| # taz.de -- 42. Hofer Filmtage abgespielt: Verloren in der Kulisse | |
| > Die Filmtage zeigten neben biederem Ausstattungskino gute | |
| > Dokumentationen. Der Film "Ich gehe jetzt rein" zeigt fünf junge | |
| > Türkinnen über einen Zeitraum von 13 Jahren. | |
| Bild: Achternbusch im Film: Sinnieren über die Linksschickeria. | |
| Am liebsten würde man sie alle in einen Sack stecken und aus Hof, dem | |
| Frankenland, der deutschen Kinolandschaft heraus schaffen. All die gut | |
| verdienenden Architekten, wohl situierten Psychiater und | |
| Wissenschaftlergattinnen in ihren gediegenen Häusern. Mit Tod und | |
| Selbstmord müssen sie sich auseinandersetzen, mit Drogensucht und | |
| schwerkranken Kindern. Doch interessieren sie sich weniger für | |
| Leidensgeschichten, stattdessen aber für die Edelstahlsaftpresse mit | |
| gigantischem Hebel in ihren Luxusküchen. Sowohl in Caroline Links Melodrama | |
| "Im Winter, ein Jahr" als auch in Jan Fehses Film "In jeder Sekunde" ziert | |
| das Modell den Bildhintergrund und sorgte nach den Vorführungen für | |
| Anschaffungs- und Preisdiskussionen. | |
| Auf den 42. Hofer Filmtagen bekam man es mit einer merkwürdigen und | |
| nervigen Form des Ausstattungskinos zu tun. Mit Ehekriegen und | |
| Familientragödien in optisch ansprechenden Wohnräumen (Link, Fehse). Mit | |
| Trauerarbeit, die in Schneelandschaften im schicken aber viel zu dünnen | |
| Mäntelchen verrichtet wird (Josef Bierbichler in "Der Architekt" von Ina | |
| Weisse). Oder mit einer jungen Witwe, die in ihrem kleinen Schwarzen | |
| seltsam verkleidet scheint (Franziska Petri in "Der Tag, an dem ich meinen | |
| toten Mann traf" von Matthias Luthardt). Wie bestellt und nicht abgeholt | |
| wirken diese Figuren in den edel gestalteten Tableaus. | |
| Man will den Regisseuren gar nicht vorwerfen, dass sie ihren | |
| Gestaltungswillen auf dem Rücken ihrer Helden und Heldinnen austragen. Doch | |
| bleiben die Settings bloße Kulisse, sterile Orte, die weder auf ein Milieu | |
| noch auf eine Schicht verweisen und die daher keine eigene Gegenwart für | |
| ihre Helden und Heldinnen entwickeln. Dass Gefühle und Lebenswirklichkeiten | |
| einander bedingen - diese Frage kam in diesen Hofer Tagen erst gar nicht | |
| auf. | |
| Umso dankbarer war man über die Dokumentarfilme, die dem Leben einfach bei | |
| der Arbeit zuschauen, die den Zuschauer mit in einen Alltag nehmen und | |
| überraschende Einblicke liefern. Ihre Protagonisten kommen aus anderen | |
| Schichten, haben völlig verschiedene Hintergründe und kennen doch dieselben | |
| Probleme. Sowohl die drei adligen Frauen aus "Standesgemäß" von Julia von | |
| Heinz als auch die fünf jungen Türkinnen aus Aysun Bademsoys Film "Ich gehe | |
| jetzt rein" versuchen, ihr Leben selbst zu bestimmen und sich von den | |
| Ansprüchen, dem Traditionsdenken, von ihrer Herkunft zu lösen. | |
| Man spürt, dass die Kamera zur Komplizin, die Regisseurin zur Vertrauten | |
| wird. Gerade für die jungen Frauen aus Bademsoys Film bieten die | |
| Dreharbeiten Rückhalt und die Möglichkeit, sich der eigenen Situation | |
| bewusst zu werden. Schon seit 13 Jahren begleitet die Regisseurin die | |
| Frauen. 1995, als der erste Dokumentarfilm entstand, spielten sie noch in | |
| einer Fußballmannschaft und wollten nicht als Türkinnen, sondern als | |
| Sportlerinnen wahrgenommen werden. | |
| Jetzt sind sie verheiratet oder geschieden, konnten viele ihrer Träume | |
| nicht verwirklichen, dennoch geben sie nicht auf im Kampf gegen eine | |
| unsichtbare Macht namens Tradition. Bademsoy brachte ihre Porträtierten mit | |
| nach Hof, wo sie schüchtern und zugleich stolz wirkten. | |
| Wohl weil die Spielfilme in diesem Jahrgang so bieder ausfielen, kam immer | |
| wieder die Floskel des "Früher war alles besser" auf. Schon am ersten Abend | |
| musste man sich anhören, dass die Hofer Nächte einst länger, exzessiver und | |
| schnapsreicher waren. | |
| Doch musste man sich der Frage stellen, wo sie geblieben sind, die | |
| Querdenker und Anarchisten von einst. Nach fast dreißig Filmen, etlichen | |
| Aufführungsverboten und aberkannten Filmpreisen hat Herbert Achternbusch | |
| 2002 endgültig beschlossen, nicht mehr als Regisseur zu arbeiten. In Andi | |
| Niessners Dokumentarfilm "Achternbusch" melden er und sein subversives | |
| Denken sich noch einmal zu Wort. | |
| Er erinnert sich an die Linksschickeria Schlöndorf, von Trotta und Co, | |
| stellt fest, dass Werner Herzog ein schöner Mann war, aber schlecht | |
| gealtert sei. Und er sinniert über die Nazis, die doch lieber die | |
| katholische Kirche als die Juden hätten überfallen sollen. Einsam wirkt er, | |
| wie der Held aus seinem Oktoberfestfilm "Der Bierkampf", der stets allein | |
| am Stammtisch sitzt. Für einen wie Achternbusch gibt es in der deutschen | |
| Filmlandschaft tatsächlich keinen Platz mehr. | |
| 27 Oct 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Anke Leweke | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Erster Weltkrieg | |
| Film | |
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