# taz.de -- Wilder Trucker-Streik in Gräfenhausen: Hoffen auf Geld und Dominoe… | |
> Rund 100 streikende Lkw-Fahrer harren in Gräfenhausen aus und warten auf | |
> ihren Lohn. Die Spedition ist nicht verhandlungsbereit. Die Solidarität | |
> hoch. | |
Bild: Die Unternehmensgruppe Mazur soll den Fahrern rund eine halbe Million Eur… | |
BERLIN taz | Zwei Männer mit Cowboyhüten stehen auf der Ladefläche eines | |
Lkw und spielen auf ihren Countrygitarren. Ab und an kommen | |
Musiker*innen auf dem Rastplatz Gräfenhausen in der Nähe von Frankfurt | |
am Main vorbei und geben ein kleines Überraschungskonzert. Sie wollen damit | |
ihre Solidarität zeigen für rund 100 Lkw-Fahrer aus Usbekistan, Kasachstan, | |
Tadschikistan, der Ukraine und der Türkei. Seit über sechs Wochen fordern | |
sie mit einem „wilden Streik“ ihren ausstehenden Lohn ein. [1][Es ist der | |
längste bekannte Streik von Truckern in Europa.] | |
Begonnen hatten den Protest vier Trucker [2][am 18. Juli dieses Jahres]. | |
Sie knüpften an einen ähnlichen Streik im April auf der gleichen Raststätte | |
an. Von da an stieg die Zahl der blauen Lkws kontinuierlich auf dem Platz | |
an. Die Fahrer arbeiten für die polnische Unternehmensgruppe Mazur, zu der | |
die Firmen Lukmaz, Agmaz und Imperia mit einer Flotte von rund 1.000 Lkws | |
gehören. Insgesamt sollen sie den Fahrer*innen rund eine halbe Million | |
Euro an Lohn schulden. Viele warten auf zwei Monatslöhne, bei anderen sind | |
es sieben oder acht – und damit Beträge in Höhe von mehreren tausend Euro. | |
Die Unternehmen bestreiten das und verweigern Verhandlungen. | |
Seit dem 31. August haben die Lkw-Fahrer etwas mehr Geld in der Tasche. Das | |
Geld kam von einer österreichischen Spedition, die auf Waren wartete, die | |
Fahrer in Gräfenhausen geladen hatten. Als Anzahlung auf die ihnen | |
ausstehenden Löhne händigte ein Vertreter des Unternehmens in Gräfenhausen | |
20.000 Euro Bargeld aus. Im Gegenzug erhielt er die Ladung eines Anhängers. | |
Das Geld teilten die rund 100 Trucker vor Ort unter sich auf, wie Anna | |
Weirich von der Beratungsstelle Faire Mobilität der taz sagte. | |
Für Weirich, die – als die taz sich bei ihr meldet – wieder einmal auf der | |
Raststätte steht, um die Fahrer zu unterstützen, ist das ein erster Erfolg. | |
„Wir hoffen, dass andere Unternehmen in der Lieferkette dem Beispiel folgen | |
werden.“ Man sei mit einigen Firmen im Gespräch. Konkreter will Weirich | |
nicht werden. | |
## 20.000 Euro in bar | |
Eine Woche später dann der zweite Erfolg: Am Donnerstag, 7. September, | |
zahlt ein österreichisches Transportunternehmen erneut 20.000 Euro in bar | |
aus und erhält dafür seine in Gräfenhausen gestrandete Ware. „Damit ist ein | |
weiteres Unternehmen seiner Pflicht nachgekommen, die Verantwortung für | |
Arbeitsbedingungen und Zahlungen zu übernehmen, wo Subunternehmer das | |
versäumen“, sagt Weirich der taz. | |
Am 19. August hatten die Fahrer*innen Namen von Firmen und Marken | |
öffentlich gemacht, deren Waren sie geladen haben oder die als | |
Logistikunternehmen an der Lieferkette beteiligt sind. Darunter sind | |
Porsche, Audi, VW, DHL, der Möbelhändler Poco, der Energydrinkhersteller | |
Redbull und die Baumärkte Obi und Bauhaus. Auch Ikea wurde in dem | |
Zusammenhang genannt. | |
[3][Nach dem deutschen Lieferkettengesetz] müssen hiesige Firmen seit | |
Januar für den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt in den Lieferketten | |
sorgen – und zwar vom Rohstoff bis zum fertigen Verkaufsprodukt. Verstöße | |
können beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) gemeldet | |
werden. Das Bafa teilte der taz auf Anfrage mit, dass von Januar bis Anfang | |
August 14 Beschwerden eingegangen seien. Gegen welche Unternehmen, das | |
wollte das Bafa nicht sagen. | |
## Unwissenheit schützt nicht vor Verantwortung | |
Die beschuldigten Unternehmen wiesen gegenüber der taz eine Zusammenarbeit | |
mit der Gruppe Mazur zurück. Ikea erklärte, sein Zulieferer habe Anfang | |
2023 die Zusammenarbeit mit Mazur beendet. Auch Porsche will weder in einem | |
„Vertragsverhältnis“ mit Mazur stehen, noch gebe es „indirekte Beauftrag… | |
durch unsere Partnerunternehmen“. Ähnlich äußert sich Volkswagen auch für | |
VW und Audi. | |
Obi und Bauhaus erklären, seinen Logistikdienstleistern verboten zu haben, | |
Unteraufträge an die Mazur-Gruppe weiterzugeben. Bauhaus teilt zudem mit, | |
es habe sein „Lieferketten-Risikomanagement überprüft und geltende | |
Transportrichtlinien verschärft“ und wolle seine Lieferkette nun „über den | |
Kreis unserer unmittelbaren Zulieferer hinaus überprüfen“. | |
Weirich überzeugen die Beteuerungen nicht. „Das sagen die Auftraggeber | |
immer“, sagt sie der taz. Möglicherweise hätten große Unternehmen | |
tatsächlich die Übersicht über ihre Lieferkette verloren und würden von den | |
eigenen Vertragspartnern im Unklaren über Weitervergaben gelassen. | |
„Spätestens mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist aber sehr klar | |
geregelt, dass Unwissenheit nicht vor Verantwortung schützt.“ | |
## „Moderne Sklaverei“ | |
Solidarität für die Fahrer kommt unterdessen von unterschiedlichen Seiten: | |
Nicht nur wurden sie in den vergangenen Wochen von Politiker*innen der | |
Grünen, Linken und der SPD besucht, die versprachen, sich für bessere | |
Gesetze einzusetzen. Die SPD-EU-Abgeordnete Gaby Bischoff sprach unter | |
anderem von „moderner Sklaverei“ und forderte bessere Kontrollen im Rahmen | |
des Straßenverkehrsgesetzes ein, das dafür sorgen soll, dass Fahrer, die | |
grenzüberschreitend unterwegs sind, anständig bezahlt werden. | |
Die alternative Hochschulgewerkschaft unter_bau aus Frankfurt am Main rief | |
Anfang August zu Spenden für die Fahrer auf. Zuletzt kündigte die | |
schwedische Gewerkschaft Solidariska Byggare an, eine Streikkasse für die | |
Fahrer eingerichtet zu haben. Ziel sei, pro Person 1.000 Euro einzusammeln | |
und auszuzahlen – also rund 100.000 Euro. | |
[4][Beim ersten Streik] im April war Firmeninhaber Łukasz Mazur mit einem | |
Schlägertrupp angerückt, der die Streikenden bedrohte. Wegen des Vorfalls | |
ermittelt die Staatsanwaltschaft Darmstadt unter anderem wegen besonders | |
schweren Landfriedensbruchs, Körperverletzung und Störung einer | |
Versammlung. Im August erstattet Mazur Anzeige gegen die Fahrer wegen | |
Erpressung. „Ob und inwieweit die erhobenen Vorwürfe zutreffen und wie der | |
Sachverhalt rechtlich zu bewerten sein wird, ist Gegenstand der | |
Ermittlungen“, sagte die Staatsanwaltschaft der taz. Auch die Fahrer | |
erwägen, Anzeige gegen Mazur zu stellen. | |
11 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Lkw-Fahrer-kaempfen-um-Geld/!5948131 | |
[2] /LKW-Fahrer-auf-Raststaette/!5945280 | |
[3] /Das-Lieferkettengesetz-kommt/!5897432 | |
[4] /Streik-auf-der-Raststaette-Graefenhausen/!5929613 | |
## AUTOREN | |
Johanna Treblin | |
## TAGS | |
Lkw | |
Wilder Streik | |
Lieferketten | |
Unternehmen | |
Konzernverantwortung | |
Lkw | |
Lkw | |
Menschenrechte | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Lkw-Fahrer kämpfen um Geld: Ganz hinten in der Lieferkette | |
Auf einer Raststätte im hessischen Gräfenhausen streiken erneut Lkw-Fahrer | |
um ihren Lohn. Ihr polnischer Arbeitgeber scheint auf Eskalation zu setzen. | |
Lkw-Streik mit Fahrern aus Georgien: Moderne Sklaverei auf Rädern | |
Seit Wochen streiken Lkw-Fahrer aus Georgien und Usbekistan auf einer | |
Raststätte bei Darmstadt. Sie werfen ihrem Arbeitgeber Ausbeutung vor. | |
Das Lieferkettengesetz kommt: Unternehmen in der Pflicht | |
Kann das Lieferkettengesetz halten, was es verspricht? Es sei schlecht | |
gemacht und käme unpassend, argumentieren Wirtschaftsverbände. |