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# taz.de -- Die Wahrheit: Randvoll beim Hosenheiligen
> Tagebuch einer Phobikerin: Die beeindruckende Kulisse Venedigs rührt bei
> empfindsamen Reisenden an tiefsitzenden Ängsten.
Venedig, La Serenissima, die Heiter-Gelassene. Und mittendrin das
heiter-gelassene Wahrheit-Team „P & P“ auf Kulturreise. Bis zu dem Moment,
in dem Kollege P. das Betreten der Kirche San Pantaleone verweigert,
irgendwas mit Angora-Phobie. Angst vor Wolle? Stammt die nicht von
Kaninchen? Oder doch von Lämmern? Fürchtet er das wollige Lamm Gottes?
„Nix Angora. Agora!“, klärt P. auf. In seinem Fall ist es die Angst vor
hohen, geschlossenen Räumen. Der Himmel in Form eines mit „Martyrium und
Apotheose des San Pantalon“ bemalten Kirchengewölbes könnte ihm auf den
Kopf fallen. Jedenfalls übte der Künstler mit düsterem Barockdekor schon
mal Rache für den Schutzheiligen des Beinkleides – auf Venezianisch heißt
der knapp „San Pantalon“ – durch dessen sakrale Hallen zukünftig Tourist…
mit nackten Waden trampeln würden.
„Ich hab’ Trypanophobie! Angst vor Spritzen!“, versuche ich mitzuhalten,
worauf P. zu den in seiner Jugend erlittenen Schäden überleitet: Dreimal
aufs Kinn geknallt, alle Phasen moderner Gesundheitsfürsorge miterlebt,
erst genäht, dann geklammert und schließlich geklebt. Zur Krönung noch ein
paar Zähne ausgeschlagen und die Lippe gespalten. Während er vom
Krankenhaus zum Zahnarzt gefahren wurde, blieb die Kanüle sicherheitshalber
in der Armbeuge.
Ein Wort wie „Kanüle“ setzt bei mir unkontrollierbare Reaktionen frei, doch
P. biegt unaufhaltsam auf die Zielgerade: „… und dann musste mir eine
Röntgenplatte in den Kiefer geschoben werden. ‚Halten Sie das mal fest‘,
sagte die Arzthelferin, klappte den Kanülenarm zusammen und führte meine
Hand zum Mund.“ An dieser Stelle bin ich leider nicht mehr in der Lage, ihn
aus Rache unter die Kirchendecke des Hosenheiligen zu zerren, auf dass
geflügelte Monster auf ihn herabstoßen und ihn mitsamt Kanüle von dannen
tragen, denn ich verliere das Bewusstsein.
Die Wiederbelebung erfolgt mit mehreren Gin Tonics, anhand derer ich P.
meine Relativitätstheorie erläutere. Man nimmt einen Gin Tonic, fügt sehr
viel Eis hinzu, was relativ gesehen den Alkohol reduziert. P. behauptet
völlig unwissenschaftlich, das sei Quatsch, es steigere nur die
Flüssigkeitsmenge. „In dem Film ‚Insignificance‘ von Nicholas Roeg erkl�…
Marilyn Monroe Albert Einstein seine eigene Relativitätstheorie! Mit einem
Luftballon!“, versuche ich es beharrlich weiter. P. ist nicht überzeugt,
also Themenwechsel zu der Geschichte eines Freundes, der mal meinen alten
Morris Minor Traveller zur Reparatur auseinandernahm. Unter einer Fußmatte
fand er einen Knopf, ließ sein Werkzeug fallen und rief seine Frau an. Sie
kam, um ihn zu erlösen, er litt unter einer Knopfphobie.
Randvoll mit Kunst, Kultur, Getränk und interessanten Ängsten sitzen wir im
Sonnenuntergang und betrachten verträumt das Treiben auf dem Canale. „Wenn
die Gondeln Phobiker tragen“, sinniert P. Ich werfe heiter-gelassen noch
einen Eiswürfel in meinen Gin Tonic.
28 Sep 2023
## AUTOREN
Pia Frankenberg
## TAGS
Venedig
Reisen
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Psychologie
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