| # taz.de -- Unruhen in Syrien: Warum rumort es in Syrien wieder? | |
| > Wirtschaftliche Probleme und neue Oppositionsgruppen bremsen die Pläne | |
| > von Machthaber Baschar al-Assad aus. Menschen gehen derweil auf die | |
| > Straße. | |
| Bild: Die Flagge der syrischen Opposition weht wieder – auch in Gebieten, die… | |
| ## 1. In Syrien wird wieder demonstriert. Haben die Leute keine Angst vor | |
| dem Assad-Regime? | |
| Festnahmen, Folter und sogar Giftgasangriffe: Gründe für Angst gibt es im | |
| 13. Jahr des Syrienkonflikts viele. Doch offenbar überwiegt bei den | |
| Demonstranten die Unzufriedenheit. Auslöser der jüngsten Proteste war eine | |
| Streichung von Subventionen für Gas und Benzin. Überhaupt ist Syriens | |
| Wirtschaft am Ende, 90 Prozent der Menschen leben in Armut. Mit einem Kurs | |
| von 1 zu 15.000 (!) gegenüber dem US-Dollar hat der Kurs der syrischen | |
| Währung im August ein neues Allzeittief erreicht. | |
| ## 2. Wo wird demonstriert? | |
| Das Besondere ist, dass die [1][Demonstrationen der vergangenen Wochen] in | |
| den Gebieten Syriens stattfinden, in denen das Regime wieder die Kontrolle | |
| hat. In Suwaida im Süden des Landes, den Regierungstruppen 2018 von der | |
| Opposition zurückeroberten, rissen Protestierende ein Plakat von Diktator | |
| Baschar al-Assad herunter, Büros der Regimepartei Baath wurden gestürmt, | |
| eine Statue von Baschars Vater Hafez al-Assad gestürzt. | |
| Auch am Freitagvormittag strömten in Suwaida wieder Menschenmengen auf den | |
| zentralen Karama-Platz, der Slogan „Es lebe Syrien und stürze Baschar | |
| al-Assad“ war zu hören. Es geht also nicht allein um die Wirtschaft, | |
| sondern auch – immer noch – um das Regime. Auch in anderen Städten, im nahe | |
| gelegenen Daraa sowie in Großstädten wie Latakia oder Aleppo, gab es | |
| Proteste. | |
| ## 3. Wer geht auf die Straße? | |
| Unterschiedliche Bevölkerungsgruppen. Suwaida ist eine Hochburg der | |
| religiösen Minderheit der Drusen, die landesweit etwa 3 Prozent der | |
| Bevölkerung ausmachen und bislang nicht als besonders oppositionell galten. | |
| Daraa ist mehrheitlich sunnitisch, Latakia eine Hochburg der Alawiten, | |
| einer weiteren Minderheit, der auch Baschar al-Assad angehört. | |
| Aber genau dieser Sortierung entlang religiöser Linien versucht eine neue | |
| Gruppierung etwas entgegenzusetzen, die jüngst die unübersichtliche Bühne | |
| der syrischen Opposition betrat: die „Bewegung des 10. August“. Einem | |
| [2][Bericht] des gewöhnlich gut informierten Nachrichtenportals The New | |
| Arab zufolge geht es der Gruppe darum, das religiöse Sektierertum zu | |
| überwinden und eine neue revolutionäre Bewegung im ganzen Land aufzubauen. | |
| Die Gruppe veröffentlichte eine Erklärung, in der sie die Regierung | |
| auffordert, den monatlichen Mindestlohn anzuheben, die Stromversorgung zu | |
| verbessern und politische Gefangene freizulassen. | |
| ## 4. Also hat das Assad-Regime nicht gesiegt? | |
| Die Regierung in Damaskus kontrolliert wieder zwei Drittel des Landes, doch | |
| Opposition gibt es weiterhin. Neben den jüngsten Protesten zeigt das auch | |
| ein Blick auf den Nordwesten Syriens: Rund um die Provinzhauptstadt Idlib | |
| halten sich seit Jahren Aufständische, vor allem die islamistische Miliz | |
| Hai’at Tahrir al-Scham (HTS), die keineswegs liberal-demokratisch gesinnt | |
| ist wie andere Teile der Opposition, zum Glück aber auch nicht so | |
| menschenverachtend und expansionistisch wie die Terrormiliz „Islamischer | |
| Staat“ (IS), die seit 2019 kein Territorium mehr kontrolliert. In Idlib, wo | |
| sich viele als Überbleibsel der Anti-Assad-Opposition verstehen, gibt es | |
| aktuell Solidaritätsproteste für die Protestbewegung im Süden. | |
| ## 5. Wie reagiert das Regime auf die Proteste? | |
| Bislang erstaunlich zurückhaltend. Es gibt zwar Berichte über Festnahmen, | |
| in Daraa und Latakia, niedergeschlagen wurden die Demonstrationen aber | |
| nicht. Das Assad-Regime steht vor einer schwierigen Entscheidung: Sollte | |
| die Bewegung anhalten und sich vielleicht sogar zu wirklichen | |
| Massenprotesten ausweiten, würde das eine Dynamik in Gang setzen, die das | |
| Regime nicht ignorieren und einfach aussitzen kann. Die Proteste brutal | |
| niederzuschlagen wie im Jahr 2011, ist aber auch nicht im Interesse von | |
| Damaskus. Schon seit Jahren versucht die Regierung so zu tun, als sei in | |
| Syrien alles wieder in Ordnung und der Krieg beendet. | |
| ## 6. Ist der Krieg denn vorbei? | |
| Jein. Die Kampfhandlungen haben im Vergleich zu früher deutlich | |
| nachgelassen. Der August war aber dennoch ein sehr blutiger Monat. Dutzende | |
| Menschen wurden getötet, etwa bei Luftangriffen des Assad-Verbündeten | |
| Russland auf HTS-Stellungen in Idlib oder bei Angriffen von Dschihadisten | |
| auf syrische Soldaten. Vor allem ist aber ein wirklicher Frieden weit | |
| entfernt, von gesellschaftlicher Aussöhnung kann keine Rede sein. | |
| Und auch politisch ist das Land gespalten – grob gesagt in drei Teile: | |
| Neben den Aufständischen im Nordwesten herrschen im Nordosten kurdische | |
| Kräfte, die bis 2019 den Kampf gegen den IS angeführt haben und weiterhin | |
| von den USA unterstützt werden. In den Kurdengebieten [3][rumort es aktuell | |
| unter der arabischen Bevölkerung gewaltig], denn sie fühlt sich | |
| diskriminiert, vor allem in der Provinz Deir al-Zor. Vor knapp zwei Wochen | |
| brachen Kämpfe zwischen kurdischen Verbänden und arabischen Stämmen aus, | |
| seither sind mehr als 90 Menschen getötet worden. US-amerikanische | |
| Vertreter haben sich bereits mit Befehlshabern der kurdischen | |
| „Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien“ sowie arabischen Stammesführern | |
| getroffen, um einen Aufstand zu verhindern. | |
| ## 7. Hat sich Assad damit abgefunden, dass die Kurden quasi eine | |
| Autonomieregion kontrollieren und er nicht mehr über ganz Syrien | |
| herrscht? | |
| Abgefunden hat er sich fürs Erste damit, dennoch bekräftigt er immer | |
| wieder, dass langfristig ganz Syrien wieder unter der Kontrolle von | |
| Damaskus stehen soll, auch die Rebellenhochburg im Nordwesten. Priorität | |
| hat eine militärische Rückeroberung (im Nordwesten) oder eine politische | |
| Regelung (im Nordosten) aber schon seit Jahren nicht mehr, weder für das | |
| Assad-Regime noch für seine Verbündeten, insbesondere Russland und Iran. In | |
| Damaskus setzt man aktuell darauf, wieder auf das internationale Parkett | |
| zurückzukehren. | |
| Ein großer Erfolg für Assad ist, dass sich die arabischen Staaten ihm | |
| wieder annähern – in der Annahme, dass ein Sturz des Regimes ausbleibt. Am | |
| krassesten brachte dies im Mai ein Foto zum Ausdruck, das Baschar al-Assad | |
| per Handschlag verbunden mit dem Präsidenten Tunesiens zeigt, einst das | |
| Vorzeigeland der arabischen Demokratie- und Freiheitsbewegung von 2011. Das | |
| Foto entstand auf dem Gipfel der Arabischen Liga im saudischen Dschidda, | |
| bei dem Syrien wieder offiziell in den Staatenbund aufgenommen wurde. 2011 | |
| war das Land wegen der Niederschlagung der Anti-Assad-Proteste im | |
| Arabischen Frühling suspendiert worden. | |
| 8 Sep 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Demonstrationen-in-Syrien/!5955062 | |
| [2] https://www.newarab.com/news/who-are-syrias-new-opposition-group-10-august-… | |
| [3] /Konflikt-in-syrischer-Kurdenregion/!5955061 | |
| ## AUTOREN | |
| Jannis Hagmann | |
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