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# taz.de -- Ein Vergnügen der Kindheit: Das Schlaraffenland steht noch
> Am Rande der Lüneburger Heide, wo es europaweit die meisten Freizeitparks
> gibt, liegt Verden. Der Märchenpark dort lädt ein als Reise in die
> Kindheit.
Bild: Märchenhaftes Bahnfahren in Verden
Verden taz | An kaum einen anderen Ort passt ein Märchenpark besser als
nach Verden, diese Stadt voller Mythen und Sagen. Der Seeräuber Störtebeker
zum Beispiel soll hierher kommen und der Stadt kurz vor seiner Hinrichtung
das Vermächtnis der Lätare-Spende hinterlassen haben: Jedes Jahr werden am
Montag nach dem Sonntag Lätare – also drei Wochen vor Ostern – Brote und
Heringe verteilt, auch von Störtebeker selbst, also einem als Störtebeker
Verkleideten, logisch.
Oder die Sage vom Steinernen Mann: Ein Küster soll Kirchengelder veruntreut
haben, als er dann beim Teufel schwor, nichts gestohlen zu haben, erschien
derselbe, packte den Küster und wollte mit ihm durch die Mauer des Domes
hinausfahren. Aber der Küster blieb stecken und wurde zu Stein. Kann man
sich heute noch im Innenhof des Doms angucken, wie er da unterm Dach aus
der Wand ragt – die Teufels-Küster-Sage ist so viel besser als das, was der
Steinerne Mann vermutlich wirklich ist: ein funktionslos gewordener
Wasserspeier.
Ich komme aus der Gegend, bin in Verden zur Schule gegangen, wurde im Dom
konfirmiert, kam oft am Störtebeker-Brunnen vorbei, hinter dem mal eine
Kneipe lag und der anlässlich der 1.000-Jahr-Feier 1985 ein Geschenk von
Verdener Banken war. Sie mögen es hier etwas verwunschen. Die weißen
Sanddünen im Stadtwald? Da hat ein Riese Sand verloren, als er über die
Aller sprang. Der 1971 gegründete Freizeitpark, der auf den [1][Märchen der
Gebrüder Grimm] basiert und Teil der „Deutschen Märchenstraße“ ist, passt
darum so gut hierhin.
Ich bin nur sechs Jahre jünger als der Park, der am Stadtrand direkt an der
Autobahn A27 und mitten im Wald liegt. Obwohl wir gar nicht oft hier waren,
wie meine Mutter mir jetzt erzählte, kann ich mich so lebhaft erinnern, als
hätte ich meine halbe Kindheit dort neben der rauschenden Autobahn
verbracht.
Rein geht es auch heute noch durch eine Burganlage am Waldrand, die vier
Turmdächer sind blau und an den Dachüberständen glitzert Goldfolie. Hinter
dem geöffneten Burgtor sitzt eine freundliche Dame im Kassenhäuschen,
reicht mir einen Parkplan mit „mehr als 40 Attraktionen“ und wünscht mir
viel Spaß. Vorbei am Souvenirstand mit Sonnenbrillen, Namenstassen,
Mini-Traumfängern, Postkarten und eingelegten Gurken sowie einem bläulich
schimmernden Plastikpferd in Lebensgröße im Schaufenster (Verden hat auch
den Beinamen Reiterstadt, es gibt dort auch ein Pferdemuseum) geht es in
den Park.
In meiner Erinnerung warten gleich hinter dem Eingang, auf einem
weitläufigen betonierten Platz, bunte Fahrräder mit unrunden Reifen. Auf
denen bubbelten wir früher im Kreis herum, beobachtet von einem riesigen
Plastik-Mammut. Das Mammut ist noch da, die Fahrräder nicht. Heute stehen
hier zwei Karussells, auf einer Trampolinanlage springt ein Junge in rotem
Shirt auf und ab. Aus dem Imbiss „Schlemmerland“ sickert Musik, „Ich bin …
spitz auf Pommes Fritz“. Ein Gärtner schiebt eine Schubkarre an der
Elektro-Kart-Bahn vorbei. Wer mit dem Kart fahren will, muss 50 Cent
einwerfen. Will jetzt niemand, es ist Donnerstagvormittag, die Ferienzeit
ist gerade vorbei. In der Saison arbeiten hier etwa 50 Leute, außerhalb nur
20 Festangestellte, Gärtner, Techniker, Verwaltungsleute.
## Märchenkulissen das Herzstück
Ich kann mich sehr gut an die Märchenkulissen erinnern, das Herzstück des
Parks. Die liegen alle an einem Rundkurs durch den Wald, der um ein Gehege
mit Dammwild angelegt ist. Dieser Teil des Freizeitparks heißt bis heute:
Märchenwald – man durchschreitet am Anfang ein hölzernes Portal: „Eingang
Märchenwald“ steht in großen, orangefarbenen Buchstaben dran.
Der Gang durch das Portal löst die Mechanik der Märchenkulissen mit ihren
Figuren und Stimmen aus, eine nach der anderen spult sich ab. Im
Schlaraffenland schlafen der Müller und der Bäcker als lebensgroße Figuren,
die Mühle und der Ofen müssen alle Arbeit alleine machen. „Mühle, Mühle,
ich brauche Mehl“, jammert der Ofen, irgendwann erbarmt sich die Mühle,
Wasser läuft los und treibt das Wasserrad an, Mehlsäcke gleiten auf einem
Förderband hinüber zur Backstube. Am Schluss muss der Ofen sogar selber das
Brot aus sich herausholen, so faul sind die Menschen.
„Die chinesische Nachtigall“, nach einem Märchen von Hans Christian
Andersen, war in meiner Erinnerung eigentlich immer kaputt. Oft rannte auch
der Igel in „Der Hase und der Igel“ nicht los. Aber wenn, dann konnte man
den Igel, den Swinegel, wie es bei den Grimms heißt, so schön anfeuern oder
den Hasen vor dem Swinegel und seiner Frau warnen. Und anders als im
Original, in dem der Hase in der 74. Runde vor Erschöpfung tot umfällt
(„Mitten auf dem Acker stürzte er zur Erde, das Blut schoß im aus dem
Halse, und er blieb tot auf dem Platz“) geht die Adaption im Märchenwald
irgendwie gut aus. Ich habe jedenfalls kein blutiges Ende im Kopf.
Auffrischen kann ich meine Erinnerung jetzt allerdings nicht, denn das
Hase-und-Igel-Märchen ist kaputt: „Leider ein technischer Defekt“, kommt es
statt der Geschichte aus den Lautsprechern. Aber noch bevor das erste
Märchen auf dem Rundweg, „Hänsel und Gretel“, startet, schnarzt es aus dem
Lautsprecher, dass die Märchen alle seeeeehr alt sind und aus einer Zeit
stammen, in der Kinder sogar noch Ohrfeigen bekamen (der Küchenjunge in
„Dornröschen“ kriegt eine geschallert vom Koch), aber dass das ja heute
nicht mehr gemacht wird und die Kinder also ganz beruhigt sein können: Alle
Märchen im Märchenwald haben ein Happy End. Also bin ich mir sicher: Dem
Hasen wird kein Blut aus dem Hals schießen.
Als ich das letzte Mal als Kind über die Schotterstraße zum Märchenpark
gefahren bin, war das für mich ein Ausflug in die Stadt. Die Kreisstadt
Verden, die zwischen Hannover, Bremen und Hamburg liegt, hat heute mehr als
28.500 Einwohner. Wir müssen in den 80ern zuletzt im Park gewesen sein,
genau weiß ich es nicht mehr, meine Eltern erinnern sich auch nicht. Meine
Mutter schreibt mir aber: „Ich weiß nur, dass Dornröschen kaputt war.“
Die Fahrt dauerte damals nicht lang, mein Heimatdorf mit heute rund 1.500
Einwohnern ist nur etwa 10 Kilometer entfernt. Als ich jetzt, Jahrzehnte
später, wieder in den Park zurückkomme, ist es für mich ein Ausflug aufs
Land, aus Hamburg sind es etwa 110 Kilometer.
## Hamburger verirren sich selten hierher
Statistisch betrachtet ist mein Anreiseweg zu weit für einen Besuch im
Märchenpark, denn das Einzugsgebiet sind 80 Kilometer, erzählt der
Geschäftsführer Bastian Lampe. Er ist Maschinenbauingenieur, war schon als
kleiner Junge von Fahrgeschäften fasziniert. Der Job? Schon sein Traum.
Hamburger verirren sich jedenfalls eher selten hierher, die fahren in den
Hansapark nach Sierksdorf.
„Bremen ist voll drin“, sagt Lampe über das Einzugsgebiet seines Parks. Mit
den Eigentümern und einer zwischenzeitlich drohenden Insolvenz wechselte
der immer mal wieder den Namen, er hieß Märchenpark, dann Freizeitpark
Verden, dann Magicpark und jetzt [2][Ritter-Rost-Magicpark].
Lampe hätte es auch gern, wenn auch Besucher aus Hannover kommen und im aus
Hamburg. „Aber je weiter die Anfahrt desto größer die Erwartungshaltung“,
sagt er. „Verstehen die Gäste nicht, wie die Märchenstraße funktioniert,
sind sie enttäuscht, weil sie denken, die ist kaputt. Aber das ist ja unser
Alleinstellungsmerkmal!“ Hase und Igel ist gerade wirklich kaputt, sie
arbeiten dran, sagt Lampe. Aber vieles im Park sei eben 50 Jahre alt und
lange nicht angefasst worden, Sanierungsstau ist das Wort, das er nicht in
den Mund nimmt.
An guten Tagen kommen derzeit 2.000 Gäste in den Park, bei schönem Wetter
in den Ferien. Platz wäre auch für 5.000, sagt Lampe. Das Gelände im Wald
gäbe das her. In zehn Jahren soll der Park auf Stand sein und dann peilt
Lampe 300.000 Besucher im Jahr an. Jetzt haben sie in einer guten Saison
rund 125.000 Besucher, in diesem Jahr wird es keine gute Saison werden,
„der viele Regen war nicht hilfreich“, sagt Lampe. Er hat ein gesundes
Selbstvertrauen: „Aber jetzt bin ich ja hier.“
Er ist andere Dimensionen gewohnt, der [3][Heide-Park Soltau], sein alter
Arbeitgeber, ist einer der größten deutschen Freizeitparks. Bis zu 15.000
Besucher verbringen dort am Tag ihre Freizeit, um die 1,5 Millionen kommen
pro Saison. Aber Lampe kündigte, wollte mit Investoren einen eigenen Park
entwickeln, dieser Traum zerplatzte.
Nun ist er hier und will bleiben, „für immer“, sagt er. Hier finde er die
Leidenschaft, die er bei den konzerngeführten Parks vermisse. Nach Verden
gezogen ist er nicht, er kommt aus Goslar und wohnt in Wedemark, über die
A27 dauert es nur 20 Minuten hierher. Zu seinem alten Arbeitgeber, dem
Heide-Park, habe er länger gebraucht, weniger Kilometer, aber mehr
Landstraße. Praktisch, diese A27 – oder in Lampes Worten: „Um diese
verkehrsgünstige Lage beneiden uns viele.“
## Die Seele baumeln lassen
Lampes Vorbild: Der mit jährlich 5,5 Millionen Besuchern größte
Freizeitpark der Niederlande, [4][Efteling]. Dort gibt es mehr als 100
Märchen, eine Stiftung betreibt den Park, der, so Lampe, dadurch ein ganz
anderes Standing in der Bevölkerung habe, quasi identitätsstiftend sei.
„Das verbindende Element der Freizeitparks ist das Entfliehen in andere
Welten, das inversive Abtauchen, Seele baumeln lassen in einer
idealisierten Welt, schlechte Gedanken hinter sich lassen“, sagt Lampe und
will zeigen, was er meint.
Vorbei geht es an dem Trecker-Rundkurs, der Lore und der Schiffsschaukel zu
einem Gebäude, an dem „Drachenwelt“ steht: „Das ist unsere Attraktion!�…
sagt er. „Kennen Sie das noch? Hier waren Bumpercars und das Gebäude stand
lange leer, war einfach nur Müll drin.“
Jetzt ist es so etwas wie eine Geisterbahn, nur eben mit Drachen und nicht
gruselig. Eine Eulen-Puppe sagt am Eingang „Hallo“, dann steigen wir in
einen Wagen und fahren durch die Scheune, die Stimme der Eule begleitet
uns. Es gibt einen Trecker, mehrere Drachen, aus deren Nasen Rauch kommt,
und am Ende eine Weihnachtsdeko.
„Hätten wir das neu gebaut, hätte das etwa zwei Millionen Euro gekostet“,
sagt Lampe. „Aber wir sind Upcycling-Meister und haben aus bestehenden
Mitteln umgebaut und nur 25.000 Euro investiert.“ Als der Wagen die
Attraktion verlässt, fahren wir direkt auf unsere Gesichter zu, während der
Fahrt wurde ein Foto gemacht. „Oh, ich gucke ja nicht gerade
repräsentativ“, sagt Lampe, der auf dem Foto etwas gelangweilt ausschaut.
Ich sehe aus, als suchte ich nach einem Fluchtweg, das Foto möchte ich
nicht haben, Lampe auch nicht.
Sie haben hier in den vergangenen Jahren schon einiges renoviert. Rostige
Zäune gegen Holzpfosten mit Kordeln getauscht, die Schiffsschaukel
gestrichen, neu umzäunt und drumherum bepflanzt. Die Fahrt mit der
Schiffsschaukel, die man per Knopfdruck selber startet, fühlt sich an wie
früher. Ich setze mich ganz nach außen und warte, dass es im Bauch zu
kitzeln beginnt. Klappt! Eigentlich müsste ich oben die Arme hochreißen,
das lasse ich mal sein. Sie wollen ein Gehege für Berberaffen bauen, das
sollte im Sommer 2022 fertig sein, sie bauen noch. Es gab früher einen
Streichelzoo mit Miniziegen, riesige Plastikdinos auf einer künstlichen
Insel, um die man auf einem Floß herumfahren konnte, Ponyreiten (da war
diese eine Kurve, die vom Aufsichtspersonal nicht einsehbar war, da konnte
man die Ponys verbotenerweise antraben lassen) und Fahrgeschäfte. Die Ponys
sind weg, die Ziegen und die Dinos sind noch da.
Ich fahre drei Runden mit der Eisernen Schlange, „Norddeutschlands längste
Kinderachterbahn“. Höchster Punkt: 8 Meter, Höchstgeschwindigkeit 36 km/h,
Streckenlänge 360 Meter. Ein Vater und seine dreijährige Tochter Anna
fahren mit. Anna quietscht und reißt die Arme hoch.
Mich zieht es noch mal in den Märchenwald, zu „Das Blumenwunder“. Diese
Geschichte in eine Eigenkreation von Parkgründer Helmut Reich, einem
Ingenieur und Märchen-Fan, der die Großkulissen erst in Aquarall malte und
dann baute. Für „Das Blumenwunder“ ließ sich vom gleichnamigen Stummfilm
inspirieren, der in den Jahren 1922 bis 1925 entstand. Zu sehen sind im
Film vor allem Zeitrafferaufnahmen von Pflanzen.
Die Aufnahmen und die Idee, der Mensch könne sich die Natur untertan
machen, hat Reich so fasziniert, dass er sie für seinen Park umsetzte: Ein
Gärtner sitzt in einem Gewächshaus und befiehlt seinen Tulpen nach Farben
sortiert zu wachsen oder aufzublühen. Eine perfekte Tulpenparade, Mensch
beherrscht Natur. Nur die weiße Tulpe Paula tanzt aus der Reihe, statt sich
auf ihren Soloauftritt vorzubereiten, wälzt sie sich lieber in blauem
Dünger.
Daran kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Hat sich also gelohnt, noch
mal in den Park meiner Kindheit zu fahren.
7 Sep 2023
## LINKS
[1] /200-Jahre-Grimm-Maerchen/!5077077
[2] https://www.ritterrost-magicpark.de/
[3] /Mit-dem-falschen-T-Shirt-im-Freizeitpark/!5944114
[4] https://www.efteling.com/de
## AUTOREN
Ilka Kreutzträger
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