# taz.de -- Mediziner über Mücken: „Für das Ökosystem unverzichtbar“ | |
> Von Haus- bis Tigermücke – die Blutsauger befinden sich für dieses Jahr | |
> im Endspurt. Und übertragen immer mehr Krankheiten, sagt Mediziner Jonas | |
> Schmidt-Chanasit. | |
Bild: Asiatische Tigermücken im ZALF in Müncheberg | |
taz: Herr Schmidt-Chanasit, wie lange haben Stechmücken noch Saison? | |
Jonas Schmidt-Chanasit: Das hängt von den Außentemperaturen ab, aber meist | |
bis Mitte Oktober. Denn so lange legen Stechmückenweibchen ihre Eier ab. | |
Für deren Produktion benötigen sie bestimmte Eiweiße, die sie nicht selbst | |
produzieren können. Da sich diese Eiweiße im Blut vieler Lebewesen | |
befinden, stechen die weiblichen Mücken zu. Und zwar so lange, bis | |
männliche Mücken im Herbst aussterben und eine Befruchtung nicht mehr | |
stattfinden kann. Weibchen schwärmen dann verstärkt in Innenräume, um einen | |
Ort zum Überwintern zu finden. Sie stechen dann aber nicht mehr. | |
Können heimische Stechmücken Krankheiten übertragen? | |
Leider ja. Das ist etwas, das sich in Deutschland grundsätzlich verändert | |
hat. Während [1][ein Mückenstich] früher meist harmlos ausging, zirkuliert | |
seit 2018 in Ostdeutschland zum Beispiel das West-Nil-Virus, das von der | |
heimischen Hausmücke vor allem im Spätsommer übertragen wird. Das | |
West-Nil-Virus gelangte ursprünglich durch Zugvögel oder infizierte | |
Stechmücken aus Afrika nach Europa und ist hier heimisch geworden. Wenn | |
hier nun eine Stechmücke zuerst einen infizierten Vogel und dann einen | |
Menschen sticht, dann kann eine Übertragung stattfinden. Seit 2019 wurden | |
die ersten menschlichen Infektionen mit dem West-Nil-Virus in Deutschland | |
registriert. Es handelte sich zwar um Einzelfälle, aber da nur etwa ein | |
Fünftel der Betroffenen Symptome zeigt und nur etwa einer von 100 | |
Infizierten schwer erkrankt, ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. | |
Wie macht sich eine West-Nil-Virus-Infektion bemerkbar? | |
In den allermeisten Fällen zum Glück gar nicht. 20 Prozent der Infizierten | |
entwickeln eine fieberhafte, grippeähnliche Erkrankung, die drei bis sechs | |
Tage andauert. Bei jedem zweiten von ihnen ist ein Hautausschlag am Körper | |
zu beobachten. In den sehr seltenen schweren Erkrankungsfällen kann es zu | |
einer Gehirnentzündung kommen. Meist heilt das West-Nil-Fieber aber | |
komplikationslos ab. | |
Wie ist es mit den nicht-heimischen Stechmücken, welche Erkrankungen | |
übertragen sie? | |
Seit 2007 sind in Deutschland drei invasive Stechmücken-Arten entdeckt | |
worden. Die Asiatische Tigermücke, die Japanische und die Koreanische | |
Buschmücke. Während die zwei zuletzt genannten eher weniger Potential | |
haben, Erreger auf Menschen zu übertragen, stellt die [2][Asiatische | |
Tigermücke] tatsächlich ein größeres Risiko dar. Man geht davon aus, dass | |
die Tigermücke mehr als 20 humanpathogene Viren übertragen kann, darunter | |
Dengue-, Chikungunya- und Zika-Viren. | |
Wo lebt die Tigermücke in Deutschland und was braucht es für eine | |
Übertragung? | |
Die Tigermücke hat sich von Frankfurt bis nach Freiburg im gesamten | |
Rhein-Gebiet ausgebreitet und ist auch in Berlin nachgewiesen worden. Wenn | |
ein Reiserückkehrer ein exotisches Virus mit nach Deutschland bringt und | |
dann von der Tigermücke gestochen wird, dann kann eine Übertragung auf | |
andere Menschen stattfinden. In Frankreich und Italien hat es solche Fälle | |
schon gegeben. In Deutschland wird es natürlich keine großen Ausbrüche mit | |
tausenden von Infektionen geben, da dafür einfach die heiße Zeit des | |
Sommers zu kurz ist. Aber dass die Tigermücke hierzulande Krankheitserreger | |
übertragen wird, das ist nur eine Frage der Zeit. Ich rechne fest damit, | |
dass sich die Tigermücke in ganz Deutschland ausbreiten wird. | |
Mückenschutz wird also an Bedeutung gewinnen. Welche Maßnahmen empfehlen | |
Sie? | |
Erstens lange Kleidung und Mückensprays, welche übrigens auch gegen Zecken | |
wirksam sind. Aber nicht jedes Mückenspray schützt gleich gut. Der | |
wirksamste Inhaltsstoff ist Diethyltoluamid, kurz DEET. Er wirkt über den | |
Geruch abschreckend auf Blutsauger, so dass diese gar nicht erst | |
näherkommen. Ähnlich wirksam sind Icaridin und der pflanzliche Stoff | |
Citriodiol. Zweitens ist es natürlich wichtig zu wissen, dass die Hausmücke | |
während der Dämmerung und in der Nacht zusticht, während die Tigermücke zu | |
jeder Zeit aktiv ist. Tagsüber ist man also vor einer Übertragung des | |
West-Nil-Virus im Regelfall relativ sicher. Drittens muss auch die | |
professionelle Stechmückenbekämpfung in Deutschland intensiviert werden. | |
Denn das Problem wird uns über die nächsten Jahrzehnte begleiten. | |
Schwellen Stiche der Tigermücke eigentlich stärker an als die der | |
heimischen Hausmücke? | |
Nein, dafür gibt es keine Hinweise. Es kommt zwar vor, dass Mückenstiche | |
großflächig anschwellen. Das liegt dann aber nicht an der Mückenart, | |
sondern an einer sehr starken Immunantwort auf Eiweiße im Mückenspeichel. | |
Die Gründe für solche Stichreaktionen sind komplex und bisher nicht | |
abschließend geklärt. Diskutiert wird, ob beispielsweise | |
Umweltverunreinigungen eine Rolle spielen. Aus den Tropen ist etwa bekannt, | |
dass, wenn Mücken in Slums brüten, wo es keine geordnete Abfallversorgung | |
gibt, Stichreaktionen heftiger ausfallen. Möglich ist außerdem, dass, wer | |
nur selten gestochen wird, stärker reagiert – mit der Zeit also eine Art | |
Gewöhnung eintritt. | |
Lässt sich starken Schwellungen vorbeugen? | |
Ja, das geht gut mit einem Hitzestift, auch Stichheiler genannt. Der | |
Hitzestift erwärmt sich auf 50 Grad und wird dann für wenige Sekunden auf | |
die Einstichstelle gedrückt. Dadurch werden Eiweiße im Mückenspeichel | |
zerstört, bevor das Immunsystem auf den Stich reagiert. Die Anwendung hilft | |
übrigens auch gegen normalen Juckreiz nach einem Mückenstich. | |
Haben Stechmücken eigentlich auch ihre guten Seiten? | |
Absolut. Stechmücken sind für das Ökosystem unverzichtbar. Sie ernähren | |
sich von Pflanzensäften und Blütennektar und zählen daher auch zu den | |
Bestäubern, welche sicherstellen, dass die Pflanzenwelt fortbesteht und | |
ihre Vielfalt erhalten bleibt. Außerdem sind Stechmücken eine wichtige | |
Nahrungsquelle für Vögel, Fische und Amphibien. Wenn es darum geht, die | |
Verbreitung von Stechmücken einzudämmen, um Krankheitsausbrüche zu | |
verhindern oder abzumildern, dann müssen die Maßnahmen zielgerichtet, | |
umweltverträglich und nachhaltig sein. Gar keine Stechmücken sind eben auch | |
keine Lösung. | |
15 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Verena Fischer | |
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