# taz.de -- Neuer Film „Luise“: Abseits der Welt und ihrer Wirren | |
> Im Personenstück „Luise“ fächert der deutsche Regisseur Matthias Luthar… | |
> eine Charakterstudie auf. Inspiration ist eine Erzählung von 1922. | |
Bild: Luise Aschenbrenner spielt die titelgebende „Luise“ | |
Luise (Luise Aschenbrenner) hat sich in ihrem Alleinsein eingerichtet. Nach | |
dem Tod ihrer Mutter bestellt sie den abgelegenen Hof im Elsass ohne fremde | |
Hilfe. Sie versorgt das Vieh, kümmert sich um den angrenzenden Garten. Ein | |
einsames Idyll ist der Ort, an dem sich das Drama von Regisseur Matthias | |
Luthardt („Pingpong“) entfaltet, allerdings nicht. | |
Denn das Leben im kargen Bauernhaus ist entbehrungsreich, umso mehr durch | |
den tobenden Krieg. Es ist das Jahr 1918, und die Dinge im – zumindest nach | |
offiziellem Grenzverlauf – deutschen Ort unweit der französischen Grenze | |
stehen stellenweise still. Wohl auch deswegen ist Luises Mutter noch nicht | |
beerdigt, sondern im elterlichen Ehebett aufgebahrt. | |
Mit wenigen Einstellungen skizziert Bildgestalterin Lotta Kilian („Nichts, | |
was uns passiert“) die trostlose Lebenswelt der Mittzwanzigerin: Das | |
kratzige Leinenhemd, das sie sich im Morgengrauen überstreift, als Symbol | |
für ihre strenge Arbeitsmoral. Das Kreuz, das sie stets um ihren Hals | |
hängt, für ihren nicht minder festen Glauben. | |
## Unterschlupf gewähren | |
Es ist ein Dasein, abgeschieden von der Welt und ihren Wirren. Die dringen | |
allerdings zu ihr herein, zuerst in Person von Hélène (Christa Theret). Sie | |
ist Französin, eigentlich eine Feindin. Luise schert das nicht, und gewährt | |
ihr Unterschlupf. Als Elsässerin und Kind einer Deutschen und eines | |
Franzosen bewegt sie sich immer schon in einem Dazwischen. | |
Dass ein solches „Dazwischen“ gerade in Kriegszeiten nicht toleriert wird, | |
muss sie spätestens mit der Ankunft eines weiteren ungebetenen Gastes | |
feststellen: Auf Hélène folgt Hermann (Leonard Kunz), wortwörtlich: Der | |
deutsche Soldat hat der Französin nachgesetzt, weil sie seinen Vorgesetzten | |
tötete, nachdem dieser sich ihr sexuell aufgedrängt hatte. | |
Eigentlich will er sie zurück zu seiner Einheit bringen, um nicht als | |
fahnenflüchtig zu gelten. Die klaffende Wunde an seinem Oberschenkel hält | |
ihn davon ab. Luise versorgt sie und nimmt ihn mit demselben Gleichmut bei | |
sich auf wie kurz zuvor Hélène. Sie versteckt ihn sogar vor dem Hauptmann | |
(Aleksandar Jovanovi), als dieser nach ihm suchen lässt. | |
## Begehren im Spiegel des Anderen | |
Luises Zwischenreich ist damit dahin und die Grundlage gelegt für ein | |
intensives Kammerspiel, das – wie schon die Wahl des Titels verdeutlicht – | |
zuerst eine Charakterstudie sein will. Was „Luise“ tatsächlich gelingt, | |
ist, mit Nachdruck zu illustrieren, dass es für die Herausbildung des | |
Selbst, seiner Wünsche und seines Begehrens, den Spiegel des Anderen | |
braucht. | |
Erst in der Schicksalsgemeinschaft mit den beiden Gleichaltrigen beginnt | |
die junge Frau, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was sie eigentlich | |
von ihrem Leben möchte. Das von Sebastian Bleyl („Arthurs Gesetz“) in | |
Kooperation mit Regisseur Luthardt verfasste Drehbuch stellt seiner | |
Protagonistin jedoch zwei allzu schablonenhafte Gegensatzpaare gegenüber. | |
Hermann, der zwar das missbräuchliche Verhalten seines Vorgesetzten | |
verurteilt und für einen Soldaten seiner Zeit durch Reflexionsbereitschaft | |
überrascht, ist gottesfürchtig, vaterlandshörig und familienorientiert. Er | |
verkörpert die herrschende Ordnung und somit das, was Luise vertraut ist. | |
## Selbstbestimmtes Leben in Holland | |
Hélène hingegen repräsentiert dessen Herausforderung. Sie hat einen Hang zu | |
höherer Bildung und strebt nach einem selbstbestimmten Leben, versucht sich | |
nach Holland durchzuschlagen, weil sie die Hoffnung hegt, dort frei mit | |
einer Frau zusammen sein zu können. | |
Beide nähern sich Luise an, wollen sie für sich gewinnen. Die Gründe dafür | |
herauszuarbeiten, versäumt der Film gleichwohl und fokussiert sich | |
stattdessen allein auf den inneren Konflikt der titelgebenden Heldin. Die | |
notwendige Introspektion, um diesen für das Publikum in seinen Nuancen | |
nachempfindbar zu machen, unterbleibt allerdings ebenso. | |
Nur über das Außen – neben eher floskelhaften Dialogen vor allem in Form | |
nächtlicher Begegnungen – darf Luise fühlen, wovon sie nun mehr angezogen | |
ist. Hierin wird die literarische Vorlage am deutlichsten erkennbar: Den | |
Drehbuchautoren diente die 1922 erschienene Erzählung „Der Fuchs“ von | |
[1][D. H. Lawrence] als lose Inspiration. | |
## Zwischenmenschliche Dynamiken | |
Der britische Autor, dessen Werk für seine erotische Drastik heftiger | |
Kritik von Zeitgenossen ausgesetzt war, zeigte besonderes Interesse an der | |
Bedeutung des Sexuellen in der Ergründung von zwischenmenschlichen | |
Dynamiken. Auch „Luise“ verlässt sich spürbar auf die Strahlkraft einer | |
Amour fou, eingebettet in einen außergewöhnlichen historischen Hintergrund. | |
Allerdings ohne dabei über die bloße Andeutung der Intimität zwischen Luise | |
und Hélène beziehungsweise Luise und Hermann hinauszugehen. Ironischerweise | |
verharrt der Film so selbst in einem seltsamen „Dazwischen“, aus dem sich | |
zumindest seine Protagonistin am Ende befreien wird. | |
Anders als in besagter Novelle und ihrer ersten filmischen Adaption durch | |
Mark Rydell („The Fox“, 1967) gipfelt „Luise“ immerhin nicht in einem | |
symbolischen Sieg des Archaisch-Männlichen. Durch beliebig wirkende | |
Wendungen in einem hektischen Finale bleibt allerdings sowohl das Potenzial | |
der besonderen Figurenkonstellation als auch die zuvor sorgsam geschaffene | |
dichte Atmosphäre ungenutzt – und Luise eine beinah Unbekannte. | |
1 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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