnen und meist erfreulich freundlichen
Platznachbarn lässt jedes Fußballherz höher schlagen. Ach Gott, ja, so
gesehen, mit Jasons Augen, ist der ganze Zirkus trotz aller
Kommerzialisierung doch immer noch sehr schön. Die Ergebnisse sind egal, es
geht um das gemeinsame Erlebnis.
Aber Jasons Kriterien für den Lieblingsklub sind schwer zu erfüllen: keine
Nazis, kein albernes Maskottchen, nicht zu viel Müll, nicht zu viele bunte
Schuhe. Nürnberg, Berlin und Dortmund scheiden da schnell aus. Auch wenn
„You’ll never walk alone“ beim BVB natürlich ideal zu dieser rührenden
Vater-Sohn-Geschichte passen würde. Aber so leicht macht es sich dieser
Film nicht. Weil das Leben komplizierter ist. Nicht nur für Jason.
Der Weg zum Lieblingsklub ist weit, der zum Lieblingsfilm ist nah. Man muss
nur ins Kino gehen.
9 Oct 2023
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Wochenendrebellen
[2] https://www.filmstarts.de/personen/103326/filmo/
## AUTOREN
Lukas Wallraff
## TAGS
Fußball-Bundesliga
Autismus
Profi-Fußball
Autismus
Filmrezension
Braunschweig
Panini
Mesut Özil
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